Die Hadithwissenschaften und Hadithhermeneutik

Die Hadith-Wissenschaft kümmert sich in erster Linie um das Verifizieren bzw. das systematische Archivieren der Traditionsmaterialien, die sich auf das Leben des Propheten Muhammad beziehen. Parallel zur Entstehung der Hadithkompilationen entwickelten sich eigenständige Disziplinen, die sich mit Fragen zur Glaubwürdigkeit von Überlieferern und der Authentizität von Überlieferungen befassen. Dies veranlasste Ḥākim an-Nīsābūrī (gest. 405/1014) erstmalig von den Hadithwissenschaften (ʿulūmu l-ḥadīṯ) im Plural zu sprechen. Ihre theologische Relevanz und frühzeitige Etablierung im islamischen Wissenschaftskanon gehen vor allem auf den Umstand zurück, dass der Prophet Muhammad im Koran (33/21) für die Muslime als ein schönes Vorbild (ʾuswa ḥasana) dargestellt wird. Zudem hatte der Prophet laut eines Koranverses (16/44) die Funktion, die Botschaft des Korans mit seinen eigenen Worten und Taten zu verdeutlichen. Somit avancierte die Lebenspraxis des Propheten zum Vorbild (Sunna) und neben dem Koran zu einer weiteren theologischen Bezugsquelle der Muslime. Hadithwissenschaften liefern uns insofern historische Überlieferungsmaterialien, durch welche sich die Sunna des Propheten konturieren lässt. Mit Blick auf die große Bandbreite der Hadithliteratur und damit einhergehenden Fragen nach der Historizität und angemessenen Auslegung der prophetischen Traditionen widmet sich der Schwerpunktbereich „Hadithwissenschaften und Hadithhermeneutik“ vor allem zwei Aspekten: Einerseits dem Studium der vielfältigen klassischen Hadithliteratur und andererseits den kritischen Forschungen zu ihrer Historizität und zeitgemäßen Interpretation.