Das Pius XII.-Team in Rom
Das Pius XII.-Team in Rom
© Annette Schreyer/laif

Zwischen Laptop und Folianten

Wer im Vatikanischen Apostolischen Archiv (ehemals: Geheimarchiv) oder im Archiv der Glaubenskongregation einmal die mit dem Staub der Jahrhunderte bedeckten Folianten und Schachteln in Händen gehalten hat, wird immer wiederkommen. Es ist wie eine Sucht, die zu einer immer leidenschaftlicheren Suche nach Antworten auf offene Fragen der Geschichte führt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte forschen im Rahmen mehrerer großer Forschungsprojekte und zahlreicher Abschlussarbeiten vor Ort in den vatikanischen und anderen Archiven. Für die Forschungsstelle für Bistumsgeschichte und das Institut für Religiöse Volkskunde steht dabei die regionale Geschichte im Vordergrund. Mehrere Vorhaben führt das Seminar gemeinsam mit Kooperationspartnern durch.

"Asking the Pope for Help"

Bittschreiben von Hilde Schmahl
© 2022 Archivio Apostolico Vaticano, Segr.Stato, Commissione Soccorsi 296, fasc. 120, fol. 46r. - per concessione dell’Archivio Apostolico Vaticano, ogni diritto riservato

Asking the Pope for Help

Zur Zeit des NS-Regimes suchten viele verfolgte Menschen ihr letztes Heil in der Flucht, häufig fehlte es jedoch bereits an Geld oder anderweitiger Unterstützung. In ihrer Verzweiflung wandten sich unter anderem tausende Jüdinnen und Juden – zum Christentum konvertierte wie nicht konvertierte – in sogenannten Bittschreiben an die katholische Kirche und ihr damaliges Oberhaupt, Papst Pius XII. In dem Projekt „Asking the Pope for Help“ werden die schätzungsweise 15.000 Bittschreiben in den vatikanischen Archiven systematisch erfasst und in einer digitalen Edition für die Öffentlichkeit aufbereitet. Überhaupt möglich wurde das Forschungsvorhaben erst durch die Öffnung der entsprechenden vatikanischen Bestände aus dem Pontifikat Pius’ XII.“ Die vor zwei Jahren gestarteten Vorarbeiten hat die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung finanziert. Nun fördert die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt und der Bayer AG das Projekt. Der Auf- und Ausbau einer digitalen Arbeitsumgebung und Publikationsplattform wird durch den Softwarekonzern SAP unterstützt. 

Langfristvorhaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

Titelkupfer einer Indexausgabe
© Titelkupfer des Index librorum prohibitorum von 1758

Buchzensur durch Römische Inquisition und Indexkongregation in der Neuzeit

Zu den bestgehüteten Geheimnissen der neuzeitlichen Geschichte gehörte bis 1998 das Archiv der Römischen Inquisition und Indexkongregation, das sich heute in der Obhut der Kongregation für die Glaubenslehre befindet. In einem groß angelegten Langfristvorhaben, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, wurde die Aufarbeitung der Jahrhunderte dauernden Geschichte der Zensur-Institutionen angegangen. In drei Säulen erarbeitete das Projektteam ein international und interdisziplinär nutzbares Hilfsmittel für die Geschichte der römischen Buchzensur von ihren Anfängen im 16. Jahrhundert bis zum Ende des Index im Jahr 1966.

Portrait Eugenio Pacelli
© Gemeinfrei

Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte von Eugenio Pacelli (1917-1929)

Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. (1939-1958), bestimmte schon als Nuntius in Deutschland von 1917 bis 1929 die vatikanische Politik maßgeblich mit. Seit 2003 beziehungsweise 2006 sind seine Berichte aus dieser Zeit in den vatikanischen Archiven zugänglich. Sie eröffnen eine neue Perspektive auf die katholische Kirche in der Weimarer Republik, aber auch auf die Politik und die Alltagskultur in Deutschland und Europa. Das Langfristvorhaben zu ihrer Edition wurde von der DFG finanziert und lief von Anfang 2008 bis Ende 2019. In Zusammenarbeit mit dem Vatikanischen Apostolischen Archiv (ehemals: Vatikanisches Geheimarchiv) und dem Deutschen Historischen Institut Rom hat das Editionsteam knapp 21.000 Dokumente erfasst, kritisch ediert, kommentiert, ausgewertet und im Internet zugänglich gemacht. Die Textgenese der Entwürfe wird in der digitalen Edition anschaulich dargestellt. Auch nach der eigentlichen Laufzeit geht die Arbeit am Projekt weiter. So ging im Januar 2022 die englische Homepage online, um die Edition international besser nutzbar zu machen.

Portrait Michael von Faulhaber
© Gemeinfrei

Kritische Online-Edition der Tagebücher von Michael Kardinal von Faulhaber (1911-1952)

Michael Kardinal von Faulhaber (1869-1952) war Erzbischof von München, ein herausragender Theologe, Vordenker des politischen Katholizismus und Streiter für kirchliche Interessen. Seine umfangreichen Tagebücher werden in diesem Projekt wissenschaftlich kommentiert und online veröffentlicht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligte dazu im Juli 2013 ein auf zwölf Jahre angelegtes Langfristvorhaben, das Prof. Dr. Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und Prof. Dr. Dr. h.c. Hubert Wolf gemeinsam verantworten. Kooperationspartner ist das Erzbischöfliche Archiv München, das die Tagebücher Faulhabers verwahrt. Faulhaber schrieb überwiegend in der Kurzschrift "Gabelsberger". Da diese nur noch sehr wenige Sachverständige entziffern können, drohen umfangreiche Archivbestände unzugänglich zu werden. Indem das Projekt Gabelsberger-Schulungen umfasst, leistet es einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung dieser Kulturtechnik.

Weitere Aktuelle Projekte und Kooperationen

Portrait Pius XII.
© Von Fratelli Alinari, Florence. Unknown photographer. - Ernst Breit: Der Weg der Kirche. Wibbelt, Essen 1939., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=63722947

Pius XII. und die Juden (1939-1958)

Seit dem 2. März 2020 sind die zuvor verschlossenen Bestände aus dem Pontifikat Piusʼ XII., also aus den Jahren 1939 bis 1958, für die Forschung zugänglich. Die Stiftung Alfried Krupp von Bohlen und Halbach unterstützt Prof. Hubert Wolf und sein Team bei ihrer Arbeit in den vatikanischen Archiven mit knapp 250.000 Euro. Im Fokus des Interesses steht die Frage: Was wusste Pius XII. von der Shoa, warum verurteilte er sie nicht laut und deutlich? Untersucht werden sollen außerdem der Umgang Pius’ XII. mit der Schuldfrage und seinem Verzicht auf einen deutlicheren Protest gegen die NS-Verbrechen nach Kriegsende, die Fluchthilfe von Kirchenvertretern für nationalsozialistische Verbrecher, die Stellung des Heiligen Stuhls zur Gründung des Staates Israel und grundsätzliche theologische Reflexionen über das Verhältnis zum Judentum.

Cover des Bandes
© Schöningh

Systematisches Repertorium zur Buchzensur - Indexkongregation 1607 bis 1700

Das DFG-Langfristvorhaben Römische Inquisition und Indexkongregation von 1542 bis 1966 hat in zwölf Jahren grundlegende Hilfsmittel zur Erforschung der Buchzensur im Archiv der Römischen Glaubenskongregation erarbeitet. In drei Etappen wurden die Bände zu den Zeiträumen von 1814 bis 1917, von 1701 bis 1813 und von 1542 bis 1700 veröffentlicht. Anfang 2020 ist das Systematische Repertorium zur Inquistion für das 16. und 17. Jahrhundert erschienen. Seit Sommer 2020 liegen die Personen und Profile 1542-1700 vor. Dank einer Förderung durch die Fritz-Thyssen-Stiftung kann jetzt auch die Arbeit am letzten Band der Reihe, dem Repertorium zur Indexkongregation, zügig abgeschlossen werden. In diesem Projekt beschäftigt sind Dr. Judith Schepers, Hedwig Rosenmöller und als Hilfskraft Paul Krämer, der für die abschließenden Arbeiten an der Edition der Bandi verantwortlich ist, sowie die Hilfskräfte Christian Middendorf und Lorena König. Außerdem unterstützt Dr. Barbara Schüler die Fertigstellung der Bände.

Bistum und Hochstift Münster um 1750
© Schnell & Steiner, Gatz, Atlas zur Kirche in Geschichte und Gegenwart, Regensburg 2009

Forschungsstelle für die Geschichte des Bistums Münster

Die Forschungsstelle bietet pro Semester eine Lehrveranstaltung zur Geschichte des Bistums Münster an der Katholisch-Theologischen Fakultät an. Außerdem wird sie die einschlägigen Akten in den vatikanischen Beständen heben, sondieren und auswerten, die zur Geschichte der Diözese nach der Archivöffnung im März 2020 zugänglich geworden sind. Der Sitz der Forschungsstelle befindet sich im zweiten Obergeschoss der Aegidiistraße 67. Ansprechpartner ist Dennis Hartjes, als Hilfskraft ist außerdem Pia Wontorra im Projekt beschäftigt.

Postkarte Gnadenbild von Telgte
© Per aspra, alte Postkarte, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gnadenbild-Telgte.JPG

Institut für Religiöse Volkskunde e.V.

Das Institut für Religiöse Volkskunde dient, seiner Satzung aus dem Jahr 1964 gemäß, der Förderung wissenschaftlicher Forschung zu den Gebieten der religiösen Volkskunde und der rheinisch-westfälischen Kirchengeschichte. Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses schreibt das Institut alljährlich das "Alois-Schröer-Stipendium" aus.

Abgeschlossene Projekte

"Aufbruch" oder "Zusammenbruch"? Die katholische Theologie und die Studentenbewegung von 1968

1968 bedeutete für viele Katholikinnen und Katholiken einen Bruch, auch und gerade im Hinblick auf ihre Religiosität und Kirchlichkeit. Aber in welchem Verhältnis stand die 68er-Bewegung zu den ganz unterschiedlichen Formen des Katholischseins? Und vor allem: Welche Rolle spielte die katholische Theologie dabei? Diesen Fragen widmen sich Stephen Wißing und Benedict Dahm mit Prof. Dr. Dr. h.c. Hubert Wolf im von Dr. Michael Pfister koordinierten Projekt „Katholische Theologie und die Studentenbewegung von 1968“. Das Vorhaben gehört zur Forschungsgruppe „Katholischsein in der Bundesrepublik Deutschland. Semantiken, Praktiken und Emotionen in der westdeutschen Gesellschaft 1965-1989/90“, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird und bei der Bonner Kommission für Zeitgeschichte angesiedelt ist.

Kritische Online-Edition zur Entstehung von heiligen Texten durch lehramtliche Entscheidungen der katholischen Kirche (Exzellenzcluster "Religion und Politik", Projekt C3-19)

Dieses Digital-Theologie-Projekt fragte, wie die Rezeption von Schrift und Tradition in normativen Dokumenten des katholischen Lehramts des 19. und 20. Jahrhunderts wie Dogmatischen Konstitutionen oder Enzykliken mithilfe digitaler Methoden erstmals ohne immensen Zeitaufwand erfasst, ausgewertet und dargestellt werden kann. Als Teil des neuen interdisziplinären und interreligiösen Forschungsschwerpunkts des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ hat das Projekt dazu beigetragen, verschiedene Schichten der Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte zu veranschaulichen und die historische Entstehung von theologischen Texten, die als verbindlich erachtet werden, nachzuzeichnen.

Kooperationsprojekt "Joannes Baptista Sproll, Bischof von Rottenburg 1927-1949"

Joannes Baptista Sproll, geboren 1870, amtierte von 1927 bis zu seinem Tod im Jahr 1949 als Bischof der Diözese Rottenburg. Er erlebte zahlreiche politische Umbrüche: vom Kaiserreich über den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, das "Dritte Reich" und den Zweiten Weltkrieg bis zur Besatzungszeit. Überregionale Bekanntheit erlangte er, als er sich 1938 demonstrativ weigerte, an der Volksabstimmung und Reichstagswahl anlässlich der Annexion Österreichs teilzunehmen. Durch inszenierte Demonstrationen vertrieben die Nationalsozialisten den schon seit Jahren unbequemen Bischof als "Volksverräter" aus seiner Diözese – ein im deutschen Episkopat singulärer Fall. Erst nach Kriegsende konnte der schwerkranke Bischof aus seinem bayerischen Exil zurückkehren.

Institut für die Geschichte des Bistums Münster

Das Institut für die Geschichte des Bistums Münster wurde 2004 als Kooperationsprojekt zwischen der Diözese und der Universität Münster gegründet. Ziel war es, die Geschichte der Ortskirche des westfälischen Münsterlandes zu erschließen und in der Lehre zu präsentieren. Das Institut war zudem Ansprechpartner für Verbände und Institutionen des Bistums. Ein Schwerpunkt der Arbeit lag in der Rekonstruktion von Aktenbeständen, die im Zweiten Weltkrieg verlorenen gegangen waren. Erstlingswerke junger Autoren zur Geschichte des Bistums nahm die Buchreihe "Junges Forum Geschichte" in den Blick. In weiteren Projekten wurden die Archivalien der Visitatur Ermland erfasst, das "Westfälische Klosterbuch" fortgeführt und die Geschichte der "Wandernden Kirche" in der Zeit des Nationalsozialismus untersucht. Außerdem brachte sich das Institut mit einem Drittmittelprojekt in die Ausstellung Frieden. Von der Antike bis heute ein. Der Teilbereich "Frieden. Wie im Himmel so auf Erden?" thematisierte in Münster christliche Friedensvorstellungen sowie den Zusammenhang mit dem Judentum und dem Islam. Das Projektteam bildeten der Kurator Dr. Thomas Fusenig, die Kuratorin Viktoria Weinebeck, Elisabeth Lange und Katrin Toelle. Im Jahr 2020 wurde am Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte die Forschungsstelle für die Geschichte des Bistums Münster eingerichtet, die in der Tradition des Instituts steht.

Päpstliches Zeremoniell in der Frühen Neuzeit (SFB 496, Teilprojekt B6)

Mit dem Teilprojekt "Das Päpstliche Zeremoniell in der Frühen Neuzeit (1563-1789). Höfische Repräsentation, theologischer Anspruch und liturgische Symbolik" (B6) waren Prof. Dr. Hubert Wolf und das Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte im Sonderforschungsbereich (SFB) 496 vertreten, dessen Förderphase am 31. Dezember 2011 abgelaufen ist. Im Zentrum stand die Frage nach der wechselseitigen Prägung von theologischen Wertvorstellungen und symbolischen Praktiken.

Der Vatikan und die Legitimation physischer Gewalt. Das Beispiel des Spanischen Bürgerkriegs (Exzellenzcluster "Religion und Politik", Projekt D9)

Die Bestände des Vatikanischen Apostolischen Archivs bieten ein schier unerschöpfliches Reservoir, um die weltumspannende Politik der katholischen Kirche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Blick auf das Themenfeld "Religion und Gewalt" aus neuer Perspektive zu betrachten: Wie beobachtete und bewertete der Vatikan physische Gewalt in verschiedenen Ländern? Am Beispiel des blutigen Konflikts, der in den dreißiger Jahren das tief katholische Spanien zerriss, wird die Brisanz dieser Fragen besonders deutlich.