"Digitalisierung betrifft grundlegende Fragen unseres Zusammenlebens"
Künstliche Intelligenz, Algorithmen, Datentransfer: Die Digitalisierung verändert die Bedingungen unseres Lebens und Handelns von Grund auf. Sie bringt enorme Vorteile, aber auch neuartige Gefährdungen. An welchen Regeln unsere Gesellschaft sich orientieren sollte beim Versuch, die Umbrüche der digitalen Moderne zu gestalten, ist am 17. August Thema einer internationalen Konferenz bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin. Es ist zugleich die Auftaktveranstaltung für das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Ethik der Digitalisierung“. Warum das Thema so wichtig ist, fragte Juliane Albrecht den Philosophen und Ethik-Experten der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), Dr. Eberhard Ortland.
Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht ein solches, vom Bundespräsidenten unterstütztes Forschungsprojekt?
Es ist höchste Zeit, dass die Debatte über die ethischen Fragen und über die Konflikte, die durch die Entwicklung und den verbreiteten Einsatz der digitalen Informationstechnologien aufgeworfen werden, ins Zentrum der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit rückt. Denn es geht um Fragen, die die Bedingungen unseres Zusammenlebens grundlegend betreffen. Es geht um Handlungsspielräume, Chancen und Risiken für die Gesellschaft als ganze, aber auch für jeden und jede Einzelne. Dazu gehört wesentlich die Frage, welchen Gebrauch die jeweiligen Akteure und Interessenten von den neuen technischen Möglichkeiten machen dürfen oder sollten, und welche Rechte und Pflichten wir anzuerkennen haben und einfordern können.
Warum brauchen wir eine Ethik für die digitale Welt?
Eine Zunahme von Moral-Kommunikation ist, wie der Tübinger Philosoph Otfried Höffe gezeigt hat, der Preis der Moderne: Weil wir uns die Freiheit herausnehmen, Sachen zu machen, die noch nie gemacht wurden, sehen wir uns mehr denn je vor Entscheidungen gestellt, bei denen wir kein lang bewährtes Sensorium dafür haben, was zu tun richtig oder falsch wäre, und die Risiken steigen enorm. Damit steigt der Bedarf an Beratung, an Empfehlungen und Warnungen – und an kritischen Analysen der Empfehlungen und Warnungen sowie an Auseinandersetzungen um die Kriterien, an denen wir uns in solchen Fragen orientieren sollten. Dies gilt insbesondere für die digitalen Informationstechnologien, das 'Internet der Dinge', den zunehmenden Einsatz automatisierter Entscheidungs-Algorithmen oder Informationsasymmetrien durch Big-Data-Analysen, um nur einige Beispiele anzusprechen.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten drei Aspekte eines solchen Forschungsprojektes?
Einigkeit und Recht und Freiheit. Recht und Freiheit sind die gerade auch in ethischer Hinsicht maßgeblichen Prinzipien. Diese Prinzipien müssen allerdings konkretisiert werden im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen der Digitalisierung. Das Berliner Projekt will genau solche anwendungsbezogenen Konkretisierungen erarbeiten. Das Stichwort Einigkeit verweist auf das grundlegende politische Erfordernis, dass wir die Verwirklichung und Weiterentwicklung von Recht und Freiheit in einem derart umfassenden, weltumspannenden Prozess wie der Digitalisierung nicht werden erreichen können, wenn es uns nicht gelingt, uns über einige grundlegende Fragen mit zahlreichen Akteuren zu verständigen, mit denen wir im Übrigen in vielen Fragen keineswegs einig sind und die auch schon längst nicht mehr primär Englisch sprechen.