Rückblick Erste Förderphase (Juni 2021 – Mai 2025)
Forschungsagenda
Das Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“ untersucht aus genuin historischer Perspektive Phänomene der ungelösten Gleichzeitigkeit von Einheit und Vielfalt im Recht: Rechtsvielfalt, so unsere These, ist nicht als Zeichen eines defizitären Rechts oder einer dysfunktionalen Rechtspraxis (früherer Epochen) zu begreifen. Vielmehr handelt es sich um ein überzeitliches und überregionales Strukturmerkmal des Rechts schlechthin. Dem korrespondiert die nur auf den ersten Blick paradox erscheinende Beobachtung, dass sich zugleich in allen Kulturen und zu allen Zeiten, wenn auch je unterschiedliche Tendenzen zur Vereinheitlichung von Recht finden lassen. Diese spannungsreiche Dynamik von Einheit und Vielfalt im Recht wollen wir in unserem Kolleg wissenschaftlich neu vermessen. Das Kolleg eröffnet mit diesem thematischen Zuschnitt ungewohnte Einsichten für das grundlegende Verständnis von Recht und Gesellschaft im Allgemeinen und von (rechtlichen) Umgangsweisen mit Formen kultureller Diversität im Besonderen.
Derzeit gibt es noch kein Modell, mit dem der relationale und wandelbare Zusammenhang von Einheit und Vielfalt im Recht in seiner kulturellen Vielgestaltigkeit angemessen erfasst werden könnte. Ziel der Kollegarbeit ist es daher, in der gemeinsamen Arbeit von Fellows und Münsteraner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein solches, historisch informiertes Beschreibungsmodell zu entwickeln und auf seine Tragfähigkeit hin zu testen.
Auf diese Weise soll es gelingen, den Zusammenhang von Einheit und Vielfalt im Recht auf neue Weise zu erschließen und als Analyseansatz für verschiedene Phänomene des Zusammenlebens zur Diskussion zu stellen.
Forschungsperspektiven
Um den komplexen Zusammenhang von Einheit und Vielfalt im Recht thematisch zu strukturieren und so eine Ausgangsbasis für Vergleiche zu schaffen, ist die Kollegarbeit über drei Forschungsperspektiven organisiert:
Bei den Rechtsnormen ansetzend geht es uns in der gemeinsamen Kollegarbeit erstens um Phänomene pluraler Rechtsordnungen. Zweitens sollen Formen von Vielfalt und Einheit für die Rechts- und Gerichtspraxis in den Fokus gerückt werden. Ausgehend vom sozialen Umfeld rechtlicher Regelungen nehmen wir drittens den Zusammenhang von gesellschaftlicher Diversität und Rechtsvielfalt in den Blick.
Diese perspektivischen Zugriffe begreifen wir dabei einerseits als eigenständige Gegenstandfelder, wir wollen sie aber andererseits auch in ihren Beziehungen zu- und Abhängigkeiten voneinander diskutieren.
Jahresthemen
Um die Arbeit an den drei Forschungsperspektiven des Kollegs besser miteinander zu verzahnen, bündeln wir die Kollegarbeit im zeitlichen Ablauf der ersten Förderphase in vier Jahresthemen.
Im akademischen Jahr 2021/22 geht es zunächst um „Ausnahme und Vielfalt“. Hier diskutieren wir die methodische, aber auch anhand von Quellen zu prüfende Frage, inwieweit das Verhältnis von Einheit und Vielfalt dieselbe oder eine ähnliche Grenzlinie markiert wie das Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme.
2022/23 werden wir uns unter dem Oberthema „Formen der Vereinheitlichung“ aus der Beobachterperspektive mit historischen und modernen Beispielen der Vereinheitlichung beschäftigen, mit denen man in verschiedenen gesellschaftlichen Konstellationen Vielfalt und Zersplitterung normativer Ordnungen zu überwinden suchte.
2023/24 drehen wir den Spieß um und fragen unter dem Thema „Ursachen für Vielfalt“, warum Vereinheitlichungen häufig scheitern oder an ihre Grenzen stoßen und welche Gründe für die Kleinteiligkeit von Recht in räumlicher, personaler und zeitlicher Hinsicht in Frage kommen.
2024/25 sollen mit den Leitfragen nach „Dynamik und Stabilität“ insbesondere außerrechtliche Faktoren der Rechtsbildung und -veränderung beleuchtet werden. Im Zentrum stehen dabei vor allem die Homogenität bzw. Diversität des gesellschaftlichen Zusammenlebens, Mobilität, Glaubenseinheit oder -mehrheit und anderes mehr. Von hier aus lädt der historisch-rechtshistorische Zugriff die Nachbarwissenschaften zum Dialog ein.
Neben den Jahresthemen wird aber auch stets Raum für ungewöhnliche Blicke und neue Impulse bleiben. Dem entsprechend sind uns auch Fellowprojekte willkommen, die aus dem Rahmen fallen.