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Prof. Dr. Edzer Pebesma und Prof. Dr. Hanna Meyer diskutieren die verschiedenen Variablen und Indikatoren auf einer digitalen globalen Umweltkarte.<address>© WWU - Michael Möller</address>
Prof. Dr. Edzer Pebesma und Prof. Dr. Hanna Meyer diskutieren die verschiedenen Variablen und Indikatoren auf einer digitalen globalen Umweltkarte.
© WWU - Michael Möller

Qualität globaler Umweltkarten auf dem Prüfstand

Geowissenschaftler weisen auf Unsicherheiten und Grenzen maschineller Lernanwendungen hin

Es könnte so einfach sein: auf Knopfdruck globale Karten zu Vegetation, Klima oder Boden erstellen. Egal ob in Afrika, Amerika oder Europa, egal ob im Hochgebirge oder im tiefsten Wald. Keine mühsame Geländearbeit vor Ort oder tagelange Laborauswertungen wären nötig – einfach das Computersystem "trainieren", um möglichst genaue Vorhersagen für sämtliche Umweltvariablen zu erhalten. "In den vergangenen Jahren haben sich Algorithmen des maschinellen Lernens als beliebtestes Werkzeug für die Modellierung durchgesetzt, da sie in der Lage sind, nichtlineare und komplexe Zusammenhänge zu erfassen", erklärt Prof. Dr. Hanna Meyer vom Institut für Landschaftsökologie der WWU. Bekannte Beispiele sind unter anderem das weltweite Potenzial zur Wiederherstellung von Baumbeständen oder der Status von Pflanzenarten auf der sogenannten Roten Liste.

Doch die Flut an Veröffentlichungen globaler Umweltkarten hat in der jüngsten Vergangenheit ebenso viel Aufmerksamkeit wie Kritik hervorgerufen. Mit ihrem Kollegen Prof. Dr. Edzer Pebesma vom Institut für Geoinformatik der WWU weist Hanna Meyer auf die Unsicherheiten und Grenzen der Algorithmen hin. "Die einfache Darstellung von sogenannten Vorhersagewerten als globale Karten ist oft nicht mit der wissenschaftlichen Zuverlässigkeit vereinbar", betont Edzer Pebesma. "Bei der Nutzung dieser Karten, beispielsweise bei der Ausweisung neuer Schutzgebiete, müssen stets Vorhersagefehler einkalkuliert werden."

Bei gängigen globalen Vorhersagekarten werden Modelle anhand von Referenzdaten aus Feldproben erstellt. Anschließend trainieren Experten ein maschinelles Lernmodell, das die Zusammenhänge zwischen satellitenbasierten Umweltinformationen und den Referenzdaten lernt. Das trainierte Modell wird auf globale Satellitendatensätze angewendet, um eine globale Karte mit den vorhergesagten Werten der Zielvariablen zu erstellen. Referenzdaten sind oft aber nur limitiert vorhanden und räumlich ungleich verteilt, sodass sie selten vollständige Informationen über Kontinente und Klimazonen liefern.

In den vergangenen Jahren ist viel Energie in die Softwareentwicklung geflossen, um die Nutzeranwendungen einfach zu halten. Doch es gibt viele Fallstricke. "Wenn eine globale Karte nicht mit verständlichen Informationen zu ihrer Aussagekraft versehen ist, kann sie leicht missbraucht werden. Lückenlose Datensätze von unserer Umwelt gibt es nicht, und die kann auch kein Computersystem automatisch erstellen", weist Edzer Pebesma auf die Schwachstellen hin. Ein Vorschlag der Wissenschaftler ist es, jene Bereiche "auszugrauen", in denen die Umwelt zu stark von den Trainingsdaten abweicht und dementsprechend weder sinnvolle Vorhersagen zu erwarten sind noch deren Qualität beurteilt werden kann.

Ein Beispiel: Wenn Wissenschaftler globale Muster der Biodiversität modellieren und ihnen ausschließlich Referenzdaten aus Mitteleuropa und Nordamerika zur Verfügung stehen, bekommt das Modell keine Informationen, um etwas über Zusammenhänge in tropischen Wäldern zu lernen. "Wir wissen aber aus ökologischen Studien, dass die Muster und Zusammenhänge abweichen. Solche Modelle für die Erstellung globaler Karten anzuwenden, ist daher aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll. Das ist eigentlich offensichtlich, wird aber in der Forschungspraxis weitgehend ignoriert", erläutert Hanna Meyer.

Ihren Forschungsstand haben die Wissenschaftler kürzlich als Kommentar in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht und damit eine Diskussion angestoßen. "Wir hoffen, dass zukünftig die Rolle von maschinellen Lernanwendungen bei der Erstellung globaler Karten methodisch überdacht wird. Wir plädieren für einen kritischen und transparenten Umgang mit Unsicherheiten der Vorhersagen", unterstreicht Hanna Meyer.

Autorin: Kathrin Kottke

Dieser Text stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 6. Juli 2022

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