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Münster (upm/nor)
Prof. Dr. Hubert Wolf<address>© Andreas Kühlken/KNA</address>
Prof. Dr. Hubert Wolf
© Andreas Kühlken/KNA

"Die Öffnung der Vatikan-Archive zu Pius XII. war lange überfällig"

Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf begrüßt Akten-Freigabe / Wie agierte der Papst während der NS-Zeit?

Im März 1939, also vor genau 80 Jahren wurde der Italiener Eugenio Pacelli zu Papst Pius XII. gewählt. Bei einer Audienz zum Jahrestag der Wahl kündigte Papst Franziskus jetzt an, das Geheimarchiv des Vatikans zum Pontifikat von Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs ab März 2020 erstmals für Wissenschaftler zu öffnen. Norbert Robers sprach mit Prof. Dr. Hubert Wolf, Kirchenhistoriker an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), über die Gründe der frühen Freigabe und die Bedeutung für das Seligsprechungsverfahren von Pius XII.

Die Ankündigung von Papst Franziskus, die Akten zu Papst Pius XII. (1939-1958) in einem Jahr freizugeben, hat für Aufsehen gesorgt. Hat auch Sie diese Bekanntgabe überrascht?

Nein. Die Öffnung der Bestände Pius’ XII. im Vatikanischen Geheimarchiv war lange überfällig. Benedikt XVI. hatte schon vor zehn Jahren angeordnet, die Quellen dieses Pontifikats für die Forschung vorzubereiten. Es ist eher überraschend, dass Franziskus so lange gezögert hat.

Was sind Ihrer Einschätzung nach die wichtigsten Gründe für den Papst, die Unterlagen früher als üblich – 70 Jahre nach dem Tod eines Papstes – zu veröffentlichen?

Eine feste Frist für das Zugänglichwerden von Archivalien gibt es im Vatikanischen Archiv anders als etwa in deutschen Staatsarchiven nicht. Ob bestimmte Bestände für die Forschung zugänglich werden oder nicht, liegt allein in der souveränen Entscheidung des Papstes. Der entscheidende Beweggrund ist sicher die Rolle der katholischen Kirche und Pius’ XII. im Zweiten Weltkrieg. Dazu kommt das Thema der Rattenlinie, also die Frage, ob Naziverbrecher wie der Rassenhygieniker Josef Mengele mit Wissen des Vatikans 1945 Pässe zur Ausreise nach Lateinamerika erhalten haben oder nicht. Manche Kommentatoren vermuten sogar eine Ablenkungsstrategie des Papstes, um den derzeitigen Missbrauchsskandal etwas in den Hintergrund treten zu lassen.

Tatsächlich ist bis heute vor allem die Frage umstritten, ob das damalige Oberhaupt der katholischen Kirche allzu stark geschwiegen hat zu den Gräueln der Nazis im Zweiten Weltkrieg oder ob er mit seiner zurückhaltenden Art im Gegenteil zur Rettung vieler Juden beigetragen hat. Welche Meinung vertreten Sie?

Ich hoffe, diese Frage nach gründlicher Sichtung der neuen Quellen beantworten zu können. Bisher können zu beiden Lesarten nur Vermutungen aufgestellt werden. Solche Spekulationen werden nach dem 2. März 2020 hoffentlich nicht mehr notwendig sein.

Hat sich der Vatikan nicht längst festgelegt, in dem er das Verfahren zur Seligsprechung von Pius XII. bereits eingeleitet hat?

Den Vatikan gibt es nicht. Wie die derzeitigen Auseinandersetzungen im Pontifikat von Franziskus zeigen, ringen hier, wie in der ganzen katholischen Kirche, unterschiedliche Richtungen und Parteiungen miteinander. Auch wenn das Seligsprechungsverfahren für Pius XII. weit fortgeschritten ist, kann es jetzt, bevor die ab nächstem Jahr zugänglichen, einschlägigen Quellen ausgewertet sind, eigentlich nicht mehr abgeschlossen werden. Sonst würde die Kirche gegen ihre eigene Ordnung bei Heiligsprechungen und vor allem der Rolle, die in diesem Zusammenhang der Historikerkommission zukommt, handeln.

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