Call for Papers (Frist: 29.01.2021)
Call for Papers (Frist: 29.01.2021)

Vögel aus Federn: Verschriftlichungen des Vogels seit 1800

7.–8. Mai 2021 | WWU Münster | Organisation: Manuel Förderer, Cristine Huck, Laura M. Reiling

Der Vogel hat Konjunktur auf dem Buchmarkt: Eine Vielzahl von Titeln präsentiert das Vogelbeobachten als erfüllende, geradezu meditative Praxis mit Suchtpotenzial – gerne auch in der urbanen Variante. Zudem ist der Vogel zum festen Bestandteil der zeitgenössischen Naturlyrik beziehungsweise des gegenwärtigen nature writing avanciert. In den Gedichten von Silke Scheuermann, Jan Wagner oder Henning Ziebritzki gehören Vogelmotiviken zum festen lyrischen Inventar. Die Vögel sind außerdem strukturelle, die narrative Ordnung erzählerischer Texte massierende Merkmale, etwa bei Marcel Beyer, Brigitte Kronauer, Andreas Maier, Norbert Scheuer und Jonathan Franzen – und 2017 widmete sich eine von Teresa Präauer herausgegebene Ausgabe der Neuen Rundschau der „poetischen Ornithologie“. Die Betonung des Nexus zwischen Vogelgesang und (poetischem) Schreiben beziehungsweise von Vogelbeobachtung und schriftstellerischer Praxis lässt sich mittlerweile ebenfalls an vielen Stellen nachweisen. Daneben erschienen mehrere Bücher, in denen die intensive Auseinandersetzung mit einem Vogel – in auffallender Weise zumeist mit einem Greifvogel – im Dienst der Selbsterkenntnis oder Trauerarbeit stehen, so beispielsweise bei Helen Macdonald.

Dabei wird die Literaturgeschichte bereits von früh an von Vögeln bevölkert. So tritt der Vogel als kommunikativer Vermittler zwischen göttlicher und humaner Sphäre schon in der Antike auf, eine Denkfigur, die sich bis ins Hochmittelalter hält, wo der Heilige Geist in Gestalt eines Vogels den schreibenden Mönchen auf den Schultern sitzt und diesen diktiert. Diese Verbindung von Vogel und Autorschaftskonzepten sowie poetologischen Fragestellungen bleibt bis in die Moderne virulent; von 1800 an gehört die Rede vom Dichter beziehungsweise der Dichterin als Vogel zum Kerninventar schriftstellerischer Selbstreflexionen und dichterischer Analogiebildungen, die sich noch bei Günter Eich oder Peter Huchel nachweisen lassen. Zudem bewohnen Vögel seit jeher die Gefilde des Satirischen und Komischen, so bereits bei Aristophanes Die Vögel (Ὄρνιθες), Wilhelm Busch stellt mit seinem Hans Huckebein (1867/68) einen Raben ins Zentrum seiner Bildergeschichten und jüngst veröffentlichten Jürgen Roth und Thorsten Roth ihre an Alfred Brehms anthropomorphisierenden Tierbeschreibungen orientierte Kritik der Vögel (2017). Dass Vögel zudem Träger des Unheimlichen und Bedrohlichen sein können, ist nicht erst seit Hitchcocks Die Vögel (1963), David Lynchs Blue Velvet (1986) und Twin Peaks (u.a. 1990) oder Stephen King (Stark [1989]) bekannt, sondern zeigt sich beispielsweise in den Gedichten und Erzähltexten Theodor Storms, wo sie elementarer Bestandteil einer Evokationsstrategie unheimlicher Atmosphären und Stimmungen sind. Sie sind nicht zuletzt Auslöser und Stimulanz von Prozessen der Selbstreflexion, in denen Fragen nach dem Wie und Warum des In-der-Welt-Seins aufgeworfen werden, und sie bebildern Wünsche, Hoffnungen und Ängste. Das Vogelbeobachten wird, so die Hypothese, zum Ausgangspunkt eines Dialogs des Beobachtersubjekts mit sich selbst.

Das zunehmende Auftreten der Vögel in der Literatur der Moderne scheint dabei, vor allem in den letzten drei Jahrzehnten, verstärkt als kulturelle Reaktion auf das zunehmende Verschwinden des Vogels und der von ihm bewohnten Landschaften lesbar zu sein. Je prekärer die Existenz des Vogels in den Landschaftsräumen der Moderne ist, umso mehr scheint er sich in die Texträume der Literatur zu drängen, die archivisch die Namen der Verschwindenden und schon Verschwundenen registrieren. Dass es sich bei dem gegenwärtig zu beobachtenden Ornitho-Boom nicht um ein rein  deutsches Phänomen handelt, zeigen im anglophonen Raum beispielsweise T. C. Boyle, Louise Glück, Robert Macfarlane oder Patrick Neate, dessen Roman The London Pigeon Wars aus der Sicht einer Taube erzählt ist, oder im französischen Literaturraum Texte von Yves Bonnfoi und Victor Pouchet.

Die Tagung Vögel aus Federn: Verschriftlichungen des Vogels seit 1800 will diesen vielfältigen Erscheinungsformen des Vogels in der Literatur seit 1800 interphilologisch nachspüren, historische Kontinuitäten sowie Brüche in der Funktionalisierung und Ästhetisierung des Vogels sowie seiner Rolle als Motiv, Stoff und strukturbildendes Element in Lyrik und Prosa akzentuieren und die vielfältigen Bezüge zwischen Vogel und Schreibpraxis herausstellen. Beiträge können sich unter anderem folgenden Fragen widmen:

  • Wie gestaltet sich die Rolle des Vogels als ästhetisches Element der literarischen Landschaftsgestaltung?
  • Welche Rolle spielt der Vogel im Gesamtwerk einzelner Autorinnen und Autoren?
  • Wie stellt sich in literarischen Texten die Figur des Vogelbeobachters dar?
  • Welche Arten von Vogel-Figurationen lassen sich in literarischen Texten nachweisen (Federn, Flügel, Balg, Masse, Schwarm u.Ä.)?
  • Mit welchen Motiven/Themenfeldern verknüpfen sich avifaunistische Darstellungen?
  • Welche Differenzen der Vogeldarstellung stellen sich vermittelt über die literarische Gattungszugehörigkeit dar?
  • Welche Unterschiede zeigt das literarische Vogelbeobachten aus komparatistischer Perspektive (Einfluss des Anglophonen auf deutschsprachige Literaturproduktion, Medienvergleiche etc.)?
  • Welche politischen, soziologischen und didaktischen Implikationen gehen mit dem nature writing des Vogels einher (Publikationsentscheidungen, Stiftung medialer Öffentlichkeit des nature writing i.S.v. Preisen etc.)?
  • In welchem Zusammenhang stehen poetische Vogelbeobachtung und Ökokritik, auch in historischer Perspektive? Inwieweit wird der Vogel als Reflexionsfigur für Umweltschutz/-zerstörung funktionalisiert?

Es wird um Einsendung von Abstracts (max. 2500 Zeichen mit Leerzeichen, zusätzlich Kurz-Biographie und ggf. -Bibliographie) mit Themenvorschlägen für 20-minütige Vorträge bis zum 29.01.2021 an Manuel Förderer (m.foerderer@uni-muenster.de) und Laura M. Reiling (l_reil02@uni-muenster.de) gebeten. Die Ausschreibung möchte explizit auch den wissenschaftlichen Nachwuchs zu einer Bewerbung aufrufen. Rückmeldung zur Annahme der Vorschläge erhalten Sie von uns bis zum 12.02.2021. Wir behalten uns vor, die Tagung angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie digital über Zoom stattfinden zu lassen. Falls Sie nur teilnehmen möchten, wenn die Tagung digital ausgerichtet wird, lassen Sie uns das bitte in Ihrer Zusendung wissen. Eine Veröffentlichung der Beiträge im Rahmen eines Sammelbands ist angedacht.