© Bonnie Plitzkat

Koran in maghrebinischem Duktus

Inv.-Nr.:                      Hs. 8
Umfang / Format:    820 Seiten / 16 cm x 11,5 cm x 4,5 cm
Material:                    Papier, Leder
Stil:                             Mabsūṭ (Maġribī)
Illumination:            Floral in Grün, Rot, Gold; Surentitel in goldenem Kūfī, rote Vokalisation und Diakritika,
                                    grünes Hamzat al-waṣl, gelbes Hamzat al-qaṭʿ
Datierung:                11. bis 13. Jahrhundert n. H./ 17. bis 19. Jahrhundert n. Chr.
Provenienz:             Im Londoner Kunsthandel von Dr. Norbert Heinrich Holl erworben,
                                    Schenkung an das Institut für Arabistik im Jahr 2018

 

Im vorliegenden Manuskript ist der Korantext im Schriftduktus Mabsūṭ zu sehen, eine Unterart der im Maghreb üblichen Schriftstile. In den Surenüberschriften wurde allerdings Kūfī verwendet. Der Text wurde in brauner Tinte geschrieben, die Überschriften jedoch mit goldener Farbe ausgemalt. Die Vokalisationszeichen sind in den für den Maghreb üblichen Farben Blau, Grün, Gelb und Rot gehalten.
Der Einband ist aus Leder und mit Illuminationen sowie einer Ṭuġra verziert. Ṭuġrāwāt waren ursprünglich besonders kunstvoll gestaltete kalligraphische Embleme mit dem Namen des osmanischen Sultans, die auf Urkunden und anderen offiziellen Dokumenten als eine Art Siegel verwendet wurden. Vor allem ab dem 18. Jahrhundert wurden auch Ṭuġrāwāt, die nicht mehr den Herrschernamen, sondern z.B. Gebetsformeln enthielten, als Ornament verwendet. An der Seite des Koraneinbandes ist zu lesen lā yamassuhū illā al-muṭahharūn - “Nur rituell reine Personen mögen es (das Koranexemplar) berühren.” Der Schriftzug ist in der maghrebinischen Variante des Stils Ṯuluṯ (ar. Drittel) geschrieben, einem Duktus, bei dem die Schrift auf drei Ebenen angeordnet ist. Zudem sind die Worte ineinander verwoben, was das Lesen erschwert. Dieser Schriftstil wurde in der islamisch geprägten Welt vor allem in der Baudekoration, aber auch in Handschriften für Titel und Kapitelüberschriften verwendet.
Die Innenseiten des Einbandes und der Überschlaglasche sind mit in Braun- Beige- und Petroltönen marmoriertem Papier beklebt.
Die einzelnen Seiten des Korans sind beschnitten. Das deutet darauf hin, dass der Koran mindestens einmal neu eingebunden wurde. Auch eine noch nicht fertiggestellte und neu eingefügte Seite liefert mit ihrem gefalteten Ende am Einband einen weiteren Hinweis auf diese Annahme. Zustand und Stabilität der neu eingefügten Seite sind wesentlich besser als bei den restlichen Seiten.
Es handelt es sich hierbei um die Sure 2 al-Baqara (Die Kuh), beginnend in der Mitte des Verses 239 und endend in der Mitte des Verses 252. Deutlich ist hier eine andere Handschrift als auf den restlichen Seiten auszumachen. Sie orientiert sich nur grob an den für Mabsūṭ typischen Proportionen und Formen. Es wurden Wörter durchgestrichen und der Text ist sehr eng und ungleichmäßig geschrieben. Die Illuminationen in diesem zweiten Teil wurden nicht fertiggestellt und es wurden keine Farben verwendet. Die Illuminationen im ursprünglichen Koran sind hingegen wunderschön und farbenprächtig. Es fällt dabei besonders eine häufige Verwendung von Rosetten am Rand und größeren Feldern in Gold auf.
Die Seiten sind wenig abgenutzt und das reichlich vorhandene, tiefe Gold ist sehr gut erhalten, wodurch zu vermuten ist, dass der Koran nicht im öffentlichen Bereich genutzt wurde.

Auf die Rückseiten des Frontispizes und der ersten Seite des koranischen Texts ist ein Blatt eingeklebt, das offensichtlich zur rückwärtigen Stabilisierung der illuminierten Seiten dienen sollte. Auf diesem Blatt befindet sich rechts das Fragment einiger Verse, die am Ende des Koranexemplars noch einmal in vollständiger Form begegnen. Auf der linken Seite sind einige Textfragmente zu erkennen, die noch nicht entziffert worden sind – soweit erkennbar handelt es sich um die Basmala (die Formel بسم الله الرحمن الرحيم bismi allāh ar-raḥmān ar-raḥīm - "im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers", welche den Koran einleitet) und Segensbitten.
Auf der Rückseite des Blattes mit dem Ende des Korantextes sind die am Anfang des Exemplars nur fragmentarisch erhaltenen Verse, die mit einer Bitte an Gottenden, nun vollständig eingefügt worden. Der Text hält sich nicht an ein klassisches Metrum und ist auch nicht durchgängig gereimt.

يا ناظر الخط بالعينين تبصرةً
لا تنسى صاحبه بالخير تذكرةً

وهِبْ له دعوة من اللّه خالصة
لعل كاتبه ينجا من النار

وافتح لقار له بما قصد
لاكنك المعطي الكريم للأبد

Du, der du die Schrift mit den Augen betrachtest,
vergiss nicht, ihren Urheber in guter Erinnerung zu erwähnen

und schenke ihm ein reines Gebet bei Gott
vielleicht wird der, der sie geschrieben hat, vor dem Höllenfeuer errettet.

Eröffne dem, der sie liest, was sie sagen will,
Denn Du bist der ewig großzügige Geber.


Anhaltspunkte für eine exakte Datierung, wie etwa ein Kolophon fehlen, doch lässt sich mit Blick auf vergleichbare Koranexemplare aus dem osmanischen Nordafrika vermuten, dass die Handschrift aus den osmanisch geprägten Provinzen Algeriens oder Tunesiens des 17.–19. Jahrhunderts stammt.

 

- Jennifer Hasselbusch, Bonnie Plitzkat, Jens Fischer, Johannes Ruhstorfer, Monika Springberg

 

 

 

 

Literatur

BLAIR, Sheila: Islamic Calligraphy. Edinburgh 2008.

ROGERS, J.M. (Hrsg.): Empire of the Sultans. Ottoman Art from Khalili Collection.5. Auflage. London 2002

TOUATI, Houari: Ottoman Maghrib. IN: FIERRO, Maribel (Hrsg.): The New Cambridge History of Islam. The Western Islamic World, Eleventh to Eighteenth Centuries. Bd. 2. Cambridge 2010, S. 502-545.

VAN DEN BOOGERT, N.: Some Notes on Maghribi Script. IN: Manuscripts of the Middle East 4 (1989), S. 30-43.