April 2023 | Zwölf Monate, zwölf Menschen | Porträt über Prof. Dr. Christos Gatsogiannis
April 2023 | Zwölf Monate, zwölf Menschen | Porträt über Prof. Dr. Christos Gatsogiannis

Auf einer Reise in ein unbekanntes Land

Prof. Dr. Christos Gatsogiannis vom Institut für Medizinische Physik und Biophysik ist verantwortlich für die Kryo-Elektronenmikroskopie an der Universität Münster. Im April 2023 wurde ein Gerät der höchsten Leistungsklasse in seiner Arbeitsgruppe eingeweiht.
Christos Gatsogiannis möchte kleinste Strukturen und die Prozesse im Inneren von Zellen sichtbar machen.
© Uni MS - Nike Gais

Als Christos Gatsogiannis in seiner griechischen Heimatstadt Karditsa seine Koffer packt, um in Deutschland zu studieren statt in Athen wie seine Freunde, ist er 18 Jahre alt. Zuvor hat er lange gegrübelt, ob es die richtige Entscheidung ist. Doch alles fügt sich sehr schnell: In Deutschland verfliegen die Zweifel schon beim Sprachkurs am Frankfurter Goethe-Institut.

Während des Biologiestudiums in Mainz entdeckt er seine Begeisterung für die molekularen Mechanismen, die in jeder Zelle ablaufen und das Leben ermöglichen – und für die Strukturen der Proteine, die für deren Funktion entscheidend sind. Damals, in den 2000er Jahren, ist die Röntgenkristallographie die Methode der Wahl, um Proteinstrukturen zu analysieren. Allerdings lässt sich längst nicht jedes Protein untersuchen, und die Aufklärung einer einzigen Struktur dauert oft Jahre. Christos Gatsogiannis, der seit 2020 an der Universität Münster lehrt und forscht, entdeckt während des Studiums noch eine andere Technik für sich: die Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM), bei der biologische Proben auf extrem niedrige Temperaturen abgekühlt werden. „An eine hochauflösende Analyse von Proteinstrukturen damit war damals nicht zu denken“, betont er heute.

Seit der Studienzeit hat sich viel getan für Christos Gatsogiannis: 2022 baut seine Arbeitsgruppe im Center for Soft Nanoscience (SoN) ein nagelneues Kryo-Elektronenmikroskop der Extraklasse auf, und im April 2023 folgen zahlreiche Ehrengäste seiner Einladung zur offiziellen Einweihung – ein vorläufiger Höhepunkt seines beruflichen Traums. Das neue Gerät erreicht eine Auflösung von etwa einem zehnmillionstel Millimeter, was der Größenordnung von Atomradien entspricht. Es ermöglicht die Strukturbestimmung von Proteinen und anderen Biomolekülen und sogar hochauflösende Einblicke direkt in die Zelle.

Doch der Reihe nach: Christos Gatsogiannis widmet seine Doktorarbeit der Kryo-EM, die damals noch in den Kinderschuhen steckt. Jede Aufnahme entwickelt er einzeln in der Dunkelkammer. 2009 schließt er die Arbeit mit der Bestnote „summa cum laude“ ab und entschließt sich, für ein Postdoktorat in Deutschland zu bleiben. Seine nächste Station ist das Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare Physiologie in Dortmund, wo es einen Schwerpunkt in der Kryo-EM gibt. Nach dem Postdoktorat wird er dort Gruppenleiter in der Abteilung für strukturelle Biochemie.

Während Christos Gatsogiannis in Dortmund forscht, macht die Mikroskopietechnik einen Quantensprung – die Kryo-EM erreicht atomare Auflösung –, und gleichzeitig findet eine Revolution der Computersoftware statt. Die drei Wissenschaftler, die die Entwicklung der Kryo-EM anstießen und ermöglichten, nehmen 2017 den Chemie-Nobelpreis entgegen.

Etwa zur gleichen Zeit erhält die Universität Münster ein neues Forschungsgebäude: das SoN. Im Erdgeschoss des Neubaus, unterhalb eines Erdwalls, liegt ein spezieller Laborraum mit einer Bodenplatte aus Beton, die luftgefedert auf Pfeilern schwebt und nahezu schwingungsfrei ist. Dieser Raum ist eigens dafür gebaut, ein Kryo-Elektronenmikroskop zu beherbergen.

Als Christos Gatsogiannis seine Stelle am MPI in Dortmund aufgibt, um den Ruf an die Universität Münster anzunehmen, ist das Labor im SoN noch leer. Unter seiner Regie folgt ein Großgeräte-Antrag; weitere Arbeitsgruppen aus Medizin, Biologie und Chemie sind beteiligt. 2022 gibt es eine Erfolgsmeldung: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligt eine 7,5 Millionen Euro teure Geräteausstattung für Hochleistungs-Kryo-Elektronenmikroskopie. Wenige Monate später wird die kostbare Fracht geliefert und eingeweiht. Mittlerweile nutzen zahlreiche Arbeitsgruppen der Universität Münster das Mikroskop, das so leistungsstark ist, dass es bundesweit seinesgleichen sucht.

Christos Gatsogiannis hat inzwischen erneut seine Siebensachen gepackt und ist mit seiner Frau und seiner Tochter aus Dortmund ins Münsterland gezogen. Seinen Traum, in die Zellen zu blicken, hat er noch immer. Er sagt: „Wenn wir durch das neue Mikroskop schauen, wissen wir nicht, was uns erwartet. Es ist wie eine Reise in ein unbekanntes Land.“

Christina Hoppenbrock

 


Dieser Beitrag stammt aus der Broschüre „Zwölf Monate, zwölf Menschen“, erschienen im Februar 2024.

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