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Münster (upm)
Gemeinsam gegen Tuberkulose: Dieses Plakat wurde während einer Werbe- und Aufklärungswoche im Jahr 1949 in Münster aufgehängt.<address>© Stadtarchiv Münster</address>
Gemeinsam gegen Tuberkulose: Dieses Plakat wurde während einer Werbe- und Aufklärungswoche im Jahr 1949 in Münster aufgehängt.
© Stadtarchiv Münster

Neue Bedrohung nach dem Weltkrieg

Münster kennt den Kampf gegen Pandemien – eine Erinnerung an die Tuberkulose-Bekämpfung ab 1945

Unter dem Eindruck der aktuellen Coronakrise gerät eine weitere, vor allem über die Atemwege übertragbare Infektionskrankheit in Vergessenheit: die Tuberkulose. Dabei fallen dieser alten „Volkskrankheit“ immer noch mehr als eine Million Menschen jährlich zum Opfer. Glücklicherweise kann sich Deutschland heutzutage zu den sogenannten Niedriginzidenz-Ländern zählen. Aber auch hier kam es 2015 wieder zu leicht steigenden Fallzahlen – und das erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg. Dies weckte auch in Münster die Erinnerung an 1945 und die unmittelbare Nachkriegszeit, als das Mycobacterium tuberculosis eine große gesundheitliche Bedrohung darstellte und die Tuberkulose-Bekämpfung in der politischen Tagesordnung weit nach oben rückte.

Münster war zu Kriegsende so stark zerstört, dass sich ein US-amerikanischer Major beim Einmarsch in die ausgebombte Innenstadt an das ruinenhafte Pompeji erinnert fühlte. Nach den zahlreichen Luftangriffen war ein Großteil der Bevölkerung in die ländliche Umgebung geflohen, sodass sich im April 1945 kaum mehr als 23.000 Menschen in der „toten Stadt“ aufhielten. Neben der großen Wohnungsnot entstanden weitere hygienische Probleme durch zerstörte Abwasserleitungen und eine nur noch rudimentäre Gesundheitsversorgung, deren nationalsozialistischer Überbau sich in Auflösung befand. Ein weiterer Tiefpunkt war erreicht, als im April 1947 nur eine Kalorienmenge von 672 kcal pro Person über die offiziellen Lebensmittelkarten verteilt werden konnte. Vor diesem Hintergrund wurde befürchtet, dass sich Infektionskrankheiten unter der mangelernährten und geschwächten Bevölkerung rasch ausbreiten könnten. Zu den besonders vulnerablen Gruppen zählten die schlecht versorgten Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten, die teilweise als „Seuchenträger“ angesehen und dadurch zusätzlichen Ressentiments ausgesetzt waren.

Dr. Miriam Karsten<address>© Roland Krampitz</address>
Dr. Miriam Karsten
© Roland Krampitz
Der Anstieg der Tuberkulose-Morbidität und -Mortalität zeichnete sich bereits zu Beginn der 1940er Jahre ab. Der Höchststand von 2.245 Krankheitsfällen wurde schließlich 1948 vermeldet, was damals circa 2,4 Prozent der Bevölkerung entsprach. Die statistische Erfassung und Koordination der Tuberkulosebekämpfung unterlag dem städtischen Gesundheitsamt mit einer angegliederten Fürsorgestelle, während die eigentliche Therapie in den Krankenhäusern und insbesondere den Lungenheilstätten vorangetrieben wurde. Eine wichtige Kontrollfunktion kam der britischen Besatzungsmacht zu, die mit ihrem Engagement in der Tuberkulosebekämpfung vor allem auch den Schutz des eigenen Personals im Blick hatte. Dabei wurde die Tuberkulose sowohl aus britischer als auch aus deutscher Sicht als Ausdruck der katastrophalen sozialen Lebensumstände gesehen. Allerdings führten britische Tuberkulose-Experten die damalige Notlage stärker auf die Kriegsfolgen und die verfehlte nationalsozialistische Gesundheitspolitik zurück als ihre deutschen Kollegen. Diese verstanden eher das Kriegsende 1945 als Einschnitt und Ausgangspunkt der vermehrten Tuberkuloseausbreitung.

Für die Münsteraner hielt insbesondere das Jahr 1949 einige Ereignisse bereit, die eine entscheidende Rolle in der Tuberkulose-Bekämpfung spielen sollten. So wurde Münster zum Schauplatz des Deutschen Tuberkulose-Kongresses, der sogar mit Beteiligung ausländischer Forscher abgehalten wurde – keine Selbstverständlichkeit vier Jahre nach Kriegsende. Bei dieser Veranstaltung konnte sich vor allem die Medizinische Fakultät der Universität Münster als Gastgeberin präsentieren und den so wichtigen wissenschaftlichen Austausch wiederbeleben. Der Kongress fand ein großes öffentliches Interesse und führte auch zu Diskussionen über eine Verbesserung der therapeutischen Möglichkeiten.

Eine Schlüsselrolle fiel dabei den neuen Antibiotika zu, an deren Einsatz der münstersche Nobelpreisträger Gerhard Domagk großen Anteil hatte. Das von ihm entwickelte Conteben war bereits 1946 in der Fachklinik Hornheide erfolgreich eingesetzt worden und legte den Grundstein für die moderne, primär medikamentöse Therapie der Tuberkulose. In präventiver Hinsicht wurden große Hoffnungen auf die Tuberkuloseimpfung gesetzt. Der BCG-Impfstoff, benannt nach den französischen Forschern Calmette und Guérin, kam nach dem Zweiten Weltkrieg großflächig zum Einsatz.

Um die freiwillige Impfung populärer zu machen, wurde sie zum wichtigen Aspekt einer Aufklärungs- und Werbewoche, die unter dem Motto „Kampf gegen Tuberkulose“ in Nordrhein-Westfalen abgehalten wurde und teilweise parallel zum Tuberkulose-Kongress stattfand. Neben dem Sammeln von Spenden sollte die Bevölkerung für fortbestehende Infektionsgefahr und Gegenmaßnahmen wie die freiwillige Schutzimpfung sensibilisiert werden. Weil durch die Impfung vor allem frühe Infektionen vermieden werden sollten, wurden Kinder und deren Eltern zu Haupt-Adressaten der Aufklärungswoche. So wurden in den Schulen beispielsweise Aufsätze rund um das Thema Tuberkulose geschrieben und Elternabende mit lokalen Gesundheitsexperten ausgerichtet. Auch die Westfälischen Nachrichten druckten ein Interview mit dem Leiter des städtischen Gesundheitsamtes, in dem er die Eltern ermutigte, ihre Kinder immunisieren zu lassen. Schließlich konnten von Dezember 1949 bis Januar 1950 ungefähr 6.000 Kinder und Jugendliche geimpft werden.

Welchen Anteil hatte die Impfung am Rückgang der Krankheit? Das ist schwierig zu sagen. Neben den neuen Antibiotika waren es wohl vor allem der Wiederaufbau und die Überwindung der sozialen Notlage, die der Tuberkulose in Münster ihren Schrecken nahmen.

Autorin Dr. Miriam Karsten hat über „Tuberkulose und Gesundheitsversorgung in Münster in der Nachkriegszeit (1945-1949)“ promoviert. Zeitzeugen, die sich an die von ihr geschilderte Tuberkulose-Bekämpfung erinnern, können sich gerne in der Redaktion melden.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung „wissen|leben“ Nr. 3, 19. Mai 2021.

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