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Münster (upm/jah)
Prof. Dr. Susanne Günthner (l.) und Isabella Buck.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Prof. Dr. Susanne Günthner (l.) und Isabella Buck.
© WWU - Peter Leßmann

Wie redet man über das Sterben?

Germanistinnen untersuchen Kommunikation in der Palliativmedizin

Wie möchte ich sterben? Möchte ich noch einmal nach Hause? Welche Medikamente möchte ich noch bekommen? Mit solchen und ähnlichen Fragen sehen sich Patientinnen und Patienten auf einer Palliativstation konfrontiert. Die sensiblen Gesprächsthemen stellen das Klinikpersonal vor große Herausforderungen. Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zur Kommunikation in der Palliativmedizin am Germanistischen Institut der WWU nimmt diese Gesprächssituationen nun unter die Lupe. Unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Günthner vergleicht Doktorandin Isabella Buck die Kommunikation von Ärzten und Pflegekräften.

Angeregt hatte das Projekt vor zwei Jahren Prof. Dr. Martin Bentz vom Klinikum Karlsruhe. Der Leiter der dortigen Palliativstation hatte festgestellt, dass Gespräche zwischen ärztlichen Fachkräften und erkrankten Personen anders verliefen als zwischen dem Pflegepersonal und den Erkrankten. Bei der täglichen Teamsitzung führte dies zu unterschiedlichen Auffassungen der Personen und ihrer Wünsche. „Diese Unterschiede können beispielsweise durch die höhere Hierarchieebene der Ärztinnen und Ärzte entstehen oder dadurch, dass Pflegekräfte mehr Zeit mit den Kranken verbringen“, erläutert Isabella Buck.

20 Wochen war die Germanistin auf der Karlsruher Palliativstation, um den Unterschieden auf die Spur zu kommen. Um die Dialoge möglichst wenig zu beeinflussen, deponierte sie an den Krankenzimmern Aufnahmegeräte, die mit einem Clip ausgestattet waren. „Das Klinikpersonal konnte sich das eingeschaltete Gerät anheften und die Erkrankten ungestört betreuen“, erklärt Isabella Buck. Rund 860 Dialoge zeichnete sie auf diese Weise auf – ein wertvoller Datenfundus. „Bei einem so sensiblen Thema authentische Gespräche aus dem Alltag aufnehmen zu können, ist außergewöhnlich“, erzählt Susanne Günthner. „In anderen Studien werden häufig nur Interviews mit dem Klinikpersonal geführt, die wenig über die tatsächliche Gesprächssituation aussagen“, ergänzt Isabella Buck.

Ein erstes Ergebnis ihrer Untersuchung: Nur in 33 der Gespräche der Ärzte und nur in einem Gespräch der Pflegekräfte mit den Erkrankten geht es explizit ums Sterben – weit häufiger geht es um Schmerzen und Medikamente. Insgesamt sind die Dialoge ähnlicher als sie zunächst annahm. „Auch die durch die Literatur gestützte Annahme, dass das Pflegepersonal durch einen engeren Kontakt zu den Betroffenen eher über Emotionen redet und ärztliche Fachkräfte rational die Behandlung besprechen, bestätigen meine Ergebnisse nicht“, sagt die Sprachwissenschaftlerin. Stattdessen reden die Ärzte genauso wie Pflegekräfte mit Erkrankten über Emotionen oder blocken dies ab.

In Workshops, die Isabella Buck mit WWU-Kolleginnen am Klinikum Karlsruhe gibt, helfen ihre Erkenntnisse den Medizin-Studierenden im Praktischen Jahr beim Kommunikationstraining. Anhand der Gesprächsprotokolle lernen sie etwa, wie sie den Erkrankten gegenüber Verständnis äußern können. „Kommunikation auf einer Palliativstation ist enorm wichtig. Insbesondere fachfremde Forschungsergebnisse können interessante Erkenntnisse für die Palliativmedizin liefern“, betont Prof. Dr. Philipp Lenz, Leiter der Palliativmedizin am Universitätsklinikum Münster (UKM). Am UKM lernen die Studierenden die Kommunikation vor allem im Studienhospital, indem sie etwa mit Schauspielern üben, schlechte Nachrichten zu überbringen.

Diese Art Training ist ein fester Bestandteil im Studium, im späteren Berufsalltag gibt es dagegen weit weniger Weiterbildungsangebote. „Ich würde mir wünschen, dass die Gesprächsführung auch im Berufsleben eine wichtige Stellung einnimmt und entsprechende Fortbildungen angeboten werden“, unterstreicht Philipp Lenz. Isabella Bucks Arbeit kann dabei eine Hilfe zur Selbsthilfe sein. „Ich möchte Kommunikationsroutinen sichtbar machen, die dem Klinikpersonal vielleicht nicht bewusst sind“, erklärt sie. „Das Team hat so die Chance, die Kommunikation neu zu bewerten und selbstständig zu verbessern.“

Jana Haack

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 14. Oktober 2020.

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