
Eine klassische Schildkröte aus Aegina
Aegina, Hemiobol, 0,72 g, Zweite Hälfte 5. Jh. v. Chr. Münster, Archäologisches Museum der Universität, M 825
Nachdem Silber etwa ab der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. die Legierung Elektron als Hauptmünzmetall abgelöst hatte, begannen viele der griechischen Poleis Münzen zu prägen oder ihre bisherige Münzprägung deutlich zu intensivieren. Zu den frühesten Städten mit eigener Münzprägung im griechischen Mutterland gehörte neben Athen und Korinth die Insel Aegina. Strategisch günstig inmitten des Saronischen Golfes gelegen, zählte Aegina in der archaischen Zeit zu den führenden Handelsmächten im östlichen Mittelmeerraum. Diese Dominanz zeigt sich auch in der Münzprägung. Denn die Münzprägung Aeginas folgt einem eigenen staterbasierten System, das später mit wenigen Ausnahmen von allen Kykladeninseln und vielen Städten auf der Peloponnes und dem übrigen griechischen Festland übernommen wurde.
Wann genau die Silbermünzprägung in Aegina einsetzte, ist unbekannt. Der antiken Überlieferung zufolge (Marmor Parium, FGrHist 239 A 45) ließ König Phaidon von Argos erstmals auf Aegina Silbermünzen prägen, allerdings ist dessen historische Einordung höchst umstritten. Anhand von gut datierbaren Hortfunden lässt sich der Zeitraum jedoch auf die Mitte bis zum dritten Viertel des 6. Jhs. v. Chr. eingrenzen.
In dieser frühen Phase prägen die Aigineten Silbermünzen mit einer Seeschildkröte mit einfacher Punktreihe auf dem Rücken. Auf der Rückseite befindet sich ein quadratum incusum, das sich in für die frühen äginetischen Münzen typischer Weise mit unterschiedlichen, unregelmäßigen Füllungen präsentiert. Das quadratum incusum auf den Rückseiten der äginetischen Silbermünzen durchläuft eine typologische Entwicklung, die es ermöglicht, die verschiedenen Prägungen in eine chronologische Abfolge zu stellen. Auch die Schildkröte erfährt Veränderungen. Zu Beginn des 5. Jhs. v. Chr. wird die einfache Punktreihe auf dem Rücken der Seeschildkröte durch eine T-förmige Punktreihe ersetzt.
Eine grundlegende Neuerung vollziehen die Münzen zu einem unbekannten Zeitpunkt im 5. Jh. v. Chr., als die Seeschildkröte durch eine Landschildkröte ersetzt wird. Ein Beispiel für diesen neuen Münztyp ist die Münze des Monats Juli, die sich in der Sammlung des Archäologischen Museums der WWU Münster befindet. Der Hemiobol zeigt auf der Vorderseite die Landschildkröte und auf der Rückseite ein quadratum incusum mit fünf Feldern, das stilistisch dem der letzten archaischen Phase nahesteht.
Die Ursache für den Wechsel von See- zu Landschildkröte ist bisher nicht schlüssig erklärt worden. Laut der älteren Forschung scheint das veränderte Motiv auf das Ende der Vormachtstellung Aeginas im Seehandel hinzudeuten. Neuerdings tendiert man allerdings zu einer pragmatischeren Erklärung. Demnach sei das neue Motiv eingeführt worden, um die neuen Prägungen unmittelbar von den älteren Emissionen unterscheiden zu können, da diese stark abgegriffen und anscheinend untergewichtig waren. Auch der konkrete historische Anlass ist in der Forschung umstritten. Diskutiert werden die Einnahme der Insel durch die Athener 457/56 v. Chr. einerseits und die Wiederansiedlung äginetischer Bürger durch den spartanischen Admiral Lysander im Jahr 404 v. Chr. andererseits. Einer dritten Erklärung zufolge stammen die Prägungen mit der Landschildkröte aus der Zeit zwischen 445 und 431 v. Chr. (Vertreibung äginetischer Bürger und Ansiedlung athenischer Kleruchen, Thuk. 2,27), also einer Phase äginetischer Unabhängigkeit von Athen. Aufgrund dieser Datierungsunstimmigkeiten ist eine Feindatierung der Münsteraner Münze daher zwar nicht möglich, eine grobe Einordnung in die zweite Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. aber wahrscheinlich. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch anzumerken, dass man bemerkenswerterweise offenbar am Anfang des 4. Jhs. v. Chr. in Aegina zu der alten Darstellungsweise mit Seeschildkröte auf dem Avers zurückkehrte, was die Datierung äginetischer Münzen zusätzlich erschwert.
Im Einzelnen ungeklärt ist auch die Herkunft des Silbers für die äginetischen Münzen, denn auf der Insel gibt es keine Silbervorkommen. Nach Auskunft naturwissenschaftlicher Provenienzanalysen stammt ein Teil des Silbers für die archaischen Schildkröten von der Insel Siphnos. Dort haben sich archaische Bergbautätigkeiten montanarchäologisch verifizieren lassen, allerdings endeten die dortigen Abbautätigkeiten wahrscheinlich noch vor dem Beginn des 5. Jhs. v. Chr. Ein Großteil des Silbers wird daher aus anderen Regionen stammen, auf die Ägina durch die intensiven und weitverzweigten Handelsbeziehungen beste Zugriffsmöglichkeiten hatte.
Wie die Eule für Athen und der Pegasos für Korinth war die Schildkröte als knappes Symbol (parasema) für Aegina bestens geeignet, um einen hohen Wiedererkennungswert auf dem internationalen Markt zu generieren und so zur weiten Verbreitung und Akzeptanz des Zahlungsmittels beizutragen. Belegt wird dies durch den Fund zahlreicher antiker Imitationen und Fälschungen in mitunter weit von Griechenland entfernten Regionen des Mittelmeerraumes.
(Sophia Nomicos)
Literatur:
Permalink zum Digitalen Münzkabinett der Uni Münster:
https://archaeologie.uni-muenster.de/ikmk/object?id=ID1226
- R. R. Holloway, The Elder Turtles of Aegina (Diss. Princeton University 1960)
- F. P. Mittag, Griechische Numismatik. Eine Einführung (Heidelberg 2016) 63–66. 104.
- H. Nicolet-Pierre, Remarques sur le monnayage d’Égine au VIe et Ve siècle d’après la trouvaille de Mégalopolis de 1936, in: Frappe et ateliers monétaires dans l’Antiquité et au Moyen Age (Belgrad 1976) 5–12.
- E. Pernicka – G. A. Wagner, Die metallurgische Bedeutung von Sifnos im Altertum, in: G. A. Wagner – G. Weisgerber, Silber, Blei und Gold auf Sifnos. Prähistorische und antike Metallproduktion (Bochum 1985) 200–211.
- K. Sheedy, Aegina, the Cyclades, and Crete, in: W. E. Metcalf (Hrsg.), The Oxford Handbook of Greek and Roman Coinage (Oxford 2012) 105–127.