Januar 2019
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Münze des Monats

Münster, LWL-Museum für Kunst und Kultur 1,165 g, Dm. 18,6 mm, St. 90° (ex. Adolf Hess AG, Luzern, April 1966), Inv.Nr.17176Mz
© LWL-Museum für Kunst und Kultur (Westfälisches Landesmuseum), Münster

Pfennig des Corveyer Abtes Saracho


Av. Brustbild, einen nach außen gerichteten Krummstab haltend. Umher Perlkreis und Legende: SARAKA ABBAS COR
Rs. Kreuz mit Punkten in den Winkeln, umher Perlkreis und Legende: +ODDO+IVIPHING


Die Münzstätte Corvey gehört im Prinzip zu den ältesten in Deutschland. Im Jahre 833 gab Kaiser Ludwig der Fromme der Abtei das Recht, einen Markt mit Münzstätte und Zoll einzurichten, weil wie es in der Urkunde heißt, die Gegend solcher Einrichtungen entbehre. Man mag dies als Indiz werten, dass das Herzogtum Sachsen bzw. der nordwestdeutsche Raum, der ja erst durch die Sachsenkriege Karls des Großen dem Karolingische Reich hinzugefügt worden war, in dieser Zeit im Vergleich zum Rest des Reiches wirtschaftlich unterentwickelt war. Allerdings kennen wir aus der Zeit nach 833 keine Münze, die für Corvey in Anspruch genommen werden kann. Das liegt sicher auch daran, dass zur Zeit der Ausstellung des Diploms reichsweit einheitliche Münzen ohne Ortsnennung geprägt wurden. Die älteste Münze wurde in Zeiten König Heinrichs II. (1002-1024) geprägt und ist nur in einem Exemplar bekannt. In der Zeit danach entstanden in der abteilichen Münzstätte möglicherweise Nachprägungen der vom Harz ausgehenden Otto-Adelheid-Pfennige, die keine Ortsangaben enthalten. Solche kommen dann erst seit etwa 1045 vor.
Saracho, oft mit dem Beinamen „von Rosdorf“ genannt, wurde nach dem Tode des Abtes Arnold I. zu dessen Nachfolger gewählt und trat 1056 dieses Amt an. Gleich zu Beginn ließ er zur Sicherung der Abteigüter ein Verzeichnis aller Schenkungen erstellen. Im gleichen Jahr begann auch die Herrschaft König Heinrichs IV., der aber noch ein Kind war und unter der Vormundschaft seiner Mutter sowie der Erzbischöfe von Köln und Hamburg-Bremen stand. Als Vorsteher einer Reichsabtei gehörte auch Saracho zur königlichen Umgebung, hatte aber nicht den Einfluss der beiden Erzbischöfe. 1064 schenkte der noch minderjährige König die Reichsabtei Corvey dem Erzbistum Hamburg-Bremen. Dies wurde natürlich von Saracho so nicht akzeptiert und er bemühte sich um die Unterstützung von Papst Alexander II. sowie seines Verwandten Otto von Northeim, der von 1061-1070 Herzog von Bayern und somit eine Person mit Macht war. Er stand in Konflikt mit dem königlichen Vormund Erzbischof Anno von Köln, der 1062 den jungen König in seine Gewalt gebracht hatte. 1064 erreichte Saracho, dass Alexander II. der Abtei Corvey den Status der päpstlichen Unmittelbarkeit verlieh, wodurch es einem König nicht zustand die Abtei zu vergeben. So mussten 1066 der König wie auch Erzbischof Adalbert von Bremen den Corveyer Benediktinern ihre Unabhängigkeit (Libertas) bestätigen, womit die Schenkung von 1064 gegenstandslos war. Im Januar 1071 verstarb Saracho.
Mit Sarachos Bild und Name ist seit 1859/62 (Köhne, N. F. XII, 12) eine Silbermünze bekannt, die aus einem an unbekanntem Ort in Russland nach 1068 verborgenen Schatzfund stammt. Sie ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Hermann Dannenberg nahm sie 1876 als Nr.737 in sein Standardwerk zu den deutschen Münzen der ottonisch-salischen Zeit auf. Bilder von königlichen oder kaiserlichen Herrschern des deutschen Reiches waren gelegentlich schon im 10. Jahrhundert, vermehrt aber sind sie im 11.Jahrhundert anzutreffen. Die Erzbischöfe und Bischöfe waren dem gegenüber zurückhaltend. Eine Ausnahme ist der Mainzer Erzbischof Willigis, der sich im 1.Jahrzehnt des 11.Jahrhunderts im frontalen Brustbild ohne Insignien, aber in geistlicher Gewandung abbilden ließ und dabei auf Nennung seines Namens verzichtete. Auszuklammern sind hier auch diejenigen Bischofsbilder, die auf Münzen gebraucht wurden, um königliche Münzen nachzumachen. Sie weisen auch keine Insignien auf. Hervorgehoben ist bei Bildern Geistlicher immer deutlich die Tonsur, d.h. eine größere Stelle auf dem Kopf, auf der die Haare durch Rasur entfernt sind. Hierdurch wurden Geistliche, sowohl weltliche wie auch Mönche, äußerlich auch unabhängig von der Kleidung erkennbar. Der Brauch geht zurück in das Frühmittelalter und findet sich dementsprechend sowohl in der orthodoxen wie in der katholischen Kirche (wo er 1973 abgeschafft wurde). Auffällig an dem Kopf ist auch, dass der Abt Saracho ein Perldiadem trägt, dessen Bedeutung unerforscht ist. Seit den 1040-er-Jahren aber begann eine Welle von Münzprägungen von bischöflichen Brustbildern, sei es in Seitenansicht oder im Profil, mit dem Krummstab als Insignie. Tendenziell tauchen solche Bilder im Osten des Reiches eher später auf. Der Corveyer Pfennig entsprach damit einer Zeitströmung.
Die Entdeckung des Münztyps bewirkte in der Numismatik methodische Neuüberlegungen, da auf dem Gepräge sowohl die Namen Saracho und Otto vorkommen. Beide Namen passten in chronologischer Hinsicht nicht zusammen, da in der Amtszeit des Abtes der Name Heinrich (IV.) zu erwarten gewesen wäre und der letzte König Otto 1002 gestorben war. Man erkannte, dass mit Münzbildern im Mittelalter mitunter auch Namen fortgeführt wurden, die auch über den Tod der Namensträger hinaus beibehalten wurden. Heute ist die „Immobilisierung“ in der Münzgeschichte ein bekanntes Phänomen, das in den meisten Ländern Europas vorkam. Da im Mittelalter die absolute Mehrzahl der Bevölkerung analphabetisch war, waren bei manchen Münzbenutzern Buchtstaben nur bestimmtes Dekor, das dazu zu sein hatte, um Vertrauen in den Wert zu schaffen.
Die Seite mit dem Kreuz und dem Namen ODDO, der sächsischen Namensform zu oberdeutsch Otto, bedarf einer näheren Betrachtung. Moderne Menschen gehen davon aus, dass Angaben auf Zahlungsmitteln aus ihrer eigenen Zeit stammen. Das war im Mittelalter nicht grundsätzlich so. Zum einen Münzbilder wurden auch über längere Zeiten beibehalten, wenn es der Verbreitung des Produkts nützlich erschien. Zum anderen wurden schon in der Antike die Bilder erfolgreicher, weit verbreiteter Münzsorten in weiteren Münzstätten kopiert und dies in manchen Werkstätten ganz exakt, in anderen etwas lockerer. Mit Münzfälschung hatte das nichts zu tun, so lange das Produkt aus dem gleichen Material war wie das Vorbild und diesem auch im Gewicht nahekam.
Die wahrscheinlich erste Münzprägung in Westfalen geschah für den Erzbischof von Köln in dem diesem unterstehenden Ort Soest. Hier wurden Pfennige mit Aufschrift ODDO IMP(erator) AVG(gustus) geprägt, auch noch als Kaiser Otto II. 983 starb und der Nachfolger Otto III. kein Kaiser (Imperator) war und auch noch nach 1002, dem Todesjahr des dritten Otto. Dabei entfernte sich das Bild in sehr kleinen Schritten immer weiter von der Ausgangsvorlage. In Soest hielt sich das Bild bis weit in das 12.Jh. Andere Orte, die das erfolgreiche Modell des Soester Pfennigs aufgriffen, waren u.a. Münster, Osnabrück, Werl.
Sehr ähnliche Rückseiten finden sich auch auf Geprägen aus Herford, die auf der anderen Seite das Münzbild von Münster kopieren und wohl zeitgleich mit dem Pfennig des Abtes Saracho entstanden sind. Aus dem südostwestfälischen Raum heraus verbreitete sich das Bild auch nach Niederhessen, so dass mitunter der Entstehungsort einer Münze dieser Art nicht immer einfach festzustellen ist. So gibt es auch eine verwandte Art von Pfennigen, deren eine Seite den Münzen des hier besprochenen Corveyer Typs entspricht, jedoch gespiegelt.
Die Zuwendung der Münzprägung der Abtei Corvey nach Westen änderte sich bereits unter Saracho wieder. Wohl gegen Ende seines Abbatiats entstanden in Corvey, die auf einer Seite den Abt frontal und auf der anderen Seite ein Gebäude zeigen, das sich klar an Vorbildern aus der Münzstätte Goslar orientiert (Berghaus 1951 S.10).

(Peter Ilisch)

Literatur:

  • Heike Bartel, Das Münzprivileg Ludwigs des Frommen für Corvey (BM2 922). Archiv für Diplomatik 59, 2013, S. 147–168
  • Bernhard von Köhne, In Russland gefundene Münzen des eilften Jahrhunderts. Blätter für Münz- Siegel- und Wappenkunde N.F. 1859/62, S.321-327.
  • Peter Ilisch, Kleine Corveyer Münzgeschichte. Heimatkundliche Schriftenreihe 30. Paderborn 1999.
  • Peter Ilisch, Corveyer Münzen des Mittelalters. In: Höxter Bd.1: Höxter und Corvey im Früh- und Hochmittelalter, hrsg. v. Andreas König, Holger Rabe u. Gerhard Streich. Hannover 2003, S. 170-184.
  • Peter Ilisch, Überlegungen zur Bedeutung der Münzstätte Corvey im 11. Jahrhundert In: Von der Weser in die Welt, Festschrift für Hans-Georg Stephan (Hrsg .v. T. Gärtner, S. Hesse u. S. König). alteuropäische Forschungen N.F. 7, Langenweissbach 2015, S. 165-168.
  • Peter Berghaus, Deutsche Münzen des 11. Jahrhunderts in Kungliga Myntkabinettet, Stockholm. Hamburger Beiträge zur Numismatik 1951, S. 7-26.