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Münster (upm/anb)
Eindrücke aus dem Labor der Arbeitsgruppe Wegner ...© WWU - Peter Leßmann
Fotos

Lichtshow im Labor

Ein Einblick in die Arbeit der Biochemikerin Seraphine Wegner

Studiert man die Webseiten von Prof. Dr. Seraphine Wegner, Wissenschaftlerin am Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie an der Medizinischen Fakultät der WWU, stößt man auf englische Begriffe wie „photoswitchable“, „spatiotemporal“ und „tissue engineering“. Für die Biochemikerin und ihr internationales Forscherteam ist das Alltagssprache, der Fachunkundige mag sich hingegen fragen, was das zu bedeuten hat. Im Gespräch mit einem solchen Laien legt die Wissenschaftlerin allerdings verständlich dar: Sie und ihre Mitarbeiter nutzen Licht (altgriechisch photós), um (Zell-)Gewebe (tissue) örtlich und zeitlich (spatiotemporal) zu verändern. Die Arbeitsgruppe ist Teil des SFB 1459 und legt die Grundlage dafür, lichtsensible intelligente Materie zu erzeugen.

Über ihre Arbeitsstätte sagt Seraphine Wegner, dass es sich um ein gewöhnliches Labor handelt. Jedoch gibt es neben den typischen Bunsenbrennern, Kolben und Petrischalen in der Waldeyerstraße 15 – in unmittelbarer Nähe zur Unfallchirurgie des Uniklinikums – auch Ungewöhnliches: Das Labor erstrahlt durch Lichtpaneele, etwa so breit und lang wie ein Laptop und mit einer Vielzahl von LEDs besetzt, in unterschiedlichen Farben. Seraphine Wegner ist fasziniert vom Licht. Sie und ihr Team nutzen aber nicht jede Form von Licht, sondern das des sichtbaren Spektrums. Der Vorteil liegt darin, dass dieses Licht eine hohe Biokompatibilität aufweist – anders als etwa UV-Licht, das Zellen schädigen kann. Mithilfe verschiedener Lichtfarben können unterschiedliche Proteine gesteuert werden – einige Proteine etwa durch blaues, andere wiederum durch rotes oder grünes Licht. „Insbesondere der Einsatz von dunkelrotem Licht ist für uns erstrebenswert, da es eine hohe Penetrationskraft besitzt, die vor allem für medizinische Anwendungen unter der Haut nützlich sein kann.“

„Light-controlled Systems“ heißt folglich ihre Arbeitsgruppe, deren zentrales Thema die Photoschaltbarkeit von Zellen und Materialien ist. Das bedeutet, dass die Forscherinnen und Forscher Licht als Reiz nutzen, um unterschiedliche Prozesse und Proteine zu aktivieren. Die genetische Grundlage dieser Proteine, also ihre DNA, stammt von Pflanzen, die Licht für die Kontrolle von Stoffwechselprozessen nutzen. Die Forscher passen die DNA an und bauen sie in Kolibakterien ein, die das Protein erzeugen. In einem mehrstufigen Verfahren extrahiert das Team die Proteine und verarbeitet sie zu einem Material, genauer gesagt zu einem Hydrogel. Diese Substanz ist einerseits wasserunlöslich, kann andererseits Wasser binden. Im Labor wird das Hydrogel mit Licht bestrahlt, die Proteine nehmen ihre Arbeit auf, wodurch das Gel beispielsweise von einem festen in einen flüssigen Zustand wechseln kann.

Die Doktorandin Saskia Frank arbeitet im abgedunkelten Labor und unter Nutzung von rotem Licht mit einem Hydrogel aus fluoreszierenden Proteinen.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Die Doktorandin Saskia Frank arbeitet im abgedunkelten Labor und unter Nutzung von rotem Licht mit einem Hydrogel aus fluoreszierenden Proteinen.
© WWU - Peter Leßmann
Ziel ist es, verschiedenartige Proteine zu einem System zu verbinden und mehrere Reize und Reaktionen zu koppeln. „Eine bessere Kontrolle als durch Licht gibt es nicht“, betont die Biochemikerin. „Es ermöglicht eine sehr gute räumliche und zeitliche Steuerung des Materials“. Räumlich etwa könnten gezielt auch kleinste Bereiche angesteuert und so Muster aktiviert werden. In zeitlicher Hinsicht ist Licht ohnehin unschlagbar: Mit Lichtgeschwindigkeit gibt das Team Impulse in das Gel, dauerhaft oder getaktet. Durch Ein- und Ausschalten rufen sie so Zustände gezielt hervor oder stoppen sie. Andere Reize, etwa chemische oder mechanische, sind nicht so zielgenau einsetzbar. „Wir haben durch das Licht die Möglichkeit, die Materie und ihre Eigenschaften zu micromanagen, also mit Mikrometerpräzision zu steuern“, hebt sie die Vorteile hervor. Schrittweise soll das lichtempfindliche Material intelligenter werden, indem es sich an vorherige Reize erinnert oder auf unterschiedliche Reize in Kombination reagiert.

Seraphine Wegner freut sich, im SFB ihre Erfahrungen einbringen und durch die fächerübergreifende Zusammenarbeit Neues entdecken zu können. Nach ihrem Studium in Ankara sowie Studien- und Forschungsaufenthalten in Chicago, Peking, Heidelberg und Mainz ist sie formal gesehen vor allem Chemikerin – allerdings sieht sie sich als eine solche, „die sich für biologische Prozesse interessiert und diese nachbaut“, sagt sie und lacht. „Licht ist die Hauptenergiequelle unseres Lebens“ – und hinter allen biologischen Prozessen stecke Chemie.

André Bednarz

Dieser Text stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 1. Juni 2022

 

Sonderforschungsbereich (SFB) 1459 Intelligent Matter

Um intelligente Materie herzustellen, ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Bereichen wie Physik, Chemie, Materialwissenschaften, Biologie und Informatik erforderlich. 26 Arbeitsgruppen der WWU Münster, des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin und der Universität Twente arbeiten im Sonderforschungsbereich (SFB) 1459 zusammen, um dieses Vorhaben zu realisieren. Dabei untersuchen sie verschiedene Materialklassen: Moleküle, weiche Materialien wie Polymere und Festkörper. Ziel ist es, Materie intelligent zu machen.

Kontakt: Dr. Christina Kriegel (Geschäftsführerin), Telefon: 0251 83-34521, E-Mail: ckriegel@uni-muenster.de

 

Terminhinweis

Das „First Münster Symposium on Intelligent Matter“ findet am 22. Juni ab 9.50 Uhr im Center for Soft Nanoscience (SoN) der WWU Münster statt. Internationale Experten stellen dabei ihre Arbeiten auf diesem Gebiet vor. In einer Postersession erläutern SFB-Angehörige die Fortschritte in ihren Projekten.

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