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Münster (upm/sr)
Jun.-Prof. Dr. Susann Wicke mit ihren Versuchsobjekten: Tabakpflanzen, die von Sommerwurz befallen und geschädigt sind.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Jun.-Prof. Dr. Susann Wicke mit ihren Versuchsobjekten: Tabakpflanzen, die von Sommerwurz befallen und geschädigt sind.
© WWU - Peter Leßmann

Ein Herz für Schmarotzer

Juniorprofessorin Susann Wicke erforscht die Beziehung von parasitären Pflanzen und ihren Wirten

Sommerwurz, Klappertopf, Teufelszwirn. Es sind nicht nur die klangvollen Namen, die diese Pflanzen gemeinsam haben, sondern auch ihre Lebensweise: Sie leben auf Kosten anderer Gewächse, entziehen ihnen Wasser und Nährstoffe, um die eigene Existenz zu sichern – und haben es damit geschafft, Jun.-Prof. Dr. Susann Wicke in den Bann zu ziehen. Die Biologin hat eine Vorliebe für Pflanzen mit dem gewissen Etwas und ist sich sicher: „Wir wissen noch viel zu wenig über diese faszinierenden Arten. Wie unterscheidet sich zum Beispiel eine Schmarotzerpflanze genetisch von einer ‚normalen‘ Pflanze? Welche evolutionären Anpassungen waren nötig, damit sie überhaupt eine solche Lebensweise entwickeln konnte?“ – Fragen, denen Susann Wicke seit 2012 an der WWU nachgeht, seit zwei Jahren als Leiterin einer Emmy-Noether-Forschungsgruppe. Für ihre Arbeiten erhielt die 37-Jährige in diesem Jahr den Nachwuchspreis der Universitätsgesellschaft.

Meist ist es die Landwirtschaft, durch die Schmarotzerpflanzen in das Blickfeld von Menschen rücken. Vor allem im subsaharischen Afrika und im Mittelmeerraum können sie flächendeckend Getreide- und Gemüsefelder befallen und so zu weltweiten Ernteausfällen in Milliardenhöhe führen. In Deutschland ist es häufig die Mistel, die Schäden in der Forstwirtschaft anrichtet. Die Erforschung von Schmarotzerpflanzen kann daher dabei helfen, geeignete Maßnahmen zu entwickeln, um sie zu bekämpfen. Jedoch haben die oft argwöhnisch beäugten Pflanzen auch überaus gute Seiten: In intakten Ökosystemen verhindern sie, dass sich einzelne Pflanzenarten übermäßig ausbreiten.

Zu den weltweit rund 4.500 Arten von Schmarotzerpflanzen gehört auch die in Europa heimische Sommerwurz, die es Susann Wicke besonders angetan hat. Nicht nur wegen ihrer hübschen Blüten, sondern auch wegen einer besonders raffinierten Eigenschaft: Die Sommerwurz ist ein sogenannter Vollschmarotzer und keimt nur, wenn sie in der Nähe potenzieller Wirte ist. Dabei nutzt sie Signale aus, die ihre Wirtspflanzen eigentlich aussenden, um symbiotische, sprich gleichberechtigte, Beziehungen mit Mykorrhizapilzen oder Bodenbakterien einzugehen.

Es verwundert nicht, dass sich viele dieser Lieblingsschmarotzer von Susann Wicke unter den rund 250 Pflanzen befinden, die sie und ihre zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derzeit im Keller des Instituts für Evolution und Biodiversität beherbergen. Sowohl Wirtspflanzen als auch Parasiten leben dort unter perfekt auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Bedingungen: Hinter den dicken Alu-Türen von Klimaschränken erhalten sie genau die Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Lichtverhältnisse, die sie brauchen. Eine Ägyptische Sommerwurz zum Beispiel verbringt ihre Zeit bei durchgängig angenehmen 25 Grad. Die Pflanzen wachsen in sogenannten Rhizotrons auf – flache, mit Erde gefüllte Behälter aus Glas, die es den Wissenschaftlern ermöglichen, die Aktivitäten und Veränderungen an den Wurzeln direkt zu beobachten. Zum Hintergrund: Viele Parasiten verbinden sich mit den Wurzeln ihrer Wirte, um diese mithilfe speziell ausgebildeter Saugorgane anzuzapfen.

Dass es um den Gesundheitszustand der befallenen Wirtspflanzen ungleich gut bestellt ist, ist sogar für den Laien erkennbar: Einige der Pflanzen in den Klimaschränken zeigen sich in sattem Grün, einige haben bereits deutlich an Stärke verloren. „Es ist unheimlich spannend zu sehen, wie unterschiedlich der Effekt des Parasiten auf eine Wirtspflanze sein kann“, betont Susann Wicke. „In manchen Fällen müssen wir Nährstoffe zufüttern, damit die Wirtspflanze überhaupt überleben kann. Das macht deutlich, wie intensiv die molekularen Interaktionen zwischen Wirt und Parasit sind.“

Neue „Versuchs-Schmarotzer“ warten schon in rund 30 Topfpflanzungen, in denen sie für weitere Studien vermehrt werden. Den Samen hierfür erhalten die münsterschen Forscher aus dem Ausland, meist aus Kenia, Israel oder Frankreich. Eine weitere Aufgabe ist es, die wählerischen Schmarotzer mit ihren bevorzugten Wirten zusammenzubringen: Klee, Tomate, Tabak und die Ackerschmalwand sind einige der Wirtspflanzen, die die Forscher in ihren Versuchen verwenden. „Mit genetisch veränderten Wirten versuchen wir dann herauszufinden, was die essenzielle Genfunktion ist, die das Schmarotzertum begünstigt“, erklärt Susann Wicke.

In Evolutionsversuchen, die über mehrere Pflanzengenerationen und Jahre gehen, wollen sie und ihre Kollegen unter anderem noch weiter herausfinden, welche genetischen Anpassungen eine Pflanze durchlebt, wenn sie zum Schmarotzer mutiert. „Eine andere spannende Frage ist, warum Wirtspflanzen keinerlei Immunreaktion auf Schmarotzer zeigen“, ergänzt die Juniorprofessorin. Damit zählt sie nur eines von vielen Rätseln auf, die sie und die weltweit relativ kleine Gemeinschaft von nur einigen hundert Schmarotzerpflanzenforschern noch entschlüsseln wollen.

Autorin: Svenja Ronge

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben, Nr. 7, November 2019.

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