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Münster (upm/jah)
Auch zukünftig bedarf es bei der Organspende einer ausdrücklichen Zustimmung des Spenders - zum Beispiel durch einen Organspendeausweis.<address>© adobe.stock -  Alexander Raths</address>
Auch zukünftig bedarf es bei der Organspende einer ausdrücklichen Zustimmung des Spenders - zum Beispiel durch einen Organspendeausweis.
© adobe.stock - Alexander Raths

Kontroverse Reaktionen auf Entscheidung des Bundestags zur Organspende

Medizinethikerin und Theologe der WWU geben Bewertung ab

Der Bundestag hat am 16. Januar mehrheitlich gegen eine radikale Reform der Organspende votiert. Die Abgeordneten lehnten den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zugunsten einer sogenannten doppelten Widerspruchslösung ab. Jens Spahn hatte vorgeschlagen, dass künftig alle Bürger, die nicht ausdrücklich einer Organspende widersprechen, als Spender gelten sollten. Stattdessen beschloss der Bundestag den Gesetzentwurf, den Grünen-Chefin Annalena Baerbock eingebracht hatte, nach dem die Bürger alle zehn Jahre bei der Ausstellung eines Ausweises auf das Thema Organspende angesprochen werden sollen. Ziel beider Vorschläge ist es, die Zahl der Spender zu erhöhen.

Wir baten Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert, Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin und Dr. Arnulf von Scheliha, Professor für Theologische Ethik und Direktor des Instituts für Ethik und angrenzende Sozialwissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) um ihre Bewertungen:

 

Bettina Schöne-Seifert: „Vertane Chance in der Organspende-Politik“

„Ablehnung der Widerspruchs-, Beibehalten der Zustimmungsregelung: Diese am vergangenen Donnerstag demokratisch und mit starker Mehrheit erfolgte Ent­scheidung unseres Parlaments ist aus meiner Sicht bedauerlich, ja bedrückend. Auch wenn sich letztlich erst in der Praxis hätte erweisen müssen, ob die abgelehnte Regelung die exzeptionell und beklagenswert niedrige deutsche Spenderquote wirklich hätte hochschnellen lassen, wäre dies den Versuch unbedingt wert gewesen. Demgegenüber irritieren viele Argumen­tationen der zahl- und siegreichen Gegner der Widerspruchsregelung nachhaltig.

Vom Sieg persönlicher Selbstbestimmung über die Sozialpflichtigkeit der eigenen Organe war da doch tatsächlich die Rede. Und vom Sieg der Idee eines Liebesgeschenks über eine Nützlichkeitsethik. Das sind wirkmächtige Fehlbe­schreibungen der Alternativen, die da zur Abstimmung standen. Denn klar ist doch: Es geht – so oder so – um die Entscheidung darüber, ob jemand nach dem Tod seine Organe spenden oder mit ins Grab oder Krematorium nehmen möchte. Und so oder so wird die entsprechende Entscheidungsautorität primär dem fraglichen Spender und sekundär seinen Angehöri­gen und niemandem sonst eingeräumt.

Unterschiedlich allerdings wird die Standard­vorgabe (der default) gesetzt: eben als Spenden statt als Nichtspenden. Aber ist diese Vorgabe tatsächlich moralisch anstößig? Ist sie nicht vielmehr ein sanktionsfreier Entscheidungs­anstoß in Richtung eines nach geteilten Wert­vorstellungen zumutbar kleinen Opfers zuguns­ten schwerstkranker Patienten? Entschei­dungen zur tätigen Hilfeleistung für andere liegen oft im Bereich des sozial Erhofften, aber nicht Erzwingbaren, ohne dass ihre gesell­schaftliche ‚Bewerbung‘ im Geringsten heikel erschiene. Welcher post­hume körperliche Integritäts-Romantizismus macht im vorliegen­den Kon­text den Unterschied?

Wir Befürworter der Widerspruchslösung müssen uns im Nachhinein Vorwürfe machen, doch nicht genug zur öffentlichen Debatte beigetragen zu haben: nicht genug gegen unberechtigte Ängste, dogmatische Bewertungen und irreführende Sprachmuster aufgeklärt zu haben. Und auch nicht genug darüber, dass Organ­em­pfänger ohne eigene Spendebereitschaft und eine Nation, die von der Spende­bereitschaft in anderen Ländern netto-profitiert (wie Deutschland es tut), schlicht moralisch Trittbrett fahren.“

 

Arnulf von Scheliha: "Doppelte Widerspruchslösung hätte menschlichen Körper verstaatlicht"

"Aus der Perspektive der Evangelischen Theologie ist die heutige Entscheidung des Deutschen Bundestages zu begrüßen. Die Einführung der doppelten Widerspruchslösung hätte den menschlichen Körper faktisch verstaatlicht. Das widerspricht der reformatorischen Lehre von den zwei Regierweisen Gottes. Diese besagt, dass staatliche Macht den Menschen nur zwingen oder ihm Gewalt antun darf, um akute Bedrohungen abzuwehren oder Unrecht zu bestrafen. Zudem hätte man sich über ernst zu nehmende Bedenken vieler Menschen gegen den sogenannten Hirntod hinweggesetzt, der in der Regel Voraussetzung für eine Organtransplantation ist.

Mit Blick auf die berechtigten Sorgen und dringenden Nöte derjenigen Menschen, die schwer erkrankt sind und auf eines der wenigen gespendeten Organe warten, hat der Bundestag wichtige Schritte in Richtung Aufklärung und Werbung beschlossen, um die allgemeine Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung zu erhöhen. Ethisch gesehen kann dies nur auf Basis einer freien Entscheidung auf informierter Grundlage geschehen. Diesbezüglich können noch weitere Schritte unternommen werden, an denen sich auch die Religionsgemeinschaften und ihre Mitglieder beteiligen können - denn Organspende-Bereitschaft ist Teil christlicher Nächstenliebe und Fürsorge."