Dezember 2019
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Münze des Monats

© gemeinfrei

Die Macht einer Münze: Ein Berner Plappart des 15. Jahrhunderts

Berner Plappart, um 1421 (?), 2,13g
Vs: + x MONETA x BERNENSIS x; Rs: + x SANCTUS x VINCENCUS x
Hans-Ulrich Geiger, Der Beginn der Gold- und Dickmünzenprägung in Bern. Ein Beitrag zur Bernischen Münz- und Geldgeschichte des 15. Jahrhunderts, Bern 1968, S. 241, Nr. 10, Beschreibung und Datierung ebd. S. 145.

„Einer bat mich, sag mir wer / von allem wohl das Stärkste wär, / (...) da sprach ich: der Pfennig!“ Der Spruchdichter Heinrich der Teichner besingt hier die große Macht der kleinen Münze: Sie sei in der Lage, den Lauf aller Dinge auf ein neues Ziel zu lenken. Der Rekurs auf die gebieterische Gewalt des Geldes stellt fraglos einen allfälligen Gemeinplatz dar, im Gefolge des sog. ‚material turn‘ gewinnt er indes unversehens an Aktualität. Lassen sich die Verse des Teichners als Verweis darauf lesen, dass dem Objekt Münze der Status eines historischen Akteurs zukommen sollte, der im Sinne der Soziologen Bruno Latour und Michel Callon „andere Elemente von sich abhängig macht und deren Willen in seine eigene Sprache übersetzt“? Inwiefern können Münzen in ihrer stofflichen Gegenständlichkeit als Mitwirkende am Gang der Geschichte beschrieben werden?
Nicht nur als abstrakte Rechengröße kann Geld Kriege verursachen, entscheiden und beenden. Die Münze des Monats Dezember zeugt von einer sehr viel handfesteren Einflussnahme eines nur scheinbar unscheinbaren Objekts. Es handelt sich um einen Plappart Berner Prägung, dessen vom mittellateinischen ‚blaffardus‘ (blass, weißlich) abgeleitete Bezeichnung auf eine Silbermünze von vergleichsweise hohem Feingehalt verweist. Die Stadt Bern ist die Geburtsstätte der gezeigten Groschenmünze, die hier seit 1388 vermutlich zunächst als Schilling zu 12 Pfennigen ausgeprägt wurde. Im Jahr 1421 wurde der Feingehalt des Berner Plapparts verbessert, er wurde nun bei einem Raugewicht von 2,33 g jeweils hälftig aus Silber und Kupfer legiert und galt folglich um 15 Pfennige lokaler Währung. Gleichwohl war dieser neue Qualitätsstandard nicht dauerhaft gewährleistet. So kam es zu jenen Unstimmigkeiten, die im August des Jahres 1458 jäh die Hochstimmung eines zu Konstanz abgehaltenen Schützenfestes durchbrachen. Die Reichsstadt am Bodensee hatte damals die benachbarten Eidgenossen unter Zusicherung freien Geleites zu einem Wettschießen geladen, dessen Siegern mit Rössern, Ochsen und Ringen wertvolle Sachpreise in Aussicht gestellt wurde. Zu ihrer Finanzierung hatte jeder Schütze den Betrag von einem Gulden als Wetteinsatz zu hinterlegen. Das weitere Geschehen schildert der Chronist Diebold Schilling d. J. in plastischer Eindrücklichkeit: „Jeder der Schützen nahm Geld aus seinem Säckel und zwar die Münzen, die damals in Gericht und Gebiet seiner Herrschaft gang und gäbe waren.“ Darunter befanden sich auch Plapparte aus Bern, „auf dem der Bär, das Zeichen der ehrsamen Bürger von Bern, zu sehen war“. Die Gastgeber hätten dieses Gepräge freilich zum Gegenstand des Spotts gemacht, den stolzen Wappenbären als Kuh verunglimpft und die fremde Münze insgesamt als „Kuhplappert“ zurückgewiesen. Dahinter verbarg sich ein Vorwurf, der den Eidgenossen des 15. Jahrhunderts schmerzlich vertraut war: „er wer kein kuwekiher“, so zitiert ein Speyerer Chronist einen der aufgebrachten Berner, der sich nach anderer Fassung mit einem Fausthieb gegen die Unterstellung sodomitischer Praktiken verwahrte. Was als spontanes Handgemenge begann, mündete kurze Zeit später in den sogenannten Plappartkrieg. Auf Betreiben einiger Bürger aus Luzern eröffnete die Eidgenossenschaft eine Fehde und setzte schließlich mehr als 4000 Bewaffnete gegen Konstanz in Marsch. Die Bodenseestadt wusste sich ob dieser Eskalation nicht anders zu behelfen, als für die Gesamtsumme von 5000 Gulden einen Gewaltverzicht zu erkaufen: „Daruff zoch jederman wider heim und ward denen von costentz irs schiessens gelonet“, so der hämische Kommentar Diebold Schillings.
Welche Erkenntnis lässt sich aus der Episode über die Macht des Münzgeldes ziehen? Wenig, so suggerierte es der Konstanzer Stadtarchivar Helmut Maurer, der die Erzählung vom Kuhplappart als eidgenössische Propaganda-Fiktion zu entlarven suchte. Dem ist nicht nur entgegenzuhalten, dass die Geschichte vermutlich erstmals in der Reichsstadt Speyer und damit fernab der Schweiz verschriftlicht wurde. Schwerer noch wiegt das Argument, dass der Scheltname „Kuhplappart“ wohl keine spontane Neuschöpfung war, sondern eine längst geläufige Bezeichnung der Berner Münze: Bereits für 1434/35 verzeichnet das Rechnungsbuch der Reichsstadt Basel einen Verlust von 15 lb. wegen der Abwertung der ‚kuoplapharten‘. Auch in der Folge blieb man in Basel skeptisch gegenüber den Emissionen der Nachbarstadt: Eine Überprüfung der Münzqualität ergab im Juli 1466, dass der Berner Blappart statt acht tatsächlich nurmehr sieben Lot Silber (437/1000) enthielt. Mit 10 Basler Pfennigen sei er daher deutlich überbewertet, realistischer schien ein Nennwert von 9 Pfennigen. Überträgt man dieses Resultat auf die Szenerie des Konstanzer Schützenfestes, so ergäbe sich folgende hypothetische Situation: Während die Berner als Äquivalent des geforderten Guldens 28 ihrer Plapparte auf den Tisch legten, könnten die Konstanzer entsprechend dem damaligen Kurswert der feinen Mark Silber mindestens 31 Münzen eingefordert haben. Sofern das alte Stereotyp zutrifft, dass bei Schwaben wie bei Schweizern beim Thema Geld der Spaß aufhört, wäre der Streit geradezu unvermeidlich.
Der Plappartkrieg scheint daher geeignet, eine grundlegende Problematik des spätmittelalterlichen Münzwesens zu veranschaulichen: Nennwert und Sachwert lokaler Prägungen waren kaum jemals deckungsgleich und doch endete das Garantieversprechen der Münzherren in der Regel an den Grenzen des eigenen Territoriums. Im vorliegenden Fall freilich versuchten die Eidgenossen, den Geltungsbereich des Nominalwertes und damit den Kredit ihres Gemeinwesen auf dem Wege militärischer Gewalt auszuweiten. Auf der Grundlage des Fehderechts konnte die despektierliche Herabsetzung des Münzbildes als ehrverletzende Schädigung der Garantiemacht – des Berner Rates und mit ihm aller Eidgenossen – aufgefasst werden. Es war demnach tatsächlich die konkrete Materialität der Münze, die den Gegenstand des Anstoßes bildete, ein gewaltiges Aufgebot an menschlichen Akteuren ‚in Harnisch‘ brachte und zu ihrer Verteidigung mobilisierte. In der Fähigkeit des Berner Plapparts, die latenten Spannungen zwischen Schweizern und Schwaben in die Sprache des Geldes zu übersetzen, mag man tatsächlich eine bemerkenswerte Handlungsmacht erblicken.

Jan Keupp

Literatur:

  • Diebold Schilling d. J.: Eidgenössische Chronik, Korporation Luzern, S 23 fol., URL: https://www.e-codices.ch/en/list/one/kol/S0023-2 (Zitate S. 126f.).
  • Speierische Chronik, hrsg. von Franz Joseph Mone, in: Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, Bd. 1, Karlsruhe 1848, S. 367–520 (Zitat S. 423).
  • Die Gedichte Heinrichs des Teichners, Bd. 2, hrsg. von Heinrich Niewöhner (Deutsche Texte des Mittelalters 46), Berlin 1954 (Zitat Nr. 417, S. 188f.).
  • Felix Burckhardt, Münznamen und Münzsorten. Ergänzungen zu numismatischen Wörterbüchern, in: Schweizer Münzblätter 5/18 (1954/55), S. 32–36.
  • Michel Callon/Bruno Latour, Die Demontage des großen Leviathans: Wie Akteure die Makrostruktur der Realität bestimmen und Soziologen ihnen dabei helfen, in: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie, hrsg. von Andréa Bellinger/David Krieger, Bielefeld 2006, S. 75–101 (Zitat S. 85).
  • Hans-Ulrich Geiger, Der Beginn der Gold- und Dickmünzenprägung in Bern. Ein Beitrag zur Bernischen Münz- und Geldgeschichte des 15. Jahrhunderts, Bern 1968.
  • Bernhard Harms, Die Münz- und Geldpolitik der Stadt Basel im Mittelalter (Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Ergänzungsheft 23), Tübingen 1907.
  • Helmut Maurer, Formen der Auseinandersetzung zwischen Eidgenossen und Schwaben: Der ‚Plappartkrieg‘ von 1458, in: Die Eidgenossen und ihre Nachbarn im deutschen Reich des Mittelalters, hrsg. von Peter Rück/Heinrich Koller, Marburg a.d. Lahn 1991, S. 193–214.