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Münster (upm/ch)
Für Haustiere kann falsch verstandene Tierliebe schwerwiegende Folgen haben.<address>© Noemi Thoß</address>
Für Haustiere kann falsch verstandene Tierliebe schwerwiegende Folgen haben.
© Noemi Thoß

"Viele Tiere können planen und denken"

Tobias Zimmermann über unterschätzte Tiere und die Konsequenzen für den Umgang mit ihnen

Das wissenschaftliche Tierbild hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Im neuen Buch „Das unterschätzte Tier“ loten Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Disziplinen in zwölf Beiträgen aus, inwiefern das neue Tierbild den Umgang von Menschen mit Tieren verändert. Die Idee zum Buch entstand im Zusammenhang mit der Veranstaltungsreihe „Der Mensch im Tier – ein Thema für Münster“ an der WWU. Herausgeber sind die Verhaltensbiologen Prof. Dr. Norbert Sachser, Dr. Niklas Kästner und Dr. Tobias Zimmermann. Letzterer gab Christina Hoppenbrock unter anderem Einblicke, wie die Forschung über Tiere den Umgang mit ihnen beeinflusst.

Das Wissen über Tiere ist heute so groß wie nie – inwiefern sind Tiere dennoch unterschätzt?

Die verhaltensbiologische Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich wichtige Erkenntnisse erzielt, die mit vielen Fehleinschätzungen aufräumen. Wir wissen heute zum Beispiel, dass viele Tiere planen und denken können, aufgrund ihrer Erfahrungen einzigartige Persönlichkeiten entwickeln und Emotionen haben, die denen von Menschen erstaunlich ähneln. Solche Erkenntnisse erscheinen vielleicht weniger überraschend, wenn es um vertraute Haustiere geht. Aber das Bemerkenswerte ist, dass sie nicht nur auf Hunde und Katzen, sondern auch auf zahllose andere Arten von Elefanten über Ratten bis zu Hühnern zutreffen – und sich heute all das mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen lässt. In meinen Augen werden viele Tiere in dieser Hinsicht auf gesellschaftlicher Ebene erheblich unterschätzt. Und das hat wiederum elementare Auswirkungen auf unseren Umgang mit ihnen. Daher hoffen wir, dass die unterschiedlichen Blickwinkel in unserem Buch zu einer neuen Sicht auf Tiere führen und dazu beitragen, das eigene Handeln zu überdenken.

Spätestens, wenn es darum geht, den Fleischkonsum einzuschränken oder zuzugeben, dass es dem eigenen Haustier doch nicht so gut geht, ist das Gespräch doch in vielen Fällen beendet – oder was ist Ihre Erfahrung?

Bei der kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema spielt die persönliche Betroffenheit eine wesentliche Rolle. In Bezug auf die landwirtschaftliche Tierhaltung hat das der Tierarzt und Ethiker Jörg Luy in seinem Beitrag anschaulich ausgeführt. Ich bin aber sicher, dass viele Menschen hierzulande den Umgang mit Tieren zunehmend kritisch betrachten. Das lässt sich beispielsweise daran erkennen, dass solche Themen heute in der Öffentlichkeit präsenter sind und kontroverser diskutiert werden als vor einigen Jahren.

Dr. Tobias Zimmermann<address>© Inga Zimmermann</address>
Dr. Tobias Zimmermann
© Inga Zimmermann
Sind Sie optimistisch, dass künftig weniger Tiere durch Menschenhand leiden müssen?

Ich bewerte die eingeschlagene Richtung als positiv. Aber wir haben in meinen Augen noch sehr viel vor uns, um die Missstände zu beheben. Zumal wir nicht vergessen dürfen, dass sich die Entwicklung vor allem auf Deutschland und bestimmte weitere Länder bezieht. In vielen Teilen der Welt gibt es in dieser Hinsicht weitaus größere Herausforderungen – aus unterschiedlichen Gründen. Darauf zielt auch der Beitrag der Rechtswissenschaftlerin Anne Peters ab, in dem sie sich für ein globales Tierrecht ausspricht.

Für wen ist das Buch denn gedacht?

Wir möchten möglichst viele Menschen erreichen. Die Beiträge sind daher in allgemein verständlicher Sprache verfasst und setzen kein spezielles Wissen voraus. Gleichzeitig sind die Blickwinkel und Themenschwerpunkte so vielseitig, dass es selbst für diejenigen viele neue und spannende Aspekte bereithält, die sich bereits ausgiebig mit dem Verhältnis zwischen Menschen und Tieren beschäftigt haben. Denn die Beiträge behandeln so unterschiedliche Bereiche wie Tier-ethik und Tierrechte, aber auch Kunst, Kultur, Geschichte und Religion.

 

Das unterschätzte Tier – Was wir heute über Tiere wissen und im Umgang mit ihnen besser machen müssen; 224 Seiten; Norbert Sachser, Niklas Kästner, Tobias Zimmermann (Hg.); Rowohlt Taschenbuch 2022.

 

Dieser Text stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 4. Mai 2022.

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