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Münster (upm/kk)
Voll jovel: Selbst wenn es meimelt, fahren Münsteraner mit ihrer Leeze.<address>© WWU - Sophie Pieper</address>
Voll jovel: Selbst wenn es meimelt, fahren Münsteraner mit ihrer Leeze.
© WWU - Sophie Pieper

„Masematte stärkte die Zusammengehörigkeit“

Sprachwissenschaftler Helmut Spiekermann über die münstersche Sondersprache

Leeze, Lowine oder jovel: Diese drei Begriffe aus der Sondersprache Masematte kennen wohl die meisten Münsteranerinnen und Münsteraner. Viele andere Begriffe des regionalen Soziolekts sowie Hintergründe über die Nutzung und Entwicklung sind in Vergessenheit geraten. Kathrin Kottke sprach mit Prof. Dr. Helmut Spiekermann vom Germanistischen Institut der WWU über die geheime dritte Sprache von Münster.

Was versteht man unter Masematte?

Masematte ist eine Sondersprache mit vielen Wörtern aus dem Rotwelschen, Jiddischen, Romanes und Niederdeutschen. Die Sprache der ‚kleinen Leute‘ wurde vor allem in Münsters Arbeitervierteln gesprochen – etwa im Kuhviertel, Pluggendorf oder Klein-Muffi, also im heutigen Herz-Jesu-Viertel. Viele Bewohner dort waren Juden, Sinti und Roma. Sie haben das Deutsche mit ihren eigenen Vokabeln vereint. Masematte galt neben Hochdeutsch und Westfälisch, also dem Münsterländer Platt, als dritte Sprache von Münster.

Wie alt ist die Sprache?

Erste Beschreibungen stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, etwa um 1870. Wann die Sprache genau entstand, ist spekulativ, da es keine schriftlichen Zeugnisse gibt.

Und wozu wurde Masematte verwendet?

Als eine Art Geheimsprache diente sie einerseits zur Abschirmung gegen Außenstehende bei geschäftlichen Tätigkeiten wie auch gegenüber Polizei und Behörden. Andererseits stärkte sie die Zusammengehörigkeit und die Identifikation mit einer bestimmten Personengruppe, ähnlich wie es heute bei der Jugendsprache zu beobachten ist.

Spielt Masematte denn heute noch eine Rolle in Münster?

Während des Zweiten Weltkriegs wurden die meisten Sprecher von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet, ihre Stadtviertel zerstört. Seitdem ist Masematte weitgehend verschwunden. Nur einzelne Wörter sind in der Alltagssprache erhalten geblieben und gewinnen in der münsterschen Stadtgesellschaft zunehmend an Bedeutung. Wir sprechen hier von einer sogenannten ‚Sekundär-Masematte‘.

Was genau bedeutet das?

Die ursprüngliche Form der Masematte existiert nicht mehr. Das heutige Sekundär-Masematte hat eine andere Struktur und Funktion. Die Sprechergruppe ist eine gänzlich andere. Ein paar Begriffe tauchen vor allem in studentischen und jugendsprachlichen Milieus auf.

Ist Masematte also heutzutage eine Art ‚Spaßsprache‘?

Status und Kontext der Sprache haben sich grundlegend verändert. Das kulturelle Wiederaufleben im Karneval oder in der Kulturszene Münsters sorgt dafür, dass sie erhalten bleibt. Im Kontext der Erinnerungskultur und Traditionspflege halte ich das für sehr wichtig. Es wäre aber etwas anderes, wenn Masematte vermehrt im Alltag von Familien oder unter Freunden gesprochen werden würde.

Was interessiert Sie aus sprachwissenschaftlicher Perspektive besonders?

Mit Blick auf Münster ist der Sprachwandel besonders spannend. Historisch gesehen, galt die Stadt als dreisprachig. Diese Kombination und das Nebeneinander von Sprachen hat sich stark verändert. Heutzutage ist Münster mehr oder weniger eine hochdeutsche Stadt. Bestimmte Gebrauchskontexte, in denen Niederdeutsch oder Masematte vorkommen, sind dennoch erhalten geblieben. Und genau diese Veränderungen versuchen wir aus variationslinguistischer Perspektive zu verstehen.

Zum Beispiel?

Dabei spielen die Struktur, Nutzung und Funktion der Sprache eine Rolle. Von ursprünglich knapp 2.000 Masematte-Vokabeln sind ein vermutlich ein paar Duzend übriggeblieben. Davon sind nur knapp zehn Wörter allgemein bekannt. Uns interessiert unter anderem, warum sich bestimmte Begriffe wie jovel oder Leeze durchgesetzt haben. Wer verwendet diese Wörter in welchem Kontext? Beispiele sind Kneipen- und Clubnamen, Produktbezeichnungen oder bestimmte Fan-Gruppen, zum Beispiel von Preußen Münster.

Verwenden Sie selbst Wörter aus der Sondersprache, und haben Sie ein Masematte-Lieblingswort?

Ich integriere immer mal wieder Begriffe in meine Alltagssprache. Besonders gefällt mir das Wort meimeln – das passt so gut zum regnerischen Münster.

Dieses Interview stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 2. Februar 2022.

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