Neue Serie über besondere Gebäude an der WWU: Studieren in historischer Kulisse
Bei einem Spaziergang durch das münstersche Kreuzviertel lädt der Studtplatz zu einer kleinen Pause auf einer Bank ein: Alter Baumbestand und sanierte Altbauten säumen die kleine Grünfläche. Schnell fällt der Blick auf eine repräsentative Villa aus rotem Klinker, die an der Ecke Wüllnerstraße/Hedwigstraße steht. Eine feine, eine besondere Adresse – seit über 20 Jahren ist das neobarocke Gebäude Sitz des Instituts für Ethnologie der WWU.
Die Villa wurde 1927 als Generalsvilla für Major a.D. Freiherr von Landsberg errichtet. Nach dessen Auszug ging der repräsentative Bau in den Besitz der Familie von Ketteler, ein bekanntes westfälisches Adelsgeschlecht, über. In Kriegszeiten nutzte das Rote Kreuz das Gebäude, von 1955 bis 1993 residierten der britische Verbindungsoffizier und zwischenzeitlich die Mitarbeiter des britischen Arbeitsamts in der schmucken Villa. Seit 1991 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Mitte der 1990er-Jahre erwarb das Land Nordrhein-Westfalen die rund 400 Quadratmeter große Villa und stellte sie der WWU zur Verfügung. Als das damalige Seminar für Völkerkunde, das zuvor ein paar Häuser weiter an der Studtstraße untergebracht war, in die Villa einzog, löste sich eine unbefriedigende Raumsituation: Die alte Bibliothek befand sich bisher im Keller, zusätzliche Räume waren im Nachbarhaus angemietet worden.
Ein stilvoller Balkon, Türklinken mit reich verzierten Rosetten, Flügeltüren und Erker, Parkettboden mit Geschichte und geschwungene Treppenläufe aus dunklem Holz – obwohl die Villa mittlerweile mit klassischer Büroausstattung und teilweise mit dunklem Teppich ausgestattet worden ist, spüren die rund 440 Studierenden die Patina aus vergangenen Zeiten. Der Waschraum erinnert mit seinem holzverkleideten Waschtisch an die britischen Vorbesitzer.
Im Erdgeschoss reihen sich großzügige Säle aneinander. Wo sich einst Gäste trafen und zum Essen in den Speisesaal defilierten, befinden sich heute das Sekretariat des Instituts für Ethnologie sowie eine kleine Bibliothek. Albert Rodon weiß vor allem die gute Ausstattung der Bibliothek zu schätzen. „Hier finde ich die Literatur, die ich für mein Studium brauche“, erzählt der spanische Austauschstudent, der als studentische Hilfskraft am Institut arbeitet. „Und meistens sind nur zwei bis drei Personen gleichzeitig hier. Da geht es an meiner Heimuniversität in Barcelona deutlich hektischer zu.“ Im Erkerzimmer mit Blick auf den begrünten Hof können sich Studierende in ruhiger Atmosphäre zum Lernen treffen.
Besonders die einfach verglasten Sprossenfenster aus weiß lackiertem Holz stechen sofort ins Auge. Sie lassen sich per Seilzug vertikal öffnen und erinnern an Filmszenen von Laurel und Hardy der 1940er-Jahre. Besonders in Großbritannien und den Niederlanden waren die „Schiebefenster“ im 19. Jahrhundert weit verbreitet. Durch das gemäßigte Klima machte die Tatsache, dass diese nicht dicht schlossen, nicht viel aus. Bei Wind oder starken Böen schlugen die Fenster nicht zu und ermöglichten in feuchtem Klima eine exakt dosierbare Lüftung. Die Holzfenster erfreuten sich also offensichtlich auch im bekanntermaßen oft regnerischen Münsterland der 1920er-Jahre reger Beliebtheit. Noch heute sind sie voll funktionsfähig und geben den Räumen des Instituts das gewisse Etwas.
Das Obergeschoss beherbergt mehrere kleine Seminarräume und Büros, insgesamt arbeiten hier rund 20 Personen. Prof. Dr. Dorothea Schulz blickt aus ihrem Bürofenster auf den halbkreisförmigen Balkon und grünes Blätterwerk. „In diesem historischen und ruhigen Ambiente lässt es sich sehr gut arbeiten“, schwärmt sie. „Es geht hier sehr familiär zu.“ Aufgrund der Statik und der geringen Raumgröße dürfen sich in den Seminarräumen nur etwa 20 bis 25 Personen gleichzeitig aufhalten. Die Räume werden deshalb vor allem für Seminare und Kolloquien genutzt, größere Vorlesungen finden in anderen Universitätsgebäuden statt.
Im Untergeschoss nutzen Studierende die Küche der Fachschaft gerne zum Klönen, sie mutet fast wie das Zentrum einer Wohngemeinschaft an. Sogar die Tür zum alten Küchenaufzug gibt es noch, im Hinterzimmer der heutigen Fachschaftsküche wohnte damals die Köchin. Ein bisschen Feuchtigkeit liegt in der Luft, nach einem Gewitter war 2007 der Keller des auf Sand erbauten Gebäudes vollgelaufen. Heute ist der Raum Dreh- und Angelpunkt für Studierende, die auch außerhalb der Seminare viel Zeit in der Villa verbringen. „Besonders die Master-Studierenden sind gerne hier“, meint Albert Rodon. „Viele von ihnen kommen aus dem Ausland, für sie ist das Institut wie eine kleine Familie.“ Denn hier lasse es sich wunderbar studieren, aber eben auch freie Zeit verbringen.
Sina Tegeler
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, Mai 2020.