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Münster (upm/ch)
Norbert Sachser ist Seniorprofessor für Verhaltensbiologie an der WWU. 2018 veröffentlichte er das Sachbuch „Der Mensch im Tier“, das es auf Anhieb auf die „Spiegel“-Bestsellerliste schaffte.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Norbert Sachser ist Seniorprofessor für Verhaltensbiologie an der WWU. 2018 veröffentlichte er das Sachbuch „Der Mensch im Tier“, das es auf Anhieb auf die „Spiegel“-Bestsellerliste schaffte.
© WWU - Peter Leßmann

Optimist aus Veranlagung

Verhaltensbiologe statt Rockstar: Auch als Seniorprofessor engagiert sich Norbert Sachser für Tiere und die Natur

Rockstar oder Fußballprofi: Norbert Sachser erschienen diese Berufswünsche attraktiv, damals Ende der 1960er Jahre, mit 15. Zu seinen Vorbildern zählten Eric Clapton und Günter Netzer, aber auch bereits – das kann man als frühen Hinweis auf seine spätere Karriere deuten – der berühmte Verhaltensbiologe Konrad Lorenz. Heute, rund ein halbes Jahrhundert später, ist Norbert Sachser Seniorprofessor für Verhaltensbiologie an der WWU und wissenschaftlich international renommiert. Spätestens seit der Veröffentlichung seines Sachbuchs „Der Mensch im Tier“, das es nach seinem Erscheinen 2018 auf Anhieb auf Platz 13 der „Spiegel“-Bestsellerliste schaffte, ist er einem breiten Publikum bekannt.

Auf der Facebook-Seite der WWU wurde Norbert Sachser einst als „Meerschweinchen-Papst“ bezeichnet. Der inzwischen 66-Jährige nahm es – typisch Norbert Sachser – mit Humor. Tatsächlich hat er den kleinen Nagetieren einen großen Teil seines Forscherlebens gewidmet. Durch Studien an verschiedenen Arten von Wildmeerschweinchen zeigte er, wie ausgefeilt das Sozialverhalten dieser Tiere ist. Mit seinem Team entdeckte er zudem eine in Bolivien beheimate, bis dahin nicht beschriebene Meerschweinchenart – das „Münstersche Meerschweinchen“, wie es heute offiziell heißt. Doch über die Publikumswirksamkeit der Meerschweinchen gerät häufig in Vergessenheit, dass Norbert Sachser über etwa 30 Tierarten geforscht hat. Das Zusammenspiel zwischen Genen, Umwelt und Verhalten sowie die Themen Individualisierung, Stress und Wohlergehen von Tieren gehören zu seinen Steckenpferden.

Die Nobelpreise, die Institutsgründung in Bielefeld – plötzlich war es möglich, Verhaltensbiologie zu studieren. Wir hatten an dem neuen Institut beste Bedingungen. Es herrschte eine Aufbruchstimmung.“

Aufgewachsen ist Norbert Sachser auf dem Lande, in Enger in Ostwestfalen, einige Kilometer nördlich von Bielefeld. Hunde, Katzen, Kaninchen, Hühner und Hamster waren seine Freunde und Gefährten. 1974, nach dem Abitur und einer Rucksackreise durch die Türkei, den Iran und Afghanistan, war für Norbert Sachser längst klar: Fußballprofi und Rockstar sind beruflich aus dem Rennen. Ein Jahr zuvor hatten mit Konrad Lorenz, Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen drei bedeutende Verhaltensforscher gemeinsam den Nobelpreis erhalten. An der Universität Bielefeld war gerade der erste Lehrstuhl für Verhaltensbiologie in Deutschland eingerichtet worden, geleitet von Norbert Sachsers späterem Doktorvater Prof. Dr. Klaus Immelmann. „Die Nobelpreise, die Institutsgründung in Bielefeld – plötzlich war es möglich, Verhaltensbiologie zu studieren. Wir hatten an dem neuen Institut beste Bedingungen. Es herrschte eine Aufbruchsstimmung“, erinnert sich Norbert Sachser.

Nach der Promotion in Bielefeld ging Norbert Sachser für eine Assistentenstelle an die Universität Bayreuth und habilitierte sich dort. 1994 erhielt er einen Ruf an die WWU, zunächst als Professor für Zoologie, später wurde daraus eine Professur für Verhaltensbiologie. In seiner Anfangszeit in Münster schlief er im damals maroden Institutsgebäude an der Badestraße häufig zwischen Zementsäcken auf einer Luftmatratze. So konnte er die mit Sanierungsarbeiten beauftragten Handwerker früh morgens in Empfang nehmen.

Zunächst war seine Professur mit einer einzigen Assistentenstelle ausgestattet, die sich zwei Doktorandinnen teilten – eine davon Sylvia Kaiser, heute ebenfalls Professorin an der WWU. Ein Meilenstein auf dem Weg zum international sichtbaren Zentrum für Verhaltensbiologie war die Ausrichtung der „First European Conference on Behavioural Biology“, die auf Betreiben von Norbert Sachser 2002 mit etwa 600 Teilnehmern in Münster stattfand und eine neue Tagungstradition in Europa begründete.

„Er ist ein exzellenter Wissenschaftler, der die Gabe hat, Begeisterung zu vermitteln, mit viel Gespür für Menschen. Ein Doktorvater, wie man ihn sich wünscht; er hat uns einerseits viele Freiheiten überlassen und anderseits in entscheidenden Momenten die Verantwortung übernommen“, beschreibt Dr. Niklas Kästner, ehemaliger Doktorand und Gründer des Online-Magazins „ETHOlogisch – Verhalten verstehen“, seinen Doktorvater Norbert Sachser. Zehn ehemalige Absolventinnen und Absolventen haben inzwischen selbst Professuren im In- und Ausland, viele weitere vermitteln ihr Wissen an eine breitere Öffentlichkeit, beispielsweise als Journalisten oder Kuratorinnen und Kuratoren in Museen oder Zoos. Sie alle sind wichtige Multiplikatoren, die weiter forschen beziehungsweise die Erkenntnisse der Forschung weitertragen.

Wie sieht der Arbeitsalltag als Seniorprofessor heute aus? „Vorhin habe ich mit zwei Kolleginnen ein Manuskript zum Thema Tierpersönlichkeit besprochen, gestern Abend fand die Begutachtung unseres Antrags auf Verlängerung des Transregio-Sonderforschungsbereichs 212 statt. Danach hatte ich ein Gespräch mit meinem Lektor, es ging um mein nächstes populärwissenschaftliches Buch.“ Kaum hat Norbert Sachser es gesagt, klingelt sein Telefon. Rektor Johannes Wessels ruft an, es geht erneut um den Verlängerungsantrag.

Genug zu tun hat Norbert Sachser also auf jeden Fall. Als Seniorprofessor hat er mehr beratende Funktionen als vorher, beispielsweise als Vorsitzender der münsterschen Allianz für Wissenschaft und als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats am Fachbereich Life Sciences der Universität Wien. Und obwohl es manchmal schwer ist, die Balance zwischen allem zu finden – mehr Zeit für Dinge, die vorher manchmal zu kurz gekommen sind, hat er jetzt auch: Freunde treffen, Lesen, Musik hören, zusammen mit seiner Frau Kunst und Kultur genießen und nach der Pandemie wieder reisen, um mit Menschen aus den verschiedensten Ländern im Gespräch zu bleiben.

Die Verhaltensforschung hatte innerhalb der Biologie immer das Image einer ‚soft science‘. Wir wurden von Kollegen aus anderen Bereichen belächelt. Ich habe es mit Humor genommen und als Ansporn gesehen.“

Die Forschung von Norbert Sachser und seinem Team hat dazu beigetragen, dass sich die Sicht auf Tiere maßgeblich geändert hat. Hieß es noch in den 1970er Jahren, Tiere könnten nicht denken, ist heute bei zahlreichen Tierarten Denkvermögen nachgewiesen. Zudem hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Emotionen von Tieren wissenschaftlich fundiert untersucht werden können. Parallel zu dieser Entwicklung änderte sich der Ruf der Verhaltensbiologie. „Die Verhaltensforschung hatte innerhalb der Biologie immer das Image einer ‚soft science‘. Wir wurden von Kollegen aus anderen Bereichen belächelt. Ich habe es mit Humor genommen und als Ansporn gesehen“, sagt Norbert Sachser, der vielleicht gerade wegen des schweren Stands der Verhaltensbiologie immer betonte, wie wichtig es ist, wissenschaftlich fundiert zu arbeiten.

Norbert Sachser beschreibt sich selbst als „Optimist aus genetischer Veranlagung“. Fragt man ihn nach seinen Wünschen für die Zukunft, zählt er auf: „Gesund bleiben und weiter das spannende Leben führen, das meine Frau und ich die ganzen Jahrzehnte geführt haben. Die Wissenschaft soll nach wie vor unbedingt dazugehören. Und ich will dazu beitragen, dass Menschen achtsamer mit Tieren und der Natur umgehen.“

Christina Hoppenbrock

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 16. Juni 2021.

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