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Münster (upm)
Die Vertreter chinesisischer Institutionen zeigten während der &quot;Sino-german Cooperation Conference&quot; in Jinan großes Interesse an einem Informations- und Erfahrungsaustausch mit WWU-Pressesprecher Norbert Robers (l.)<address>© privat</address>
Die Vertreter chinesisischer Institutionen zeigten während der "Sino-german Cooperation Conference" in Jinan großes Interesse an einem Informations- und Erfahrungsaustausch mit WWU-Pressesprecher Norbert Robers (l.)
© privat

An China führt kein Weg vorbei

Zahlreiche WWU-Wissenschaftler pflegen Kontakte / Diplomaten empfehlen Sensibilität beim Wissensaustausch

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Seit dem Jahr 2000 haben sich Schätzungen zufolge die staatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung in China verzehnfacht. In keinem Land der Erde veröffentlichten parallel dazu die Forscher mehr wissenschaftliche Publikationen, wie eine Auswertung von rund 17 Millionen Fachartikeln zwischen 2013 und 2018 ergab. Die Volksrepublik scheint fest entschlossen, nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch wissenschaftlich als Weltmacht zu agieren – an Förder- und Drittmittel-Milliarden soll es ebenfalls nicht scheitern. „China will auf möglichst vielen Wissenschaftsfeldern in der ersten Liga spielen“, betont die Direktorin des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingerichteten chinesisch-deutschen Zentrums für Wissenschaftsförderung in Peking, Dr. Karin Zach.

China habe 16 „Mega-Bereiche“ definiert und hole gezielt Top-Forscher aus dem Ausland zurück, die 42 chinesischen Elite-Universitäten seien bestens ausgestattet. „Die Staatsführung hat die Forschung als Zukunftsthema entdeckt“, ergänzt ein deutscher Diplomat in Peking. „Viele europäische Hochschulen und Wissenschaftler wissen längst: An China führt kein Weg vorbei.“

Wohl wahr: Auch an der Universität Münster pflegen zahlreiche Wissenschaftler, Institute und Fachbereiche seit vielen Jahren intensive Kontakte ins Reich der Mitte. Ob Naturwissenschaftler, Theologen, Batterieforscher, Geologen, Mathematiker, Betriebswirte, Mediziner oder Philosophen – die Vielfalt der chinesisch-münsterschen Kooperationen ist groß.

Prof. Dr. Harald Fuchs ist dabei im wahrsten Sinne des Wortes ein Mann der ersten Stunde. Der Physiker und Nanotechnologie-Experte koordinierte den ersten deutsch-chinesischen Transregio-Sonderforschungsbereich, er zählt zu den Gründungsmitgliedern des Herbert-Gleiter-Instituts in Nanjing, er arbeitete an einer von der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften gemeinsam veröffentlichten Erklärung zur Grundlagenforschung entscheidend mit, vor wenigen Wochen zeichnete ihn die chinesische Regierung mit dem „Friendship Award“ als der höchsten Auszeichnung für ausländische Experten aus. Auch Harald Fuchs ist beeindruckt von der Dynamik des chinesischen Wissenschaftssystems, vor allem in den Materialwissenschaften, auf dem Feld der Quantensysteme und auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. „China war bislang stark auf die Anwendung fokussiert. Aber mittlerweile entwickelt sich das Land auf einzelnen Feldern zu einem ernsthaften Konkurrenten in der Grundlagenforschung“, betont er. „Es würde mich nicht wundern, wenn in drei bis fünf Jahren ein Nobelpreisträger aus China kommt.“

Die chinesischen PostDocs brächten viel Wissen mit, berichtet Harald Fuchs. Sie seien ausgesprochen ehrgeizig, weil sie wüssten, dass sie mittlerweile mit ihren Fähigkeiten gutes Geld in China verdienen könnten. Die meisten von ihnen hätten klare Ziele vor Augen: eine Professur und idealerweise eine Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften, denn dies bedeute nicht nur den Anspruch auf lebenslange Laborflächen, sondern sei auch eine entscheidende Vorstufe für die weitere Karriere.

Auch Prof. Dr. Susanne Günthner, die ab 1983 fünf Jahre lang an verschiedenen Universitäten in China arbeitete und seit 2017 Leiterin der Germanistischen Institutspartnerschaft mit der Xi‘an International Studies University im Westen Chinas ist, lobt die chinesischen Studierenden als „motiviert, wissbegierig und durchaus diskussionsfreudig“.

Ob man will oder nicht: Auch wer „nur“ über Chinas Wissenschaftsambitionen diskutiert, kommt um den vermeintlichen oder tatsächlichen politischen Einfluss in dem autoritären System nicht herum. Während die einen vergleichsweise zurückhaltend argumentieren („Wer gut ist, ist auch in der Partei“), warnen andere vor Blauäugigkeit. „Man sollte sensibel dafür sein, mit wem man spricht und sein Wissen teilt“, unterstreicht Karin Zach. Die „regelrechte Hysterie“ über Wissenschaftsspionage teile sie gleichwohl nicht. Dem pflichtet Harald Fuchs bei: „Sensibilität ist immer ein guter Ratgeber – ich kenne allerdings in der Grundlagenforschung kein Beispiel für Ideenklau.“

Deutsche Diplomaten haben einen anderen Blick auf China. „Auch die Wissenschaft ist der Staatsideologie verpflichtet“, betont ein chinakundiger Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, der namentlich nicht genannt werden möchte. Das bedeute seiner Beobachtung nach konkret, „dass es keinerlei Wissenschaftsfreiheit“ gebe, dass die Partei in der Wissenschaft ihr Prinzip der „totalen Kontrolle“ verfolge, dass beim Austausch von Studierenden und Forschern „nichts dem Zufall überlassen“ bleibe und die Kadertreue im Vordergrund stehe, und dass das starke Interesse an Physik- und Künstliche-Intelligenz-Themen nicht zuletzt auf eine militärische und politische Zweitverwertung ausgerichtet sei. „Wir können nur eindringlich empfehlen, bei gemeinsamen Projekten klare Vereinbarungen abzuschließen, die man bei Nicht-Einhaltung sofort kündigt.“

Auch bei den Wirtschaftsvertretern, die an der „Sino-german Cooperation & Communication Conference 2019“ im staatseigenen Shandong-Hotel in Jinan Kontakte zu chinesischen Firmen suchen, ist der staatliche Einfluss und Wissenshunger ein beherrschendes Thema. Rund 700 Repräsentanten loten zwei Tage lang in der Millionen-Metropole Kooperations- und Investitionspotenziale aus. „Die Bedenken über ein mögliches Aussaugen deutscher Unternehmen teile ich nicht“, unterstreicht Tim Wenniges, Geschäftsführer beim Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg, in seiner Eröffnungsrede und verweist auf mittlerweile 8.000 deutsche Unternehmen, die in China präsent seien.

Am Nachmittag bieten die Gastgeber in der „Goldenen Halle“ eine Art Speed-Dating zum Kennenlernen und Ausloten der gegenseitigen Interessen an. Tang Riling, die für ein örtliches „Innovation Center“ arbeitet und den WWU-Tisch „D 7“ besucht, bekräftigt ihr großes Interesse, mit deutschen Hochschulen in der Biomedizin, Elektrotechnik und zu Fragen der Künstlichen Intelligenz zusammenarbeiten zu wollen – die „herausragende deutsche Ausbildung“ hat es ihr besonders angetan. Und woran denkt sie sonst beim Stichwort Deutschland? Sie lächelt. „An die Qualität der deutschen Autos.“

Autor: Norbert Robers

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 18. Dezember 2019.

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