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Münster (upm/kn)
Nachwuchsförderung in Zahlen: Die Promotionsphase versteht das Rektorat der WWU als ersten und wichtigen Schritt der wissenschaftlichen Karriere.<address>© goldmarie design</address>
Nachwuchsförderung in Zahlen: Die Promotionsphase versteht das Rektorat der WWU als ersten und wichtigen Schritt der wissenschaftlichen Karriere.
© goldmarie design

"Uns sind viele ausländische Systeme voraus"

Prof. Dr. Jule Specht von der Jungen Akademie über die Herausforderungen der Nachwuchsförderung für deutsche Hochschulen

Individualpromotion, Graduiertenschule, Juniorprofessur: Der wissenschaftliche Nachwuchs an Universitäten wird vielfältig gefördert. Es gibt zahlreiche Qualifizierungsangebote, die auch für Transparenz und Planbarkeit der Karriere sorgen sollen. Kathrin Nolte sprach mit Prof. Dr. Jule Specht, Mitglied der Jungen Akademie in Berlin und Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, über die Herausforderungen der Nachwuchsförderung für deutsche Hochschulen.

 

Welchen Stellenwert nimmt die Nachwuchsförderung an Universitäten in Deutschland ein?

Zunächst stellt sich natürlich die Frage, wer denn überhaupt zum Nachwuchs zählt. Die Studierenden? Die Zahl der Studierenden ist auf einem historischen Hoch: Noch nie haben so viele Menschen studiert wie heutzutage, und ein immer größerer Anteil eines Jahrganges entscheidet sich für ein Studium. Oder bilden die Doktorandinnen und Doktoranden den Nachwuchs an Universitäten? Auch hier ist zu beobachten, dass deren Anzahl in den vergangenen Jahren immer weiter angestiegen ist, vor allem durch die große Menge an zeitlich befristeten Drittmittelprojekten, die viele zusätzliche Stellen hervorgebracht hat. Rein zahlenmäßig kommt diesem Nachwuchs also ein hoher Stellenwert zu. Häufig werden jedoch auch promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne unbefristete Stelle in der Wissenschaft zum Nachwuchs gezählt. Ein denkbar unpassender Begriff für diese Kolleginnen und Kollegen, die bereits seit Jahren in Forschung und Lehre aktiv sind und zentralen Anteil am wissenschaftlichen Fortschritt haben. Die Beschäftigungsbedingungen und Karriereperspektiven dieser Statusgruppe nehmen in Deutschland meiner Ansicht nach einen zu geringen Stellenwert ein.

 

Jule Specht ist Professorin für Persönlichkeitspsychologiean der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie studierte und promovierte an der WWU und engagiert sich wissenschaftspolitisch in der Jungen Akademie und dem Netzwerk für Wissenschaftspolitik in der SPD.<address>© Jens Gyarmaty</address>
Jule Specht ist Professorin für Persönlichkeitspsychologiean der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie studierte und promovierte an der WWU und engagiert sich wissenschaftspolitisch in der Jungen Akademie und dem Netzwerk für Wissenschaftspolitik in der SPD.
© Jens Gyarmaty
Wodurch zeichnet sich die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der deutschen Hochschullandschaft im Vergleich mit ausländischen Systemen aus?

Durch relativ wenig, denn bei der Förderung der nächsten Generation an Wissenschaftlern sind uns viele ausländische Systeme voraus. Studierende lernen in oftmals überfüllten Studiengängen, das Verhältnis zwischen Studierenden und Professoren ist im internationalen Vergleich desaströs. Doktorandinnen und Doktoranden erhalten zwar – im Vergleich zu einigen anderen Ländern – eine Bezahlung für ihre Tätigkeit, allerdings hierzulande in den meisten Fächern nur anteilig. Wer aber – und das betrifft den Großteil der Promovierenden – auf 50 oder 65 Prozent-Stellen dennoch 40 Stunden pro Woche arbeitet, erhält letztendlich nur einen Netto-Stundenlohn von weniger als zehn Euro. Auch die Zeit nach der Promotion ist durch eine lange Phase von typischerweise mehr als zehn Jahren mit Kettenbefristungen und geringer Chance auf Entfristung gekennzeichnet. Zwar gibt es viele attraktive drittmittelfinanzierte Förderformate für junge Wissenschaftler, beispielsweise den ERC-Starting Grant oder die Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die umfangreiche Gelder für die selbstständige Bearbeitung eines eigenen Forschungsthemas ermöglichen, jedoch bietet das deutsche Wissenschaftssystem selbst für diejenigen, die in diesen Programmen erfolgreich sind, viel zu wenig langfristige Beschäftigungsperspektiven.

 

Was macht eine gute Betreuung von Doktoranden und PostDocs aus?

Das sollten wir sie am besten selbst fragen. Die deutschlandweiten Promovierenden-Netzwerke der Max-Planck-Gesellschaft "PhDnet und N2" haben dazu zum Beispiel interessante Stellungnahmen veröffentlicht. Ich selbst setze als Betreuerin viel auf Selbstständigkeit und Kollegialität und sehe mich vor allem als Impulsgeberin und Mentorin. Rückblickend auf meine eigene Promotionszeit bin ich dankbar, dass ich als Doktorandin an der Universität Münster viel Inspiration bei der gleichzeitig sehr selbstständigen Bearbeitung meines Forschungsthemas erhalten habe und bereits ein Jahr nach meiner Promotion als Juniorprofessorin viele Freiheiten in Forschung und Lehre genießen konnte. Generell bin ich der Meinung, dass befristete, weisungsgebundene PostDoc-Stellen in Tenure-Track-Professuren aufgewertet werden sollten. Eine Betreuung im engeren Sinne kann nach der Promotion gegebenenfalls durch kollegiales Mentoring ersetzt werden.

 

Wie gelingt die Balance zwischen "Abhängigkeit" und Augenhöhe von Doktoranden und Betreuer?

Vor allem, indem die Mehrfachfunktionen von Betreuern abgebaut werden: Diese sind in Deutschland oftmals sowohl weisungsbefugte Geldgeber als auch Mentoren, sowohl zuständig für Gutachten als auch Betreuung. Diese vielfältigen Funktionen können im Konflikt zueinanderstehen und führen letztendlich zu einer unnötig starken Abhängigkeit. Besser wäre es, Promovierende nicht einzelnen Lehrstühlen zuzuordnen, sondern ganzen Instituten, die Betreuung auf mehrere Personen eines Promotionskomitees zu verteilen und die Gutachten von unabhängigen Personen erstellen zu lassen.

 

Wo gibt es Ihrer Meinung nach Verbesserungsbedarf?

Junge Wissenschaftler sind die Zukunft unseres Wissenschaftssystems und sollten auch so behandelt werden. Wenn wir die besten Leute im Wissenschaftssystem halten wollen, dann müssen wir sie angemessen bezahlen und ihnen faire Karriereperspektiven bieten. Für mich bedeutet das: Volle Doktorandenstellen bei voller Arbeitszeit und Tenure-Track-Professuren mit realistischer Chance auf Entfristung bei hervorragender Leistung in Forschung und Lehre statt befristete, weisungsgebundene PostDoc-Stellen ohne Aussicht auf Entfristung. Wenn wir das schaffen, dann wird das gesamte Wissenschaftssystem davon profitieren.

 

Dieses Interview stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 1, Februar / März 2019.

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