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Münster (upm/ch)
Dr. Meret Huber interessiert sich für die Frage, ob sich Teichlinsen auch ohne genetische Veränderungen an Stressfaktoren über Generationen hinweg anpassen können.<address>© WWU - Christina Hoppenbrock</address>
Dr. Meret Huber interessiert sich für die Frage, ob sich Teichlinsen auch ohne genetische Veränderungen an Stressfaktoren über Generationen hinweg anpassen können.
© WWU - Christina Hoppenbrock

Entengrütze als ideales Forschungsobjekt

Wissenschaftlerteam untersucht Mechanismen der nicht genetischen Vererbung bei der Teichlinse

Biologie-Doktorandin Alexandra Mireya Chávez Argandoña wirkt konzentriert. Sie sitzt in einem Labor im Institut für Evolution und Biodiversität (IEB) der WWU. Vor ihr auf dem weißen Tisch sind durchsichtige, verschlossene Plastikschälchen aufgestapelt. Dahinter steht ein aufgeklappter Laptop mit einer langen Excel-Tabelle auf dem Bildschirm. Rechts befindet sich eine hell erleuchtete, vorne offene Box mit einer eingebauten Kamera. Links auf dem Labortisch stehen zwei Styroporboxen, die flüssigen Stickstoff enthalten.

Alexandra Chávez öffnet das erste Schälchen. In seinem Inneren schwappt Wasser. Darauf schwimmen kleine runde Pflanzen: Teichlinsen, genauer gesagt Exemplare der Vielwurzeligen Teichlinse, umgangssprachlich auch Entengrütze genannt. Die Doktorandin stellt die Schale in die Kamerabox und macht ein Foto. Die übrigen Behälter folgen; Foto für Foto erscheint auf dem Bildschirm des Laptops. Zwei, drei Schälchen schimmern auffällig grün. „Hier sind winzige Algen gewachsen, das kommt schon mal vor, obwohl das Wasser eigentlich steril ist. Ich notiere mir, welche Proben betroffen sind. Das muss ich später bei der Auswertung berücksichtigen“, sagt Alexandra Chávez.

Rückblick, einige Wochen zuvor: Dr. Meret Huber kniet auf dem Gelände des ehemaligen Arzneipflanzengartens des Instituts für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie an der Hittorfstraße vor einer Reihe kleiner Wasserbecken, alle voller Teichlinsen einer einzigen genetischen Linie. „Uns interessiert, ob sich Pflanzen auch ohne genetische Veränderungen an Stressfaktoren wie Kupferüberschuss über Generationen hinweg anpassen können“, erklärt sie. Die Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen betreut gemeinsam mit Prof. Dr. Shuqing Xu vom IEB die Doktorarbeit von Alexandra Chávez.

Meret Huber öffnet den Deckel eines Beckens, in dem Teichlinsen in Wasser mit erhöhter Kupferkonzentration wachsen. Sie deutet auf markierte Bereiche. Dort wird immer der erste Nachkomme der jeweiligen Pflanze fortgepflanzt, Generation für Generation, unabhängig davon, wie gut dieser Nachkomme wächst. „Diese Pflanzen sind unter keinem Selektionsdruck. Sie können aber über nicht-genetische Vererbung die Stressresistenz der Nachkommen beeinflussen“, sagt Meret Huber. „Im Labor haben wir bereits gesehen, dass das Wachstum in verstärkt kupferhaltigem Wasser die Resistenz gegenüber diesem und anderen Stressfaktoren über mindestens zehn Generationen hinweg verändern kann. Genetische Veränderungen spielen dabei keine Rolle.“

„Die zugrundeliegenden molekularen Ursachen aufzudecken, ist eine Herausforderung.“
Dr. Meret Huber

Selektion und genetische Vererbung – diese Mechanismen sind im Sinne der Evolutionstheorie von zentraler Bedeutung. Sie tragen dazu bei, dass nachfolgende Generationen an die jeweiligen Umweltbedingungen angepasst sind und sich möglichst erfolgreich fortpflanzen. Die Überlegung, welche Bedeutung die nicht genetische Vererbung hat, rückt jedoch mittlerweile auch in den Fokus der Forschung.

Meret Huber deutet auf die restlichen Pflanzen in dem Wasserbecken. „Dies sind die Nachkommen jener Wasserlinsen, welche besonders gut im kupferhaltigen Wasser wachsen konnten. Indem wir die Kupfer-Resistenz dieser Pflanzen mit derjenigen der einzeln fortgepflanzten Wasserlinsen vergleichen, können wir herausfinden, ob Selektion auf nicht-genetische Merkmale zu Resistenzbildung führen kann.“

Die vererbte genetische Ausstattung kommt in diesem Fall nicht als Grundlage der Anpassungen infrage, weil das Erbgut identisch und auch über Generationen hinweg außerordentlich stabil ist. Welche nicht-genetische Faktoren könnten eine Rolle spielen? Sind es Mikroben oder Substanzen, welche an die Nachkommen weitergegeben werden? Oder wird die Zugänglichkeit der DNA verändert und somit die Aktivität einzelner Gene moduliert? „Die zugrundeliegenden molekularen Ursachen aufzudecken, ist eine Herausforderung“, betont Meret Huber.

Teichlinsen im Glasbehälter<address>© MünsterView</address>
Teichlinsen im Glasbehälter
© MünsterView
Teichlinsen sind ein ideales Forschungsobjekt. Die kleinen Pflanzen vermehren sich vegetativ, das bedeutet, sie bilden genetisch identische „Ableger“. Innerhalb weniger Tage lassen sich mehrere Generationen züchten, ohne dass die Nachkommen sich von ihren Elterngenerationen im Hinblick auf das Erbgut unterscheiden. Ein weiteres Plus: Die Pflanzen lassen sich leicht unter Laborbedingungen kultivieren. Die Arbeitsgruppe von Shuqing Xu bewahrt im Keller des Institutsgebäudes einen besonderen Schatz auf: In einem Brutschrank sind in Glaskolben mehr als 240 verschiedene Linien der Vielwurzeligen Teichlinse untergebracht. Die Proben stammen aus aller Welt. Jede Linie hat ihre ganz besonderen genetischen Eigenheiten – und ein Großteil der Genome ist bereits sequenziert, die genaue genetische Ausstattung ist also bekannt.

Alexandra Chávez verwendet vor allem Linien aus Südostasien für ihre Laborversuche, weil sich bei diesen Pflanzen deutliche nicht-genetische Anpassungseffekte über die Generationen hinweg als Reaktion auf eine erhöhte Kupferkonzentration gezeigt haben. „Ich interessiere mich unter anderem für die Frage, welche Effekte auf molekularer Ebene nachweisbar sind. Dies könnte beispielsweise eine DNA-Methylierung sein“, erklärt Alexandra Chávez. Eine Methylierung ist eine chemische Markierung der DNA, die die Aktivität von Genen steuern kann.

Zurück im Labor: Nachdem Alexandra Chávez die Teichlinsen fotografiert hat, entnimmt sie die Pflanzen aus den Schalen, tupft sie vorsichtig trocken und füllt sie in verschließbare kleine Gefäße. Dabei notiert sie sorgfältig, um welche Generationen es sich handelt und wie hoch der Kupfergehalt im Wasser war. Sie wiegt jede Probe. Anschließend friert sie sie in einer der Styroporboxen in flüssigem Stickstoff ein, um sie später untersuchen zu können. Auch die Fotos wird sie genau auswerten, um beurteilen zu können, wie gut die Pflanzen gewachsen sind. Jetzt muss sie aber zunächst ins Labor nebenan an die Sterilbank. Dort setzt sie neue Teichlinsen-Proben an. In acht Tagen wird es soweit sein: Dann hat jeder Ableger zwei Folgegenerationen gebildet und die nächste „Ernte“ im Labor steht an.

Autorin: Christina Hoppenbrock

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 6. Oktober 2021.

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