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Münster (upm)
Atemberaubend: Raffaela Busse unter Polarlichtern am Südpol.© Raffaela Busse
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"Das Leben dort ist unglaublich simpel"

Ein Jahr am Südpol: Die Physikerin Raffaela Busse über eine Expedition der besonderen Art

Gefrierbrand an den Fingern, ein Sonnenuntergang, der rund eine Woche dauert und zusätzliche Duschminuten durch freiwillige Extra-Aufgaben bei bis zu minus 75 Grad Celsius: Ein Jahr am Südpol in der „Amundsen-Scott South Pole Station“ hat Raffaela Busse, Astroteilchen-Physikerin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), verändert. Was sie dort im "IceCube"-Observatorium erlebte, wo nach speziellen Neutrinos gesucht wird, erzählte die 28-Jährige jetzt mehreren Journalisten und der WWU-Pressestelle.

Was war Ihr Motiv, ein Jahr lang in der Forschungsstation zu arbeiten?

Die WWU ist dort am "IceCube"-Projekt beteiligt, das sich mit den äußerst seltenen Hochenergie-Neutrinos beschäftigt. Speziell an der Universität Münster werden in einem Projekt Detektoren für eine Weiterentwicklung von "IceCube" entwickelt. Daran habe ich auch vorher schon mitgearbeitet. Angespornt hat mich mein wissenschaftlicher Ehrgeiz: Die Antarktis ist schließlich das größte, unerforschte Gebiet der Erde. Für eine Physikerin ist eine Mitarbeit an einem solchen Projekt schlicht ein Traum. Für den Aufenthalt habe ich mich beim US-amerikanischen "Wisconsin IceCube Particle Astrophysics Center" beworben und wurde glücklicherweise angenommen. Und um es vorwegzunehmen: Es war ein großartiges Erlebnis!

Dazu kommen wir sicher noch im Detail. Aber berichten Sie zunächst kurz, wie und wo sie sich auf diese außergewöhnliche Expedition vorbereitet haben.

Bevor ich in Richtung Südpol aufgebrochen bin, war ich drei Monate lang in den USA, wo ich mich vor allem fachlich vorbereitet habe. Darüber hinaus habe ich in dieser Zeit auch einige medizinische Tests absolviert. Denn man kann sich sicher vorstellen, dass es wichtig ist, dort nur psychisch und physisch stabile Personen arbeiten zu lassen.

Was erhofft man sich wissenschaftlich von "IceCube"?

Das ist wie immer auf dem Gebiet der Grundlagenforschung schwer vorherzusagen. Das war aber seinerzeit auch nicht anders, als man die Elektronen entdeckte – zu diesem Zeitpunkt ahnte auch noch niemand, welche große Bedeutung dieser Fund für uns Menschen haben würde. Neutrinos sind unsere leichtesten Elementarteilchen, deren Masse unbekannt ist und die insgesamt weitgehend unerforscht sind. Neutrinos können uns beispielsweise dabei helfen, Objekte wie schwarze Löcher zu verstehen. Wir wollen wissen, wie Neutrinos funktionieren, was sie ausmacht. Das Problem ist, dass sie kaum Wechselwirkung mit anderen Teilchen eingehen und deswegen schwer zu fassen beziehungsweise zu beobachten sind. Im Jahr misst IceCube nur eine handvoll Teilchen, die von diesen hochenergetischen extragalaktischen Objekten stammen...

Raffaela Busse erzählt, was man am besten alles anzieht, um in der Antarktis einem Gefrierbrand vorzubeugen.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Raffaela Busse erzählt, was man am besten alles anzieht, um in der Antarktis einem Gefrierbrand vorzubeugen.
© WWU - Peter Leßmann
...zum Beispiel am Südpol?

Richtig. Wenn diese Neutrinos auf Eis treffen, gibt es möglicherweise einen Lichtblitz – und im "IceCube"-Observatorium geht es darum, diesen Lichtblitz mit Kameras beziehungsweise Sensoren zu registrieren und festzuhalten. Zu diesem Zweck hat man einen 1,3 Kubikkilometer großen Eisblock ins Eis eingebuddelt – 5.000 umliegende Kameras und Sensoren behalten 365 Tage lang alles im Auge, was dort unten passiert.

Und worin bestand Ihre konkrete Aufgabe dabei?

Ich musste vor allem die 100 Computer, die die Sensoren steuern und die Daten sammeln, am Laufen halten. Ich war also eine Art Technikerin, die Tag und Nacht bereitstand, um eventuelle Ausfälle zu reparieren oder Ersatzteile einzubauen. Darüber hinaus habe ich beim Betanken der Flugzeuge, die dort dann und wann landeten, geholfen. Das hat mir im Übrigen auch ein paar Extra-Duschminuten beschert.

Sind diese Minuten denn so kostbar?

Oh ja, grundsätzlich durfte jeder der 40 Mitarbeiter pro Woche nur vier Minuten lang duschen. Heißes Wasser ist am Südpol ein rares Gut.

Das galt auch für die Privatsphäre, die notgedrungen ein Jahr lang zu kurz kam, oder?

Na klar, es ist nichts wie zu Hause. Manchmal ging mir dort wirklich nahezu alles auf den Wecker, alles nervte phasenweise. Aber immerhin hat dort jeder ein eigenes Zimmer. Zum Entspannen und Zeitvertreib gibt es zudem eine Sporthalle, eine Sauna, ein Gewächshaus, eine Bibliothek und einen Fernsehraum. Mir wurde nie langweilig. Rückblickend und mit Abstand würde ich sagen: Ich habe meine Kollegen wie eine zweite Familie empfunden – es war trotz aller Widrigkeiten so angenehm, dass ich es immer wieder machen würde.

Am Südpol ist man buchstäblich am Ende der Welt. Wie geht man dort mit medizinischen Notfällen um?

Nun ja, das ist ein heikles Thema. Heikel insofern, als dass jeder dort weiß, dass es auch im Fall der Fälle mehrere Wochen dauern kann, bis ein Evakuierungsflugzeug landen kann – wenn es denn überhaupt klappt. Von den enormen Kosten, die solch ein Einsatz kostet, mal abgesehen. Ich musste es glücklicherweise nicht miterleben.

Miterleben durften Sie dagegen die extremen Wetterbedingungen. Wie kalt war es normalerweise?

Das schwankt auf diesem 3.000 Meter hohen Plateau sehr stark. Mal sind es nur minus 20 Grad, meine Tiefsttemperatur lag bei minus 74,8 Grad...

...und selbst dann muss man raus an die frische Luft?

Na klar, man muss sich mindestens von einem Gebäude zum anderen bewegen. Aber dafür hat man schließlich seine Spezialkleidung: zwei bis drei lange Unterhosen zum Beispiel, Astronautenschuhe, oder zwei oder drei Paar Handschuhe, in die man noch Handwärmer stopft. Die Gefahr des Gefrierbrands ist dennoch allgegenwärtig.

Hatten auch Sie darunter zu leiden?

Mehrmals. Aber solange die Fingerkuppen nur weiß und taub sind, ist alles halb so schlimm. Nur dass sie beim Auftauen höllisch wehtun. Weitaus gefährlicher wird es, wenn die Gliedmaßen schwarz werden und vielleicht sogar amputiert werden müssen – aber auch das habe ich nicht miterleben müssen. Aber ich würde gerne auch auf die angenehmen Seiten der Wetterbedingungen hinweisen...

In einem Pressegespräch an der WWU nahm Raffaela Busse Journalisten mit auf eine Reise an den Südpol.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
In einem Pressegespräch an der WWU nahm Raffaela Busse Journalisten mit auf eine "Reise" an den Südpol.
© WWU - Peter Leßmann
...zum Beispiel auf die Polarlichter, oder?

Genau. Das ist wirklich ein fantastisches Spektakel, an dem ich mich nicht sattsehen konnte. Durch die besondere Position dauert dort der Sonnenuntergang eine Woche lang, das war ebenfalls ein Erlebnis. Am Südpol ist es sechs Monate lang hell und sechs Monate lang dunkel. Man erlebt dort die sauberste Luft der Welt, die im Übrigen kaum Feuchtigkeit enthält.

Also reichlich trinken?

Auf jeden Fall – ich habe dort täglich bis zu sechs Liter getrunken und hatte ständig aufgerissene Lippen.

Wie fällt Ihre Bilanz zu dieser besonderen Forschungsreise aus?

Es war vieles in einem: spannend, außergewöhnlich, eine tolle Erfahrung. Und es hat mich wissenschaftlich vorangebracht: Ich schreibe meine Doktorarbeit jetzt über das "IceCube"-Experiment. Und natürlich bringt es auch jeden Teilnehmer persönlich weiter: Wer ein Jahr am Südpol ausgehalten hat, ist nicht mehr derselbe. Wer immer noch derselbe ist, hat irgendetwas falsch gemacht.

Wie meinen Sie das?

Ich habe jetzt einen Koffer an Erfahrungen, die man nirgendwo sonst machen kann. Ich bin gelassener und geduldiger geworden – gegenüber anderen und auch mir selbst gegenüber. Man lernt sich selbst besser kennen und merkt erst, wenn man seine Komfortzone verlässt, was man für eine engstirnige Sicht auf die Welt hat.

Sie sind nach einem Jahr Südpol vor Weihnachten zurückgekehrt. Fiel Ihnen die Eingewöhnung in den Alltag schwer?

Es war für mich persönlich eine große Herausforderung. Sie müssen sich vorstellen: Am Südpol müssen Sie sich um nichts kümmern, was üblicherweise den Alltag ausmacht wie beispielsweise Post lesen, einkaufen, Rechnungen bezahlen. Das Leben dort ist unglaublich simpel, und man gewöhnt sich schnell daran. Von einem auf den anderen Tag soll man wieder so funktionieren, als wäre man nie weg gewesen. Ganz ehrlich? Mich hat das anfangs überfordert. Aber auch diese Phase habe ich überstanden.

Auf was haben Sie sich vor der Rückreise besonders gefreut?

Auf frisches Obst und Gemüse! Ich habe als erstes drei Avocados am Stück gegessen. Das war herrlich. Sehr gefreut habe ich mich aber auch auf vernünftiges Brot und Käse.

Und was hat Ihnen am meisten gefehlt?

Natürlich meine Freunde und Familie. Und meine Pflanzen auf der Fensterbank.

Ein Jahr am Südpol – welche Herausforderung könnte Sie denn jetzt überhaupt noch reizen?

Vielleicht eine Reise in den Weltraum...

 

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