Zwischenbericht: Belastungsverteilung im anteromedialen Kapselapparat des Kniegelenkes. Eine biomechanische Studie

Antragstellende: Luise Maria Hägerich
Fachbereich, Studienrichtung: FB 05, Staatsexamen Humanmedizin, Biomechaniklabor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des UKM
Projekttitel: Belastungsverteilung im anteromedialen Kapselapparat des Kniegelenkes. Eine biomechanische Studie
Fördersumme: 4.969,00 Euro
Kontakt: l.haegerich@uni-muenster.de

Projektbeschreibung:

1. Einleitung
Das Forschungsprojekt „Belastungsverteilung im anteromedialen Kapselapparat des Kniegelenkes - Eine biomechanische Studie“ untersucht den stabilisierenden Faktor der anteromedialen Kapsel des Kniegelenkes und versucht über ein genaueres Verständnis dieser klinisch oft vernachlässigten Struktur zu verbesserten Behandlungskonzepten beitragen zu können.
Komplexe Verletzungen des Kniegelenks gehören zu einer der häufigsten behandlungsbedürftigen Entitäten der konservativen und auch chirurgischen Orthopädie und Unfallchirurgie. Durch das komplexe Zusammenspiel knöcherner und diverser weichgewebiger Strukturen im Kniegelenk sind rekonstruktive chirurgische Eingriffe in der Regel eine Vereinfachung der physiologischen Ausgangssituation und Wiederherstellung der anatomischen Verhältnisse zumeist unmöglich. In den letzten Jahrzehnten konnten dennoch erfolgreiche Techniken und Operationen erarbeitet werden um die größten stabilisierenden Strukturen wie die Kreuzbänder, Menisken oder Seitenbänder zu rekonstruieren, zu ersetzen oder zumindest Schmerzen zu lindern. Dennoch verbleibt ein großer Anteil der betroffenen Patienten mit chronischen Schmerzen und residualen Instabilitäten des Kniegelenkes die häufig zu langen Krankheitsgeschichten und einem hohen individuellen Leidensdruck führen. Aber auch sozioökonomisch sind solche Verletzungen durch lange Ausfallzeiten am Arbeitsplatz und oftmals verminderte Arbeitsfähigkeit von hoher Relevanz.

Aktuell bestehen also sehr gute Möglichkeiten der Behandlung komplexer Kniegelenksverletzungen. Die hohe Rate an Therapieversagern, Revisionseingriffen und unbefriedigenden Behandlungserfolgen deutet jedoch auf ein deutliches Entwicklungspotential der bestehenden Techniken hin. Ausgehend von dem Grundgedanken, dass die anatomischen und physiologischen Verhältnisse im Körper die
optimalen und im Verletzungsfall wiederherzustellenden sind führt diese Studie zurück zur Anatomie des Knies. Es gilt die Frage zu beantworten, ob die Kapsel des Kniegelenks relevant zur Stabilisierung selbigen beiträgt und somit im Verletzungsfall ebenfalls in der Therapie adressiert werden sollte.

Derzeitiger Gegenstand der biomechanischen Forschung ist der Zusammenhang einer anteromediale Rotationsinstabilität des Knies und die Stabilisierung des anteromedialen Kapselbandapparates. Das oberflächliche Innenband wird als wichtigsten Stabilisator des Kniegelenkes in Außen- und Valgusrotation und somit wichtige Struktur im Kontext anteromedialer Instabilität beschrieben. In
dieser Hinsicht ist ein relevantes Krankheitsbild oder Verletzungsmuster die anteromediale Rotationsinstabilität, welche als kombinierte translatorische und rotatorische Instabilität des Kniegelenkes definiert wird. Besonders hier ist die Rolle des medialen Kollateralbandes (MCL) und des vorderen Kreuzbandes (ACL) durch bessere Isolierbarkeit und häufige Entitäten besser verstanden und die Versorgung weiter optimiert, als in Bezug auf die Kapsel und den kombinierten Kapselbandapparat. Dies liegt auch daran, dass die Kapsel nicht als unilaterales Band zu sehen ist, sondern die Einflüsse der einstrahlenden und benachbarten Bänder zu berücksichtigen ist. In Bezug auf die anterolaterale Kapsel und das Außenband ist unklar, ob die Belastungsverteilung uniform oder multivektorial verläuft. Für die  Rekonstruktionen mittels autologen Sehnentransfer würde das bedeuten, dass er nicht zur Wiederherstellung der anatomischen Variante führen kann, da diese im Sinne eines uniaxialen klassischen Bandes agieren.
Mit der geplanten Studie soll die Frage nach der Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf die anteromediale Kapsel und den anteromedialen Kapselbandapparat beantwortet werden. Bleiben entsprechende Verletzungen unadressiert droht eine potenzielle Chronifizierung der Symptome und Ausbildung bsp. einer anteromedialen Rotationsinstabilität. Die könnte zur dauerhaften Fehlbelastung der Hauptstrukturen des anteromedialen Kapselbandapparates führen und in einem circulus vitiosus münden.

1.1. Wissenschaftliches Ziel
Fragestellung der geplanten Studie ist welche Rolle der anteromediale Kapselbandapparat in der Stabilisierung des Kniegelenkes spielt. Hierzu sollte das Spannungsverhalten der anteromedialen Kapsel von acht humanen Kniegelenken mithilfe des optischen Trackingsystems GOM bei verschiedenen Bewegungen im Kuka-Roboter aufgezeichnet und analysiert werden.

1.2. Hypothesen
Die anteromediale Kapsel des Kniegelenkes erfährt bei Bewegung multiaxiale Belastungsmuster. Sie verhält sich nicht wie ein uniaxiales klassisches Band.

Die anteromediale Kapsel des Kniegelenkes erfährt bei verschiedenen anteromedialen Laxizitätstests erhöhte Belastungen verschiedener Richtungen. Die Richtung der größten Dehnung korreliert mit der Bewegungsrichtung.

2. Projektphase
Die Projektphase der Studie dauerte deutlich länger als in der Planung erwartet. Durch den Gebrauch des optischen Messsystems GOM als neues System in der biomechanischen Forschung entfielen die ersten sechs Monate der Projektzeit auf die Anpassung des Systems und Erarbeitung funktionierender Testabläufe. GOM wird üblicherweise in der Industrie zur Messung der plastischen Verformung fester Materialien und insbesondere von Metallen verwendet. Die Anpassung des Systems zur optischen Messung von Spannungen und Verformungen an humanem Weichgewebe erforderte die Involvierung von zwei Ingenieuren und der Herstellerfirma. Letztendlich gelang es jedoch eine Trackingstrategie zu erarbeiten und die erhobenen Daten zu validieren. Die Translation der Software und Nutzbarmachung für Fragestellungen mit biologischem Material ist als deutlicher Erfolg zu sehen und hat bereits zu weiteren Fragestellungen geführt und die Involvierung von GOM in Projekten anderer Arbeitsgruppen im Biomechanik Labor des UKM ermöglicht.

Wie geplant und beantragt wurden acht humane Kniegelenke von Körperspendern getestet. Nach Absetzen der Kniegelenke wurden diese von Haut und Weichgewebe befreit und sauber bis auf die Gelenkkapsel präpariert. Anschließend wurden der Femur- und Tibiaschaft mittels Kunstharzes in Aluzylinder eingebettet und anschließend fest in den KUKA-Roboter (KUKA, KUKA AG, Augsburg, Germany) eingespannt.
Mittels des Kniegelenkmoduls der Software SimVitro (SimVitro, simolation solutions, Stockport, GB) wurde zunächst die physiologische Bewegung des Präparates in einem passive path im Roboter erörtert. Anschließend wurden die acht Kniegelenke unter 50 N axialer Belastung jeweils in 0°, 30°, 60° und 90° Beugung nativ getestet und die folgenden Belastungstests per Roboter durchgeführt:

  • • 134 N anteriore Translation
  • • 5 Nm Außenrotation
  • • 5 Nm Innenrotation
  • • Kombiniert 134 N anteriore Translation in 5 Nm Außenrotation
  • • Valgus 5 Nm

Hierbei wurden die im Knie wirkenden Translationen, Kräfte und Rotationen von SimVitro gemessen. Um die wirkenden Kräfte, Dehnungen und Belastungen der Test auf die Gelenkkapsel verfolgen und analysieren zu können wurde das Präparat mit dem optischen Messystem GOM (ARAMIS, GOM GmbH, Braunschweig, Deutschland) aufgenommen.

Zur Versuchsanalyse wurden die Bilddaten von GOM in die GOM-Aramis Auswertungs-Software übertragen. Hier wurden nachträglich die einzelnen Strukturen, der Kapselbereich und das MCL in den einzelnen Bilddateien definiert. Anhand der optisch definierten Bildbereiche konnten die mittlere und maximale Dehnung der Strukturen errechnet werden. Weiterhin ist es möglich durch aufgelegte Vektorenfelder die Dehnungsrichtung darzustellen.

3. Aktueller Stand des Projektes
Aktuell befindet sich das Projekt weiterhin in der Auswertungsphase. Die Datensätze von zwei von den acht getesteten Präparaten sind bereits final ausgewertet. Anschließend an die Auswertungsphase werden die Datensätze nochmals auf strukturelle Fehler untersucht und im Anschluss statistisch aufgearbeitet auf Signifikanz getestet. Bisher konnten alle Projektphasen der inhaltlich der Projektplanung entsprechend absolviert werden. Durch die schwierige Adaptation der neuen Soft- und Hardware in die biomechanische Anwendung verläuft das Projekt jedoch deutlich langsamer als geplant.
Bei Antragstellung wurden als Ziel der Projektphase eine Publikation in einem erstklassigen Fachjournal sowie die Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse auf entsprechenden Fachkongressen, wie dem DKOU angedacht. Angesichts des aktuellen Standes des Projekts ist dies weiterhin das Ziel. Die Fertigstellung und Publikation soll im kommenden Jahr 2023 absolviert werden.