Forschungsagenda

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Das Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“ untersucht Phänomene der ungelösten Gleichzeitigkeit von Einheit und Vielfalt im Recht: Rechtsvielfalt, so die These, ist nicht als Zeichen defizitären Rechts oder dysfunktionaler Rechtspraxis früherer Epochen oder gar außereuropäischer Gesellschaften zu begreifen. Vielmehr handelt es sich um ein überzeitliches und überregionales Strukturmerkmal des Rechts schlechthin. Dem korrespondiert die nur auf den ersten Blick paradox erscheinende Beobachtung, dass sich in allen Kulturen und zu allen Zeiten, wenn auch je unterschiedliche Tendenzen zur Vereinheitlichung von Recht finden lassen.

Das Programm des Kollegs ist es, diese spannungsreiche Dynamik von Einheit und Vielfalt im interdisziplinären Gespräch wissenschaftlich neu zu vermessen, um so ungewohnte Einsichten für das Verständnis von Recht und Gesellschaft im Allgemeinen und von (rechtlichen) Umgangsweisen mit Formen kultureller Diversität im Besonderen zu eröffnen.

Hierfür bedienen wir uns eines historisch-vergleichenden Zugriffs, der diachron weit gefasst und zugleich regional breit aufgestellt ist, bis hin zu international vergleichenden Perspektiven auf Recht und Gerichtspraxis der Gegenwart. Denn nur so können wir nach Besonderheiten und Wandlungsprozessen, aber ebenso nach übergreifenden Merkmalen fragen. Mit der Ausweitung auf geltendrechtliche Perspektiven können wir aktuelle Phänomene des Zusammenhangs von Einheit und Vielfalt im Recht im Kontext von Globalisierungsprozessen, postkolonialen Entwicklungen und neuen Formen gesellschaftlicher Diversität noch konsequenter einbeziehen und vor dem Hintergrund historischer Ausprägungen auch vergleichend einordnen. Damit können wir zugleich verkürzenden Modernisierungsnarrativen entgegentreten und die Komplexität und Multidirektionalität historischer wie aktueller Entwicklungen näher bestimmen.

Aufbauend auf den begrifflichen und konzeptionellen Verständigungen der ersten Phase ist es das Anliegen der zweiten Förderphase (2025–2029), eine Typenbildung voranzutreiben. Dem Charakter des Kollegs entsprechend wollen wir in der Zusammenarbeit mit den Fellows und ausgehend von ihren Projekten Muster identifizieren, nach denen typologische Unterscheidungen getroffen werden können. Wir sind davon überzeugt, dass es möglich und sinnvoll ist, verschiedene Konstellationen des Zusammenhangs von Vielfalt und Einheit im Recht zu systematisieren und typologisch zu gruppieren, um einerseits die Einzelbeispiele detailgenau zu beschreiben, andererseits aber für die verschiedenen Fälle Grundmuster sowie markante Abweichungen zu bestimmen.

Forschungsperspektiven

Um den komplexen Zusammenhang von Einheit und Vielfalt im Recht thematisch zu strukturieren und so eine Ausgangsbasis für Vergleiche zu schaffen, ist die Kollegarbeit über drei Forschungsperspektiven organisiert:

1. Phänomene pluraler Rechtsordnungen und die hier ansetzenden Muster von Vereinheitlichung oder aber von Organisation des Pluralen,
2. Formen von Vielfalt und Einheit in der Gerichtspraxis und
3. dem Zusammenhang von gesellschaftlicher Diversität und dem Auftreten bestimmter Typen von Rechtsvielfalt.

Diese perspektivischen Zugriffe begreifen wir dabei einerseits als eigenständige Gegenstandfelder, wir wollen sie aber andererseits auch in ihren Beziehungen zu- und Abhängigkeiten voneinander diskutieren.

Die disziplinäre Vielfalt des Kollegs speist sich insbesondere aus der Geschichtswissenschaft, der Rechtsgeschichte, dem geltenden Recht und der Rechtsanthropologie; zudem spielen auch Fächer wie die Soziologie, Islamwissenschaft, Judaistik oder Politikwissenschaft eine gewichtige Rolle.