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Münster (upm/kk)
Glücklich wie die Kuh auf der Weide – in der Milchwirtschaft ist Weidehaltung keine Selbstverständlichkeit.<address>© Adobe Stock</address>
Glücklich wie die Kuh auf der Weide – in der Milchwirtschaft ist Weidehaltung keine Selbstverständlichkeit.
© Adobe Stock

Verantwortung für alle Lebewesen

Interdisziplinäres Vorhaben zu einem ethisch vertretbaren Umgang mit Tieren

Eine Gorilla-Mama, die ihr Neugeborenes im Arm wiegt. Kühe, die im Frühjahr ins Freie auf die Weide stürmen. Der schwanzwedelnde Hund, der sein Frauchen oder Herrchen begrüßt. Handelt es sich in diesen Fällen um Fürsorge, Freude oder Liebe? Der Philosoph René Descartes verkündete im 17. Jahrhundert: Tiere hätten nur Instinkte, aber keine Gefühle. Verhaltensbiologische Untersuchungen legen inzwischen nahe, dass alle Säugetiere grundlegende emotionale Zustände wie Furcht, Wut, Traurigkeit, Zuneigung oder Freude teilen.

Mehr als drei Jahrhunderte nach Descartes‘ These wird die Frage nach einem ethisch vertretbaren Umgang mit Tieren von vielen Menschen immer dringlicher gestellt – etwa für Haustiere, Zoo- oder Zirkustiere, landwirtschaftliche Nutztiere oder experimentelle Versuchstiere. Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Philosophie, Biologie, Medizin und Theologie geht dieser zentralen Frage auf den Grund. Das Projekt „3T – Tierschutz, Tierwohl und Tierethik“ verbindet Grundlagenforschung und Forschungspraxis, vernetzt einschlägige Forschungsaktivitäten an der WWU und schärft durch Wissenstransfer die gesellschaftliche Sensibilität für den Tierschutz. Es ist eins von aktuell elf „Topical Programs“, die das Rektorat der Universität Münster fördert.

„Das Bewusstsein für Tierschutz und Tierwohl hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sagt Prof. Dr. Sylvia Kaiser vom Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie der WWU. „Denn das Zusammenleben mit Tieren und die Abhängigkeit von Tieren betrifft alle Lebensbereiche der Menschheit.“ Beispielsweise werde in Zweifel gezogen, ob die Tierhaltung in Zoos und Zirkussen artgerecht sei. Auch Aspekte einer gesunden und ethisch vertretbaren Ernährung habe heute für viele Menschen einen höheren Stellenwert als noch vor wenigen Jahren.

Viele Debatten seien jedoch sehr emotional geprägt und sachlich verzerrt. Daher ist es ein zentrales Anliegen von „3T“, mehr Objektivität und wissenschaftliche Erkenntnisse in die Diskussionen zu bringen, Aufklärung zu schaffen und Vorurteile abzubauen. „Zahlreiche Wissenschaftler an der WWU beschäftigen sich schon lange mit den Themen Tierwohl, Tierschutz und Tierethik“, erläutert Arnulf von Scheliha, Professor für theologische Ethik an der WWU und Initiator des Topical Program. Das Projekt ermögliche es, die jeweiligen Expertisen zusammenzuführen, miteinander ins Gespräch zu bringen und kritisch abzugleichen.

Im Zentrum stehen drei Workshops, die sich mit dem Zusammenspiel von „3T“ befassen. Für den ersten Workshop Anfang Juli würden Personen aus den Bereichen Landwirtschaft, Jagd, Pferdesport, Heimtier und Zoo eingeladen, kündigt Arnulf von Scheliha an. „Wir möchten gemeinsam tierschutzrelevante Fragen und Probleme in den verschiedenen Anwendungs- und Nutzungskontexten identifizieren und mit Blick auf Fragen des Tierwohls und der Tierethik diskutieren.“

Die Ergebnisse aus den Workshops sollen ein größeres Forschungsvorhaben anstoßen, beispielsweise ein gemeinsamer Antrag für eine DFG-Forschergruppe. „Wir verstehen uns als Speerspitze einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich nach den Workshops erweitert“, unterstreicht Sylvia Kaiser. „Wir möchten in die Universität und in die Region wirken.“

Alle Interessierten der WWU haben die Möglichkeit, sich der Initiative anzuschließen. Im kommenden Wintersemester findet eine öffentliche Ringvorlesung statt. „Der Wissens-transfer ist in diesem Fall so wichtig, weil der Umgang mit Tieren ein Gradmesser für die Humanität einer Gesellschaft darstellt – natürlich unter Berücksichtigung wirtschaftlicher, politischer sowie persönlicher Interessen“, sagt Arnulf von Scheliha. „Das Thema geht alle Menschen an“, betont Sylvia Kaiser. „Wir haben eine Verantwortung gegenüber allen Lebewesen auf unserem Planeten.“

Autorin: Kathrin Kottke

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung „wissen|leben“ Nr. 4, 16. Juni 2021.

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