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Jeder Tag eine kleine Erfüllung: Werner Freitag blickt mit Dankbarkeit auf seine Jahre an der WWU zurück.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Jeder Tag eine kleine Erfüllung: Werner Freitag blickt mit Dankbarkeit auf seine Jahre an der WWU zurück.
© WWU - Peter Leßmann

In Grenzen stets grenzenlos geforscht

Mit Werner Freitag geht der einzige Professor für vergleichende Landesgeschichte in Westfalen in den Ruhestand

Als gebürtiger Westfale ist Prof. Dr. Werner Freitag unverdächtig, gefühlsselig oder gar kitschig über seinen Werdegang zu sprechen – obwohl es durchaus Anlass dafür gäbe. Als junger Erwachsener, so viel sei vorweg verraten, lag die Vorstellung, Hochschulprofessor zu werden, außerhalb seiner Vorstellungskraft. Mit Mitte 30 träumte der Historiker von einer bestimmten Stelle: der Professur für Westfälische Landesgeschichte in Münster. Im Juli dieses Jahres geht Werner Freitag nach 17 Jahren auf ebendiesem Posten in den Ruhestand.

Werner Freitag stammt aus einem bildungsfernen Elternhaus in Rheda-Wiedenbrück. Seine Eltern legten dem Sohn nach der Realschule ans Herz, „etwas Ordentliches zu lernen“. Ein Studium der Geschichte, für die er sich schon in der Schule interessierte, zählte nicht dazu. Also machte Werner Freitag eine Lehre zum Textillaboranten. „Als Kind der 70er eröffnete mir der damalige Bildungsaufbruch zum Glück die Möglichkeit, das Abitur nachzuholen und ein Studium zu beginnen“, erzählt er. Lehrer wollte er nicht werden, also studierte er auf Magister. „Das war damals ein ungewöhnlicher und unsicherer Karriereweg.“ Seinen beruflichen Werdegang zeichnet sich dennoch durch eine bestechende Geradlinigkeit aus. „In meiner Karriere hat sich vieles gefügt. Damals wollte ich schlicht meiner Leidenschaft nachgehen“, erinnert er sich.

Alles, was mit Ortsgeschichte und der Historie der engeren Region zu tun hatte, faszinierte Werner Freitag. Seine erste Stelle trat er als Stadthistoriker in Spenge an, einer Kleinstadt im ostwestfälischen Kreis Herford. Dort leitete er ein „Oral-History“-Projekt zur Alltagsgeschichte der Stadtbevölkerung. „Ich sprach mit Senioren über ihre Erfahrungen in der Nazi-Zeit, ihre Arbeit, soziale Ungerechtigkeit und Religion“, berichtet Werner Freitag. Es prägte ihn, die Menschen als Mitglieder einzelner Gruppen in einer gemeinsamen Region wissenschaftlich zu betrachten. „Es waren natürliche Schritte von der Orts- über die Stadt- hin zur Regional- und Landesgeschichte, die meine Schwerpunkte wurden.“

Nach der Promotion und Habilitation in Bielefeld führte sein Karriereweg als Professor zunächst für sieben Jahren an die Universität in Halle, vor 17 Jahren wechselte er an die WWU. Noch heute ist Werner Freitag der einzige Professor für westfälische und vergleichende Landesgeschichte in Westfalen. „Auf dem Weg zur Professur gibt es viele Unwägbarkeiten und Zweifel, ob man es schafft“, erzählt er.

„Landesgeschichte ist in Grenzen unbegrenzt“, zitiert der Historiker ein Motto der Landesgeschichte. Man könne innerhalb regionaler Grenzen epochenübergreifend forschen. Westfalen sei der Oberbegriff, der viele regionale Verschiedenheiten und Besonderheiten in sich vereine: Regionen, kirchliche Milieus, Geschichts- und Städtelandschaften. „Die Vielfalt und Brüche der Makro-Geschichte hat man in der Landesgeschichte auf kleinem Raum“, erklärt der 65-Jährige. Spannend sei zudem, dass es bis 1803 kein „Groß-Westfalen“ gab – keine westfälische Hauptstadt, sondern nur Territorien, kein Königreich Westfalen oder einen territorialen Kern wie in Bayern oder Sachsen. „Es gab über alle Epochen hinweg eine große regionale Vielfalt – konfessionell, kulturell und wirtschaftlich. Das ist sehr reizvoll“, findet Werner Freitag.

Diese Vielfalt in Verbünde einzubringen, ist Werner Freitag eine Herzensangelegenheit: Nicht nur an der Uni in Sonderforschungsbereichen oder in Kooperation mit dem Exzellenzcluster Religion und Politik, sondern auch außerhalb der WWU. Werner Freitag ist 2. Vorsitzender der Historischen Kommission für Westfalen und hält landesgeschichtliche Vorträge in Geschichtsvereinen oder der Volkshochschule. „Ich wollte nie im eigenen wissenschaftlichen Klein-Klein hängenbleiben, sondern Synergieeffekte nutzen.“ Ein Beispiel ist die Debatte des Clusters über Ambiguitäten, also religiöse Uneindeutigkeiten. „Ich publizierte eine Monografie zur Reformationsgeschichte in Westfalen und nahm ein Kapitel über Uneindeutigkeit, also Mischliturgien, auf. Darauf wäre ich ohne diese Kooperation nie gekommen“, betont er.

Zudem inspiriere ihn die vielen Reaktionen von Bürgern während seiner Vorträge und Ausstellungen. Die Synergien nutzt der Historiker auch in der Lehre. „Sie ist bei mir immer projektorientiert“, unterstreicht Werner Freitag. Der örtliche Archivar in Warendorf öffnete seine Türen für ein Seminar, in dem die Arbeit mit Heimatliteratur und Handschriften im Mittelpunkt stand. „Ich möchte den Studierenden möglichst schnell eine mögliche Hemmung nehmen. In der Gruppe funktioniert das am besten. Es entstehen Abschlussarbeiten, die wiederum den ortsgeschichtlichen Diskurs voranbringen.“ So sei ein Sammelband über die westmünsterländische Textilindustrie und die Beziehungen zu den Niederlanden entstanden.

Auf ein persönliches Vermächtnis legt Werner Freitag keinen Wert. „Jeder ist ersetzbar“, betont er westfälisch nüchtern. Die einzige Professur für vergleichende Landesgeschichte in Westfalen bleibt der WWU in jedem Fall erhalten, die Gespräche zur Nachbesetzung laufen.

Dass seine Herkunft und Leidenschaft seinen Werdegang maßgeblich geprägt haben, ist unbestritten. Genauso werden die Jahrzehnte als Forscher Werner Freitags Leben als Pensionär beeinflussen. Er wolle auch im Ruhestand forschen und sich ehrenamtlich engagieren. Es habe viele Höhepunkte gegeben. Es freue ihn besonders, dass „jeder Tag an der WWU eine kleine Erfüllung war“. Sein beruflicher Traum ist Wirklichkeit geworden, daher rühren ihn besonders die Gedanken an Promotionsfeiern seiner Studierenden: „Jede bestandene Disputation war ein besonderer Moment. Ich habe mich für die talentierten jungen Leute am Beginn ihrer Karriere enorm gefreut.“

Autorin: Hanna Dieckmann

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 14. April 2021.

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