Im Frieden vergessen? Amnestierungen in der Vormoderne
Antragstellende: Christian Vincent Strunk, Svenja Sophie Krause
Fachbereich, Studienrichtung: FB 09 Philologie, Germanistisches Institut, Abteilung Literatur des Mittelalters
Projekttitel: Im Frieden vergessen? Amnestierungen in der Vormoderne
Fördersumme: 2.876,34 €
Kontakt: c.strunk@uni-muenster.de, svenja.krause@uni-muenster.de
Projektbeschreibung:
Ausgehend von der Beobachtung, dass Mechanismen der Konflikteinhegung wieder Gegenstand der tages- und europapolitischen Aussprache geworden sind, wendete sich das gemeinsam beantragte Projekt einer konstant verhandelten Denkfigur zu: der Amnestie bzw. Prozessen der Amnestierung.
Unabdingbar für die Friedenssetzungen innerhalb der erzählten Welten Homers, des "Nibelungenliedes" oder für das westfälische Friedenswerk aus dem Jahre 1648 ist, dass alle involvierten Parteien auf Rachehandlungen verzichten, das heißt von selbstermächtigenden Vergeltungshandlungen zurücktreten. Aus der Befriedungspraxis der attischen Demokratie hergeleitet, programmatisiert die Amnestie eine bewusste Entsagung der spezifischen Erinnerungslast und verbindet als soziokollektives Regulierungsprinzip Vergessensaufforderung mit Versöhnungsbedürfnis und Strafverzicht. Obwohl die Amnestie als diachroner literarischer Fluchtpunkt ersichtlich, als friedenstreibendes Medium diskursiv aktualisiert wird und als integraler Bestandteil neuzeitlicher Friedensverträge von Münster bis Locarno aufscheint, konnte das Thema bisher keine Aufmerksamkeit im mediävistischen Forschungsdiskurs generieren.
Zentrales Anliegen des studentischen Projektes war es deshalb, mittelalterliche Verhandlungen des gesteuerten Vergessens erstmalig als Erweiterung der Bedeutungsgeschichte der Amnestie zu verstehen, um die bis in die Gegenwart reichenden Diskussionen um Friedensstiftungen und Kriegsvermeidung historisch zu schärfen.
Verfolgt man die angedeuteten geschichtlichen, theologischen und literaturwissenschaftlichen Implikationen der Amnestie, eröffnet sich eine komplexe Verflechtung von rechtsgeschichtlichen Fragen nach der Legitimität von Macht und Gewalt, von christlich-theologischen Perspektiven auf Versöhnung und anthropologischen Reflexionen über die Unmöglichkeit von Friedensschlüssen aufgrund einer konstanten Disposition zur Rache. Der interdisziplinäre Dialog war deshalb für eine erstmalig systematische, mediävistische Aufarbeitung unabdingbar und sollte die regionale wie überregionale Vernetzung von Nachwuchswissenschaftler*innen aus den historischen Kulturwissenschaften entscheidend unterstützen.
Um also die rechtsgeschichtliche wie historisch-politische Praxis der Amnestierung vor dem Hintergrund ihrer literarischen Reflexionen zu ergründen, integrierte die Tagung Beiträge aus der frühneuzeitlichen Geschichtswissenschaft, der mediävistischen Theologie und der älteren deutschen Literaturwissenschaft. Diese konzentrierten sich mit wechselndem Fokus in 45-minütigen Präsentations- und Diskussionsslots auf die spezifisch vormodernen Fragestellungen, um mittelalterliche Formen von Amnestierungen in historischen (Rechts-)Quellen wie literarischen und theologischen Texten herauszuarbeiten.
Das erklärte Ziel der programmatischen Interdisziplinarität ist zwar grundsätzlich eingehalten worden, wäre allerdings in Zukunft noch weiter auszubauen. Produktiv wäre sowohl ein Blick auf andere mittelalterliche Volkssprachen (etwa mit Hilfe der Romanistik oder der Anglistik) als auch eine deutlichere (rechts-)historische Perspektivierung der Gegenstände. Ergebnis der dreitägigen Tagungsdiskussionen war demnach, einerseits eine Publikation der qualitativ hochwertigen Beiträge vorzubereiten, andererseits die interdisziplinäre Projektarbeit auf Ebene der Nachwuchswissenschaftler*innen weiter auszubauen und darüber zu schärfen.
Da die nachwuchswissenschaftliche Konferenz neben dem Anliegen, fachintern und fächerübergreifend eine vormoderne Diskussion über die Amnestie anzuregen, methodisch beabsichtigte, BA-Studierende an die wissenschaftliche Präsentations- wie Kommunikationsform der Tagung heranzuführen, haben wir im Sommersemester 2025 ein gemeinsames tagungsvorbereitendes Seminar unterrichtet. Ziel der Lehrveranstaltung war es, die Ergebnisse studentischer Arbeit in die Tagung einzutragen und interessierten Studierenden die aktive Teilnahme an der Tagung nahezubringen. Eine Teilnahme war nicht verpflichtend, sondern stand ganz bewusst den Studierenden offen, die ein besonderes Interesse an einem intensivierten wissenschaftlichen Austausch besitzen.
Durch die als Studienleistung erarbeiteten und in der Seminargruppe vorab präsentierten wissenschaftlichen Poster verfügten die Studierenden bereits über eine konkrete Diskussionsgrundlage, die ihnen im Rahmen der Posterbegehungen vorzustellen offenstand.
Für die Studierenden, die sich für eine Teilnahme entschieden haben, eröffnete sich so eine neuer Gesprächs- und Erfahrungsraum, an dem sie aufgrund der intensiven Vorbereitung im Sommersemester gut partizipieren konnten, einen Raum, den Seminare gemeinhin nicht ermöglichen bzw. erproben können.
Rückblickend konnte durch den im Voraus veröffentlichten Call for Papers sowie das rege Interesse aus den historischen Kulturwissenschaften ein Tagungsprogramm über drei Tage zusammengestellt werden, das sowohl Vortragende auf höchster Karrierestufe wie auch Nachwuchswissenschaftler*innen aus ganz Deutschland zusammenbrachte. Da eine interdisziplinäre Arbeit zur Amnestie vonseiten der Münsteraner Universität an die geschichtskulturelle Bedeutsamkeit und Stilisierung der Stadt Münster als Friedensstadt anschließt, wurde der zweite Konferenztag mit dem Besuch des Historischen Rathauses für alle Tagungsteilnehmenden abgerundet.
Gelingen kann nur das, was viele mittragen – von engagierten Referent*innen bis zu verantwortungsvollen Kolleg*innen und Freund*innen, die bei der Organisation und Vorbereitung der Tagungsräume, bei der Bestückung des Buffets oder abends beim Aufräumen geholfen haben. Wir haben uns stets von allen Seiten gut betreut und aufgehoben gefühlt, ob von SAFIR selbst oder dem engsten Kreis im Team. Für diese großartige Bereitschaft zur Unterstützung sind wir überaus dankbar. Als Gastgebende mussten wir zugleich präsentieren und präsentiert werden, zuhören, moderieren und im Hintergrund die wenigen Störungen glätten; dieses Doppelprofil war ebenso Herausforderung wie Grund zur Freude, eine großartige Möglichkeit, um als wissenschaftlicher Nachwuchs an den vielfältigen Aufgaben zu wachsen und wichtige Erfahrungen für den eigenen Berufsweg zu sammeln. Gerade die von SAFIR betreute Förderung von Forschungsprojekten Studierender durch das Rektorat der Universität Münster ermöglicht und unterstützt derartige Vorhaben auf besondere Weise. Abschließend möchten wir alle Studierenden dazu ermutigen, ihre individuellen Projektideen mithilfe von SAFIR umzusetzen – es lohnt sich allemal.