| Interview
Interview

„Innerhalb einer Rechtsordnung kann es unzählige Ausnahmen geben“

Interview mit Ulrike Ludwig und Peter Oestmann über das Jahresthema „Ausnahme und Vielfalt“

Ausnahmen bestätigen die Regel. Diese alltägliche Redewendung bringt ein Wechselverhältnis auf den Punkt, bei dem das eine nicht ohne das andere auskommt. Eine Ausnahme kann nur machen, wer die Regel grundsätzlich anerkennt. Eine Regel kommt wiederum nicht ohne Ausnahmen aus.

Was hat das mit Einheit und Vielfalt im Recht zu tun? Eine ganze Menge, wie sich nach einem Jahr intensiver Diskussionen gezeigt hat. Mit dem ersten Jahresthema „Ausnahme und Vielfalt“ hatten sich die Direktoren des Kollegs gleich für die Anfangsphase ein dickes Brett vorgenommen. Methodisch, aber auch auf der Grundlage von Quellen sollte geprüft werden, inwieweit das Verhältnis von Einheit und Vielfalt dieselbe oder eine ähnliche Grenzlinie markiert wie das Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme. Im Interview erläutern die Historikerin Ulrike Ludwig und der Rechtshistoriker Peter Oestmann die Idee hinter dem Jahresthema und stellen erste Ergebnisse vor.

Prof. Dr. Ulrike Ludwig und Prof. Dr. Peter Oestmann
© khk

Als wir uns das letzte Mal zum Interview getroffen haben, war das Kolleg gerade angelaufen. Nun liegt ein Jahr voller Fellow-Aufenthalte, Diskussionsrunden und Tagungen hinter uns. Wie haben Sie die gemeinsame Arbeit empfunden?

Oestmann: Der fast ausschließlich digitale Beginn des Kollegs war außerordentlich schwierig. Das hat sich mit der Rückkehr in die Präsenz nach einigen Monaten wesentlich gebessert. Einen weiteren großen Aufschwung unserer Arbeit gab es im Herbst 2022 mit der Ankunft vieler neuer Fellows. Die Situation im Moment ist eine große Motivation für alle, denn es ist fachlich ergiebig und es herrscht eine gute Gemeinschaft zwischen den Fellows untereinander und zu den Mitarbeitern.

Der Zeitaufwand als Direktor des Kollegs ist natürlich sehr hoch, wodurch Zeit für die eigene Forschung fehlt. Im Gegenzug erhält man dafür interessante Bekanntschaften und gute Gespräche. Mit Blick auf unsere Veranstaltungen war und ist für mich das Schönste die gemeinsame Diskussion über Texte, die immer besonders ertragreich ist.

Ludwig: Aus meiner Sicht ist die größte Veränderung im Vergleich zur Anfangsphase, dass unsere Diskussionen inzwischen längere Auseinandersetzungen hinter sich und damit eine neue Stufe erreicht haben. Wir haben wesentliche Punkte, nicht zuletzt das Verständnis bestimmter Begriffe, besser geklärt und reden weniger aneinander vorbei. Dies führt zu häufigen Aha-Erlebnissen, aber auch dazu, dass die Unterschiede zwischen bestimmten disziplinären Perspektiven klarer hervortreten, was wiederum Ausgangspunkt für weitere Diskussionen ist.

Ein weiterer Meilenstein war der Umzug. Dass wir seit Oktober an einem gemeinsamen Ort sind, macht einen enormen Unterschied. Wir müssen Begegnungen nicht mehr organisieren, sie finden einfach statt. Das ist ja die Grundidee des Kollegs, die wir mit den neuen Räumlichkeiten jetzt verwirklicht haben: auf der einen Seite den Freiraum für die eigene Forschung zu bieten und auf der anderen Seite die zufälligen Begegnungen in der Kaffeepause zu ermöglichen, wo im Gespräch gemeinsame neue Themen entstehen. Das ist ein beglückendes Gefühl.

Die gemeinsame Arbeit am Kolleg wird über Jahresthemen gebündelt. Schränkt das den Freiraum nicht wieder ein?

Ludwig: Wir geben mit den vier Jahresthemen kein starres Korsett vor, sondern sie sind in erster Linie ein Anstoß, Diskussionen auf eine bestimmte Perspektive hin zu organisieren. Daneben wird es natürlich immer weitere, neue, überraschende Themen geben, die sich als besonders produktiv erweisen. Aber es geht darum, mit den Jahresthemen gemeinsame Schnittstellen zu finden, was mir umso wichtiger erscheint, als wir disziplinär, epochal und räumlich sehr unterschiedliche Phänomene betrachten.

Oestmann: Das Dachthema des Kollegs ist ja sehr weit und soll es auch sein, denn wir wollen keine Projektforschung betreiben, sondern Räume für Begegnungen schaffen. Im Prinzip ist hier jeder eingeladen, der einen Bezug zum Verhältnis von Recht und Geschichte hat. Daher wollen wir die Bandbreite für strukturierte Diskussionen und Tagungen ein wenig zuspitzen. Zugleich erhöht es die Kohärenz der ausgewählten Fellows, die ihre Themenvorschläge schon bei der Bewerbung an den Jahresthemen ausrichten.

Ulrike Ludwig: "Es geht darum, mit den Jahresthemen gemeinsame Schnittstellen zu finden"
© khk

Das Jahresthema für 2021/22 lautete „Ausnahme und Vielfalt“. Da musste sicher der ein oder andere erst einmal überlegen, was dahinterstecken könnte.

Oestmann: Das Thema war von der zugrundeliegenden Idee her durchaus sehr anspruchsvoll, vielleicht auch zu anspruchsvoll. Als erstes Jahresthema hätte man vielleicht zunächst einmal fragen können, was überhaupt Einheit bzw. Vielfalt im Recht ist. Stattdessen haben wir die Frage gestellt, ob unsere Ausgangsbeobachtung – nämlich, dass es Rechtseinheit und Rechtsvielfalt in unterschiedlicher Gewichtung immer gibt – ein ähnliches Wechselspiel darstellt wie das zwischen Ausnahme und Regel. Innerhalb jeder Rechtsordnung gibt es einen Normalfall – die Regel – und immer auch Ausnahmen, die aber letztlich die Regel bestätigen. Und wir wollten prüfen, ob es sich mit dem Verhältnis von Rechtseinheit und -vielfalt auch so verhält.

Könnte man sagen, dass Rechtseinheit die Regel und Rechtsvielfalt die Ausnahme ist?

Oestmann: Historisch gesehen wäre eher das Gegenteil der Fall, da ist Rechtseinheit die große Ausnahme. Inhaltlich haben wir die Begriffe aber gar nicht so eng verzahnt. Zwar gibt es im gelehrten Recht durchaus den Gedanken, dass im Meer von römischem Recht Inseln der Partikularität existieren, und die Rechtsvielfalt dann durch Ausnahmevorschriften eingebunden wird. Das haut aber als Gesamterklärung nicht hin.

Ludwig: Ich würde auch sagen, dass das Thema sehr voraussetzungsvoll war. Das Interessante daran ist aber die Frage, wann eine Ausnahme zu Rechtsvielfalt wird und wann Vielfalt so eingehegt wird, dass sie nur noch als Ausnahme erscheint. Ausnahme/Regel und Einheit/Vielfalt sind zwar vollkommen unterschiedliche Dinge, aber das Verhältnis der beiden zueinander ist ähnlich organisiert: Jede Regel kennt Ausnahmen, und Ausnahmen können sich nur über eine Regel definieren. Es handelt sich um zwei Seiten einer Medaille. Und ähnlich verhält es sich mit Einheit und Vielfalt im Recht: Wenn wir Rechtsvielfalt untersuchen, definieren wir damit zugleich Einheiten, die diese Vielfalt bilden und deren eigene Vielfältigkeit wir uns dann nicht mehr anschauen. Und wenn wir nach Rechtseinheit fragen, klammern wir automatisch bestimmte Formen von Vielfalt aus, indem wir definieren, was zu dieser Einheit gehört.

Oestmann: Es handelt sich also in erster Linie um ein methodisches, weniger um ein inhaltliches Problem. Ein Recht, das viele Ausnahmen kennt, wird nicht dadurch zu einem vielfältigen Recht, das es beispielsweise zwischen Erwachsenen und Kindern differenziert oder an bestimmten Orten Tempo 30 vorschreibt. Innerhalb einer Rechtsordnung kann es unzählige Ausnahmen geben, wodurch noch lange keine Rechtsvielfalt erzeugt wird.

Es ließe sich ja annehmen, dass viele konkrete Ausnahmen im Laufe der Zeit zu Rechtsvielfalt werden. Dem würden Sie aber widersprechen?

Oestmann: Es gibt unterschiedliche Formen, wie man Ausnahmen konstruieren kann. In der europäischen Vormoderne kannte man zum Beispiel Beneficien, sogenannte Rechtswohltaten, die innerhalb ein und derselben Rechtsordnung bestimmte Gruppen besserstellten. Und dann gab es Privilegien, ebenfalls Besserstellungen, durch die für die Privilegierten die Rechtsordnung nicht mehr galt. Aber nur durch Letzteres entsteht Rechtsvielfalt.

Ludwig: Der Unterschied ist auch, dass eine Ausnahme punktuell bleibt und man aus ihr keinen Anspruch auf eine künftige Regelung ableiten kann. Wenn es regelmäßig zu einer Ausnahme kommt, kann diese zwar irgendwann verrechtlicht werden. Aber eine situative Ausnahme von einer Regel ist etwas anderes, als wenn man einen privilegierten anderen Rechtsstatus hat, der zu Rechtsvielfalt führt.

Peter Oestmann: "Die Situation im Moment ist eine große Motivation für alle"
© khk

Vielleicht bleiben wir ein wenig bei Beispielen für Ausnahmen. Sie haben die Privilegien genannt. Wie steht es mit der Gnade?

Ludwig: Es kommt auf die Definition an. Richten nach Gnade im Gegensatz zum Richten nach Recht wäre sicherlich eine Ausnahme. Aber sobald die Gnade dem Urteilsspruch nachgelagert ist, ist sie keine Ausnahme mehr, gehört im Grunde nicht einmal mehr der Sphäre des Rechts an. Aus der Perspektive der Menschen im 16. und 17. Jahrhundert ist das natürlich nicht so klar zu trennen und wird häufig gemeinsam verhandelt.

Oestmann: Recht ist ja dazu da, Handlungen dadurch zu kennzeichnen, ob sie erlaubt oder verboten sind. Aber für Juristen gibt es Bereiche, die sich dem entziehen, und dazu gehört die Gnade. Daher können sie gar nicht entscheiden, ob eine Gnadenentscheidung richtig oder falsch war, weil sie eben gar nicht vom Recht abhängt.

Ludwig: Wobei man sagen muss, dass es Fälle gibt – wie ein Beispiel aus Kursachsen zum Umgang mit Ehebrechern zeigt –, in denen der Anspruch auf Gnade bereits ins Recht eingeschrieben wurde und hier die Funktion einer gewissermaßen einforderbaren Strafmilderung hatte. Solche Beispiele zeigen, dass die Varianz der betrachteten sozialen und historischen Phänomene groß ist. Uns geht es dann letztlich auch nicht darum, nur bestimmte Definitionen vorzugeben und zu sagen, dies gehört dazu, jenes nicht. Vielmehr führen solche Sonderfälle dazu, sich irritieren zu lassen und die Perspektive zu wechseln.

Kommt es auch darauf an, ob eine Ausnahme als solche ausgeflaggt wird?

Oestmann: Im modernen Recht wird tatsächlich mit Formulierungen wie „es sei denn“ gearbeitet. Auf diese Weise kann man sprachlich klarstellen, was gilt, wenn die jeweils kleinere Einheit nicht zum Zuge kommt. Ein Beispiel: Die Bundesländer haben das Recht zur Gesetzgebung, es sei denn der Bund hat das Recht zur Gesetzgebung. Damit gilt die Regel, dass die Bundesländer zuständig sind, auch wenn das de facto wahrscheinlich in 98 Prozent der Gesetze nicht der Fall ist.

Ludwig: Neben dem juristischen gibt es noch ein umgangssprachliches Begriffsverständnis: Eine Regel ist, was meistens auftritt, und die Ausnahme ist der seltene Fall. Es wird also quantifiziert. Das muss beim rechtlichen Zugriff gar nicht der Fall sein.

Oestmann: Wohingegen sich nichtnormative Wissenschaften wie die Ethnologie ja nicht unbedingt die Gesetze anschauen, sondern die soziale Praxis.

© khk

Ist es bei einem quantifizierenden Zugriff nicht schwierig zu definieren, ab welcher Anzahl von Fällen eine Regel vorliegt?

Ludwig: Das ist generell schwierig. Einfacher ist es, die Pole zu definieren, also den absoluten Einzelfall und ein flächendeckendes Phänomen. Dazwischen haben wir es mit gesellschaftlichen Phänomenen zu tun, für die man keine künstlichen Kategorien anlegen sollte, da sie je nach Rahmung ganz unterschiedlich gedeutet werden.

Haben Sie ein Beispiel für ein Phänomen, das zwar relativ häufig auftaucht, aber als Ausnahme gerahmt wird?

Oestmann: Die Kaiserkrönungen im Heiligen Römischen Reich. Die Stadt Aachen beanspruchte seit dem Mittelalter für sich, Krönungsstadt zu sein. Doch bei jedem Herrscherwechsel der Frühen Neuzeit wurde erklärt, dass die Krönung dieses Mal ausnahmsweise nicht dort stattfinden werde. Tatsächlich haben seit 1531 keine Krönungen mehr in Aachen stattgefunden.

Wenn Sie nun einmal versuchen, die Ergebnisse zu bündeln und ein Zwischenfazit zu ziehen: Hat sich in Ihrem Blick auf das Thema etwas verändert und haben sich neue Erkenntnisse eingestellt?

Oestmann: Ich glaube, dass wir gelernt haben, dass die Art und Weise, ob Rechtordnungen nun plural verfasst sind oder nicht, nichts damit zu tun hat, wie innerhalb einer Rechtsordnung das Verhältnis von Regel und Ausnahme beschaffen ist. Man stelle sich eine Rechtsordnung vor, in der alle Menschen ungleich behandelt werden. Es gibt zahlreiche Ausnahmen, man sagt: „Jeder ist frei, bis auf die Sklaven, bis auf die Frauen, bis auf Minderjährige usw.“ Trotzdem kann das eine einheitliche Rechtsordnung sein. Der materielle Brückenschlag vom einen zum anderen ist also nicht notwendig. Das hilft bei der Eingrenzung des Themas, auch wenn es nach einem Negativbefund klingt.

Ludwig: Für mich war die größte Erkenntnis, dass wir stärker nach der jeweiligen Verschränkung sowohl von Ausnahme und Regel als auch von Einheit und Vielfalt fragen müssen. Indem wir stets fragen, wie diese miteinander organisiert sind, kommen wir zeitlich, räumlich und wahrscheinlich auch disziplinär übergreifend besser miteinander ins Gespräch.

Der zweite Punkt ist, dass wir uns stärker mit historischem Wandel beschäftigen müssen. Die Rahmenbedingungen, welche rechtlichen Ausnahmen oder welches Maß an Rechtsvielfalt in einer Gesellschaft akzeptabel sind, verändern sich ja mit der Zeit. In der Ständegesellschaft bleibt die Besser- oder Schlechterstellung bestimmter Gruppen natürlich völlig unhinterfragt. Das findet sich zwar auch noch im 19. Jahrhundert, aber es tritt dem Ideal der Gleichheit aller Menschen gegenüber, womit plötzlich eine ganz andere Spannung da ist. Wobei dieses Gleichheitsideal anfangs Frauen oder bestimmte religiöse Gruppen ganz selbstverständlich ausklammert. Also wandelt sich auch der Begriff des Menschen in dieser Zeit. Diese Wandlungsprozesse führen aber nicht notwendigerweise zu einer Verbesserung. Gerade die extreme rechtliche Ausgrenzung ist ja dann auch ein Phänomen der Diktaturen des 20. Jahrhunderts.

Oestmann: Ich glaube, dass man historischen Wandel besonders gut am Verhältnis von Ausnahme und Regel erkennen kann. Wenn die Zahl der Ausnahmen die der Regeln übersteigt, gibt es die Regel irgendwann vielleicht gar nicht mehr. Das könnte man auch in methodischer Hinsicht berücksichtigen, indem man fragt, ob Rechtsordnungen schwerpunktmäßig durch Rechtseinheit und Rechtsvielfalt gekennzeichnet sind.

Wie wurde das Jahresthema eigentlich konkret umgesetzt?

Oestmann: Zum einen gibt es eine Serie von drei Spezialtagungen zum Thema „Ausnahme und Vielfalt“, die im Juli mit einem ersten Teil zum römischen Recht in der Antike begonnen hat. Der zweite Teil wird das ungelehrte und gelehrte Recht des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in den Blick nehmen, der dritte das 19. und 20. Jahrhundert, wo voraussichtlich die Rechtswissenschaftsgeschichte eine große Rolle spielen wird.

Zum anderen hat unsere Jahrestagung im September das Jahresthema in den Mittelpunkt gestellt. Damit haben wir versucht, über die geschilderten Probleme ins Gespräch zu kommen. Der Eindruck war, dass die Referenten sich auf die von uns vorgeschlagenen Fragen unterschiedlich stark eingelassen haben. Es waren teilweise Spezialvorträge zu sehr unterschiedlichen Themen aus sehr unterschiedlichen Fachgebieten. Als positive Überraschung habe ich empfunden, dass wir es geschafft haben, eine kohärente Diskussion zu erzeugen. Das Interesse aller Teilnehmer, gemeinsame Themen zu finden, war stärker als die thematische Entfernung der Referate voneinander. Insofern kann man sagen, dass das Jahresthema zwar etwas kompliziert für die theoretische Annäherung war, wir aber in den Diskussionen immer wieder auf den Kern zurückgekommen sind.

Ludwig: Das zeigt auch für künftige Tagungen, dass wir die Diskussionszeit wieder großzügig ansetzen müssen, denn das ist der produktivste Teil. Das soll auch im Tagungsband durch die Aufnahme von Interventionen abgebildet werden.

Als nächstes Jahresthema stehen nun „Formen der Vereinheitlichung“ an. Worum wird es da gehen?

Oestmann: Das Thema wird sicher besser greifbar sein als das vorige. Vereinheitlichung bezieht sich auf Prozesse, denen wir uns auf dreifache Weise annähern wollen, gerade im Rahmen der zweiten Jahrestagung. Wir fragen danach, ob rechtliche Einheit durch Normerlass, durch gemeinsame wissenschaftliche Diskussionen oder durch eine einheitliche Rechtsprechung erzeugt wird. Gerade in der deutschen Tradition wurden häufig Gerichte gegründet, bevor Gesetze vereinheitlicht wurden. Das Reichsgericht etwa gab es seit 1879, das Bürgerliche Gesetzbuch aber erst seit 1900.

Ludwig: Daneben werden wir uns bei diesem Thema noch stärker mit Machtfragen beschäftigen. Aus einer historischen Perspektive geht es immer auch um die Frage, wer Gesetze durchsetzen kann. Zum anderen werden wir klären müssen, was wir eigentlich unter Einheit verstehen und wie viel soziale Ungleichheit in rechtlicher Einheit enthalten ist. Die Frage ist beispielsweise, was sich im Übergang von der ständischen oder auch kolonial organisierten Gesellschaft hin zum modernen Nationalstaat ändert. Welche Effekte hat das Ideal der Gleichheit aller Staatsbürger auf Formen der Vereinheitlichung, aber auch – da wiederum bestimmte Gruppen ausgegrenzt werden – der Rechtsvielfalt?

Die Fragen stellte Lennart Pieper