How network theory can influence how individuals with eating pathology think about their disorder

Antragstellerin: Marieke Meier
Projektbeteiligte: Katrin Jansen
Fachbereich, Studienrichtung: Institut für Psychologie
Projekttitel: How network theory can influence how individuals with eating pathology think about their disorder
Fördersumme: bis zu 5.000,00 Euro

Kontakt: Marieke Meier

Projektbeschreibung
Essstörungen gehören zu den komplexesten und heterogensten psychischen Erkrankungen, die für die Betroffenen oft mit großen Leiden einhergehen (Arcelus et al., 2011). Dennoch ist nur ein Bruchteil der Menschen, die die Kriterien für die Diagnose einer Essstörung erfüllen, in medizinischer Behandlung und noch weniger erhalten adäquate psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung (Hart et al., 2004) – obgleich es nachweisbar wirksame Therapiemöglichkeiten gibt (Hay, 2013). Studien zeigen, dass vor allem Stigmatisierung Menschen mit Essstörungen davon abhält, professionelle Hilfe zu suchen (Ali et al., 2017). Psychoedukation, d. h. die Aufklärung Betroffener über Entstehung, Aufrechterhaltung und Konsequenzen ihrer Erkrankung, kann helfen, Stigmatisierung abzubauen und die Krankheitswahrnehmung Betroffener (z. B. Erwartung hinsichtlich des Verlaufs und der eigenen Kontrolle) zu beeinflussen.
Ziel dieser Studie war es, im Rahmen einer Online-Studie zu untersuchen, wie sich verschiedene Erklärungsmodelle (genetisch, kognitiv-behavioral, netzwerktheoretisch) auf die Krankheitswahrnehmung und Schuldgefühle von Menschen mit klinisch relevanter Essstörungssymptomatik auswirken. Dabei erweiterten wir eine Studie von Farrell, Deacon, & Lee (2015) um drei Fragestellungen:
1. Mit Blick auf Psychopathologie postuliert die Netzwerktheorie, dass psychische Erkrankungen ausdrücklich nicht das Ergebnis eines latenten Krankheitsfaktors sind, sondern das Ergebnis verschiedener Symptome und Risikofaktoren, die sich gegenseitig beeinflussen. Verschiedene Studien haben untersucht, wie ein solches Symptomnetzwerk bei Essstörungen aussehen könnte (z. B. Wang et al., 2019; Meier et al., 2019) und erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Symptome, die besonders stark vernetzt sind, den größten prädiktiven Wert bzgl. des Therapieergebnisses haben (Elliot, Jones & Schmidt, 2020). Trotz der großen Präsenz in der Forschung wurde bislang noch nicht untersucht, wie Betroffene ein solches Erklärungsmodell bewerten.
2. Lebowitz, Ahn & Oltman, 2015 zeigten, dass das Erklärungsrational die Wahrnehmung der/des Therapeutin/en beeinflusst. TherapeutInnen, die ein biologisches Rational präsentierten, wirkten weniger „warm“, d. h. empathisch und zugewandt. Dies wurde bislang nur mit schriftlichen Vignetten, nicht mit Videomaterial untersucht.
3. Depressionen und Essstörungen treten häufig gemeinsam auf (Kessler et al., 2005) und negativer Affekt scheint die emotionale Krankheitswahrnehmung zu beeinflussen (Moss-Morris et al., 2002). Ziel war es, zu untersuchen, mit welchem Rational sich die Krankheitswahrnehmung trotz Depressivität positiver beeinflussen lässt.

Projektrealisierung
Nachdem das Projekt im Juni 2019 bewilligt wurde, begann ich im Juli 2019 mit der Implementierung der Online-Studie auf Amazon Mechanical Turk (AMT). Zunächst erfolgten dafür Rücksprachen mit der Datenschutzbeauftragten der WWU, Frau Nina Meyer-Pachur, mit Professor Niko Busch, Vorsitzender der Ethikkommission der Psychologie, und Frau Professor Ulrike Buhlmann, Leiterin der Arbeitseinheit für Klinische Psychologie und Psychotherapie der WWU. Ab September arbeitete ich gemeinsam mit meiner Kommilitonin Katrin Jansen, nun Promovierende in der Statistik, an der Präregistrierung der Studie. Abweichend vom Projektplan schoben wir zudem eine Pilotierungsphase ein, um die Datenqualität im Vorfeld überprüfen zu können. Im Dezember 2019 konnten wir die gesamte Datenerhebung abschließen. Aufgrund der Pilotierungsphase und einer relativ großen Anzahl von ProbandInnen, die lediglich am Screening teilnahmen, aber nicht eingeschlossen werden konnten, konnten wir nicht, wie geplant, 420 ProbandInnen (160 pro Gruppe) erheben, sondern lediglich 290 ProbandInnen (94 in der kognitiv-behavioralen Bedingung, 102 in der Genetik Bedingung, 94 in der Netzwerk Bedingung).

Ergebnisse
290 ProbandInnen (141 weiblich, MAlter = 35.93, SDAlter = 9.99, rangeAlter = 20 – 71) konnten eingeschlossen werden. Mit Blick auf unsere Fragestellungen ergeben die ersten Analysen folgende Ergebnisse:
1. Krankheitswahrnehmung: Die Teilnehmenden in der Netzwerk und kognitiv-behavioralen Bedingung unterscheiden sich nicht. Sie berichten eine größere Veränderung zum Positiven bei der eingeschätzten persönlichen Kontrolle und der Einschätzung des Krankheitsverlaufs als Teilnehmende in der Genetik Bedingung. Die Gruppen unterscheiden sich nicht hinsichtlich einer Veränderung des Verständnisses der Krankheit. Wie in Vorstudien berichteten ProbandInnen in der Genetik Bedingung die größte Verringerung der Schuldgefühle für die eigene Symptomatik. Es gibt keine Unterschiede bzgl. Verständlichkeit und Plausibilität der Rationale für die ProbandInnen.
2. Entgegen unserer Erwartungen unterschieden sich die Gruppen nicht hinsichtlich der Einschätzung der Klinikerin (Dr. Berta Jane Summers vom Massachusetts General Hopsital in Boston), die in den Videos die psychoedukativen Rationale vorstellte. Stattdessen zeigen sich sogenannte Deckeneffekte bei der Einschätzung der Kompetenz und Wärme als universelle Dimensionen sozialer Wahrnehmung (Fiske, Cuddy & Glick, 2007; Fiske, Cuddy, Glick & Xu, 2002).
3. Die Gruppen schätzten die Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Rationale sehr ähnlich ein. Die Depressivität der ProbandInnen hatte keinen moderierenden Effekt auf die Gruppenunterschiede.

Diskussion & Ausblick
Dies ist die erste Studie, die untersucht, welchen Einfluss ein netzwerktheoretisches Rational auf die Krankheitswahrnehmung von Menschen mit klinisch relevanten Essstörungssymptomen hat. Die große Ähnlichkeit mit dem kognitiv-behavioralen Modell erscheint plausibel, geht es doch bei beiden Modellen um den Einfluss, den einzelne Symptome auf andere haben könnten. Darüber hinaus zeigt diese Arbeit, dass alle Rationale ähnlich logisch und plausibel bewertet wurden, was unsere anfänglichen Bedenken, die netzwerktheoretische Erklärung könne zu wenig greifbar sein, ausräumt. Die Tatsache, dass die Erklärung, die sich auf die Genetik fokussiert, zwar zu einer Reduktion der Selbstvorwürfe, aber im Vergleich zur kognitiv-behavioralen oder netzwerktheoretischen Erklärung eine geringere Verbesserung der Einschätzung der persönlichen Kontrolle oder des prognostischen Verlaufs evoziert, deckt sich mit Vorstudien. Anders als erwartet unterschieden sich die Gruppen nicht hinsichtlich ihrer Wahrnehmung von Dr. Berta Summers. Wir nehmen an, dass mögliche Unterschiede von dem persönlicheren allgemeinen Eindruck von Dr. Summers überlagert wurden. Damit ergänzt unsere Studie die Einschätzung von Lebowitz et al. (2015), die sich auf schriftliche Fallvignetten begrenzte.
Wir schließen derzeit die Analysen ab und verfassen ein Manuskript eines wissenschaftlichen Papers, das wir im Anschluss an ein Peer-Review-Verfahren veröffentlichen möchten. Weitere Daten der Studie könnten in einer anschließenden Arbeit analysiert werden. Durch die Arbeit an diesem Projekt konnte ich mit Dr. Berta Jane Summers und Melissa Dreier vom Massachusetts General Hospital in Boston sowie mit Dr. Nicholas Farrell vom Rogers Behavioral Health in Wisconsin zusammenarbeiten.

Wir möchten insbesondere Frau Linda Dieks für ihre freundliche, bestärkende und zuverlässige Unterstützung während der Projektrealisierung danken.