Münze des Monats
Schautaler der Abtei Corvey auf Kaiser Leopold I. als Türkensieger 1690
Johann Odendahl (Münzmeister)
Silberprägung (Felder geglättet), Gew. 28,34 g, Dm. 48,9 mm, Stempelst. 180°; Ilisch/Schwede 327
LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster, Inv.-Nr. 46223 Mz
Fotos: Stefan Kötz
Peter Berghaus (1919–2012), von 1950 bis 1977 Landesnumismatiker Westfalens und danach bis 1984 Direktor des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster (seit 2013 „LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum“), hätte am 20. November seinen 100. Geburtstag feiern können. Hier sei zur Erinnerung an ihn eine seiner vielen Forschungsinteressen aufgegriffen: 1972 stellte Berghaus in der Wiener Numismatischen Zeitschrift „Numismatische Erinnerungen der Türkenkriege aus Westfalen“ zusammen. Einziges Stück seiner eigenen Museumssammlung war der Schautaler des Corveyer Fürstabtes Christoph von Bellinghausen (um 1641–1696, reg. ab 1678) von 1690 mit dem Brustbildnis des Kaisers und dem Titelzusatz „Bezwinger der Türken“. Einen konkreten Anlass dafür konnte Berghaus aber nicht nennen – es soll hier versucht werden. Methodisch geht das nur unter Benutzung archivalischer Quellen zum Münzwesen und zur Politik des Abtes.
Die Vorderseite des Talers zeigt das Wappen des Abtes: quadriert aus den Wappenbildern der Abtei (rot über gold geteilt) und seiner Familie (in Silber ein schräg gestellter roter Maueranker), die aus Schloss Altenbernsau bei Overath im Bergischen Land stammte; sein Vater Hans Georg, kaiserlicher Oberst, hatte in zweiter Ehe Anna von Dalwig, Erbtochter von Haus Knippenburg bei Bottrop, geheiratet, die Mutter Christophs. Beiderseits des Schildes verweisen Krummstab und Schwert auf die geistliche und weltliche Herrschaft des Abtes: der Krummstab meint die geistliche Herrschaft über ein „exemtes“, aus der bischöflichen – hier Paderborner – Zuständigkeit herausgelöstes und dem Papst direkt unterstelltes Gebiet. Das Schwert weist den Abt aus als ein nur dem Kaiser gehorsamspflichtiger Reichsfürst und Landesherr über ein eigenes Territorium, der eigenes Militär und eigenes Gericht ebenso wie etwa eigene Steuererhebung und Münzprägung haben durfte. Der Wappenschild ist geziert mit drei Helmen: zwei, der mittlere mit der Mitra und der linke mit den drei Krummstäben, gehören zum Wappen der Reichsabtei Corvey, der rechte mit den beiden Flügeln, die mit je einem Maueranker belegt sind, zum Familienwappen.
Über der Mitra des mittleren Helmes ist der heilige Vitus in Halbfigur mit seinen Attributen dargestellt: der Palmwedel erinnert an seinen Tod als Märtyrer, während der auf einem Buch sitzende Adler an seine Heiligenlegende anspielt: als Knabe von heidnischen Eltern Christen zur Erziehung übergeben, weigerte er sich, dem Kaiser zu opfern – Symbol seiner Standhaftigkeit ist das Buch –, wurde dann auf der Flucht von einem Adler ernährt und um 304 in siedendem Öl getötet, obwohl er den Sohn Kaiser Diokletians von einer „Besessenheit“ geheilt hatte. Als einer der vierzehn Nothelfer gegen zahlreiche Krankheiten von Menschen und Haustieren sowie Patron vieler Berufe genoss er europaweite Verehrung.
Die Umschrift SANCTVS VITVS PATRONVS CORBEIENSIS benennt ihn als den Heiligen Veit, Patron von Corvey: Nach der Überführung seiner Reliquien aus der königlichen Abtei Saint-Denis bei Paris an die Weser 836 war das ursprüngliche Corveyer Stephanus-Patrozinium durch Vitus erst ergänzt und dann verdrängt worden. Sein Bild findet sich auf vielen Corveyer Münzen seit dem Hochmittelalter, auch auf fast allen Schautalern des 17. und 18. Jahrhunderts. Hier ist die Vitus-Figur gerahmt von der Signatur des Münzmeisters I – O = Johann Odendahl.
Der Prägestempel der Rückseite mit dem Bildnis des Kaisers wurde bereits für einen Taler von 1688 verwendet – der mit der Abwehr der Türkenbelagerung Wiens 1683 eröffnete Krieg hatte die Rückeroberung des seit 1541 türkisch besetzten Ungarn eingeleitet. 1686 war die Hauptstadt Ofen (Budapest) erobert worden, 1687 war der Sohn des Kaisers zum König von Ungarn gekrönt worden, 1688 hatte man Belgrad erobert, das allerdings 1690 wieder verloren ging. Der Stempelschneider ist unbekannt. Es ist sicher nicht der Braunschweiger Graveur Levin Zernemann – so Ilisch / Schwede S. 375 –, der 1688 die Prägestempel für den Sedisvakanztaler des Hildesheimer Domkapitels geschnitten hatte. Dort ist das Porträt zwar sehr ähnlich, aber doch feiner geschnitten und vor allem auch ein anderes Punzenalphabet verwendet.
Das geharnischte Brustbild Kaiser Leopolds I. ist um den Lorbeerkranz des siegreichen Imperators ergänzt, der schon in der Antike ein Attribut des Kaisers war. Die Umschrift nennt seinen Titel LEOPOLD I & MAGNVS D[ei] G[ratia] ROM[anorum] IMP[erator] SEMP[er] AVG[ustus] TVRCAR[um] DOMITOR = Leopold der Erste und Große von Gottes Gnaden Kaiser der Römer, Allzeit Mehrer des Reiches, Bezwinger der Türken. Die letzte Formel gehörte nicht zur offiziellen kaiserlichen Titulatur, sondern ist ein Zusatz, der in dieser Form nur auf den Corveyer Talern mit dem Brustbild des Kaisers aus den Jahren 1688, 1690 und 1694 verwendet wurde.
Dass man den Kaiser auf die Rückseite setzte, hatte seine Ursache wohl einerseits darin, dass nach den Reichsmünzordnungen von 1551 (Hirsch Bd. I S. 345-346) und 1559 (Hirsch I S. 385) für die Rückseiten der Münzen Name und Titel des regierenden Kaisers vorgeschrieben war, um die Einhaltung der Reichsgesetze zu dokumentieren. Die Bestimmung wurde seitdem für viele Silbermünzen angewendet, selbst dort, wo die Reichsvorschriften für den Feingehalt missachtet wurden, wie auf den Apfelgroschen in Paderborn, Lippe und Corvey nach 1590. Auf den Sedisvakanzmünzen der Domkapitel zu Münster und Hildesheim von 1650, 1683 und 1688 zeigte man das Bild des Kaisers, obwohl der Reichshofrat in einem Urteil von 1651 deren Münzrecht bestritten hatte. Durch minutiöse Einhaltung dieser Vorschrift zur Nennung des Kaisers wollte man davon ablenken, dass man in anderer Hinsicht dagegen verstieß, zumal die Reichsmünzordnungen für diesen Fall den Verlust des Münzrechts androhten (1559 Art. 30, s. Hirsch I S. 411).
Der Ehrentitel eines „Bezwingers der Türken – sogar auf den Porträttalern das Abtes von 1688 als zweite, äußere Umschrift – erklärt sich nicht aus einem Corveyer Engagement im Türkenkrieg oder einer Sympathie des Abtes für die kaiserlichen Waffen aus Familientradition. Man stand zwar in ständiger Korrespondenz mit dem Kaiserhof und dem Reichstag in Regensburg, wo über die Türkenhilfe des Reiches diskutiert und entschieden wurde. Mit dieser puren Schmeichelei wollte man vielmehr wohl versuchen, am Kaiserhof ein positives Klima zu schaffen, einerseits, damit zwei hannoversche Kompanien aus Höxter abzogen, andererseits für den Fall etwaiger Kritik an der Corveyer Münzprägung. Den Regensburger Reichstagsberichten zufolge wurden mehrfach Initiativen gegen die unterhaltigen Gulden der illegalen sogenannten Heckenmünzstätten unternommen.
Tatsächlich war der Corveyer Abt Christoph einer der schlimmsten Falschmünzer seiner Zeit, indem er ab 1682 jährlich zu Hunderttausenden silberne Gulden zu 2/3 Taler angeblich nach dem Münzfuß des 1667 in Zinna zwischen Kursachsen, Kurbrandenburg und Braunschweig-Lüneburg geschlossenen Vertrags, faktisch aber ziemlich unterhaltig prägen ließ. Das Silber wurde auf dem internationalen Markt eingekauft und die Münzen so verbreitet. Pro 100 Mark Silber (à 233,85 g) sollte der 1682 angestellte Münzmeister Georg Binnenboß (1654–1720) bei groben Münzen drei Taler Schlagschatz zahlen. Als er 1685 ausschied, hatte er immerhin 1910 2/3 Taler Schlagschatz bezahlt! Wie sonst in jener Zeit oft üblich, wurden diese Gelder teilweise in guten neu geprägten Talern gezahlt. Die seit 1683 jährlich geprägten Vitustaler wurden beim Vitusfest (15. Juni) an die Ehrengäste verteilt, dienten also der fürstäbtlichen Repräsentation.
Nach dem Tode seines Nachfolgers nahm Binnenboß wieder das Amt eines Münzmeisters an und Ende 1686 die Prägung wieder auf. Da inzwischen die Münzprägung in Höxter vom – theoretisch – aufsichtsführenden Münzprobationstag des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises im fernen Köln verboten worden war, prägte er mit rückdatierten Stempeln, was gesetzlich verboten war. Zur Entrichtung des Schlagschatzes an den Abt entstanden wieder Talerstücke mit dem Bild des Heiligen Vitus, deren Stempel der inzwischen als Wardein (Aufseher) angestellte Kölner Goldschmied Johann Odendahl schnitt. Am 1. Mai 1687 wurden von Binnenboß 50 Vitustaler als Schlagschatz angemahnt. Insgesamt zahlte er 1687 für 95.556 Guldenstücke einen Schlagschatz von 1597 ½ Talern. Auch von 1688 sind noch drei Talertypen von Binnenboß bekannt, die dafür verwendet wurden, wobei man mehrfach nicht zusammengehörige Vorder- und Rückseitenstempel kombinierte. Darunter waren auch die Porträttaler des Abtes und des Kaisers mit dem genannten Titel, obwohl der Abt versicherte, er habe den Münzmeister entlassen, nachdem die Nachbarn gegen die Prägung schlechter Gulden protestiert hatten. Binnenboß wurde 1689 Münzmeister in Hildesheim.
Nachdem die Lage sich etwas beruhigt hatte, wurde im Oktober 1689 Johann Odendahl zum Münzmeister bestellt, wie es in der Bestallung und in Verteidigungsbriefen aus dem Juni 1690 heißt, „auch umb einige Schaw Stücke und Vitsthaler für ihr auswärtige Bediente und sonsten zu haben, wobei sie dan den ihrigen befohlen, das die Schawstücke und species nach dem Reichs Schrott und Korn, die Marckstücke und kleinere Sorten aber nach dem Fuß anderer fürstl. Müntze ausgemüntzet werden sollte“; pro 1000 Taler ausgemünzter Gulden sollte er 25 Taler als Schlagschatz abliefern. Münzen der Jahre 1689/90 kennt man bis auf diesen Taler zwar nicht. Da er erstmals in Corvey zur Prägung ein Walzwerk einsetzte, lassen sich aber seine Produkte in einigen auf 1684 datierten Gulden erkennen. Lieferungen der Taler an Diplomaten und auswärtige Agenten wie in Regensburg lassen sich allerdings bisher nicht nachweisen. Der Regensburger Agent Schwegerle erhielt 1689 sein über fast sechs Jahre rückständiges Salär von 400 Talern in schlechten Gulden, die nur mit der Hilfe Nürnberger Kaufleute der Konfiskation entgingen.
Die kreisausschreibenden Fürsten des Westfälischen Reichskreises, der Fürstbischof von Münster und der Kurfürst von Brandenburg, waren aber gewillt, entschlossen gegen die Heckenmünze in Höxter vorzugehen. Agenten sammelten Beweise für die Tätigkeit im Haus des Münzmeisters. Am 5. Juli 1690 schlug ein 250 Mann starkes Truppenkontingent aus münsterischen, brandenburgischen und Paderborner Truppen zu. Der Stadtkommandant – Höxter hatte eine münsterische Besatzung – öffnete die Tore, die Truppen besetzten die Münzstätte, zerstörten alles Inventar, beschlagnahmten Material und Akten, verhafteten den Münzmeister Odendahl und das gesamte Personal und brachten alles nach Münster. Damit endete die Münzprägung in Höxter. Auf den Protest des Fürstabtes antwortete man kühl, der Abt habe aus der Münzprägung 3.000 Taler Schlagschatz erhalten. Tatsächlich hatte der Umsatz Odendahls bei 100.548 Talern gelegen, der Schlagschatz von 2.953 ½ Talern war bis auf 439 Taler bezahlt worden. Das gemünzte Geld war nach Hamburg, Lübeck, Amsterdam, nach Polen und Preußen exportiert worden.
Doch statt den geständigen Münzmeister am Leben zu strafen und nach der peinlichen Halsgerichtsordnung von 1531 in kochendem Öl zu sieden, wurde das Münzpersonal entlassen und Odendahl „auf ewig“ aus dem Westfälischen Kreis verbannt. Jedoch 1691 sah man ihn wieder in Höxter, und 1692 wurde er vom münsterischen Fürstbischof als Münzmeister angestellt! Er besorgte nun die Ausprägung großer Mengen an Gulden, Kurantgeld und Landmünzen nach den Vorschriften der Leipziger und Torgauer Münzverträge von 1690. Odendahl starb 1697 in Münster.
Die gesetzlichen Selbstreinigungskräfte des Westfälischen Reichskreises hatten 1690 einigermaßen funktioniert. Die eigentlich für diese Münzvergehen in den Reichsmünzordnungen vorgesehene Annullierung des Münzrechtes durch den Kaiser traf den Corveyer Fürstabt jedoch nicht. Spielten dabei die dem Kaiser schmeichelnden Talerprägungen von 1688 und 1690 eine Rolle?
Gerd Dethlefs
Literatur
- Johann Christian Hirsch: Des Teutschen Reichs Münz-Archiv. 9 Bände, Nünberg 1756-1768, auch online lesbar; Bd. 1: https://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb11197784.html – Bd. 2: https://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10710563.html
 - Peter Berghaus: Numismatische Erinnerungen an die Türkenkriege aus Westfalen, in: Numismatische Zeitschrift 87/88, Wien 1972, S. 119-122 und Taf. 13
 - Gerd Dethlefs: Die Sedisvakanztaler und Türkenmedaillen des münsterischen Münzmeisters Gottfried Storp 1683–1688, in: Peter Berghaus (Hg.), Westfalia Numismatica 2001, Minden 2001 (Schriftenreihe der Münzfreunde Minden 17), S. 111-123
 - Peter Ilisch: Martin Müller, Taler für den Corveyer Abt Christoph von Bellinghausen 1683 (Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, Das Kunstwerk des Monats März 2005), 4 S., auch online lesbar s. https://www.lwl.org/landesmuseum-download/kdm/archiv/2005/kdm_03_2005.pdf
 - Arnold Schwede / Peter Ilisch: Das Münzwesen im Stift Corvey 1541–1794, Paderborn 2007, S. 361-384, 460 Nr. 327, mit der älteren Literatur.
 - Andreas Kurte: Die Äbte, Fürstäbte und Fürstbischöfe von Corvey, Paderborn 2017, S. 223-228.
 
Archivalien
- Landesarchiv Westfalen Münster, Fürstabtei Corvey, Akten Nr. 9 (Reichssachen 1652-1689), 30-32/36 (Korrespondenzen mit dem Reichstagsagenten in Regensburg 1683-1690, Nr. 31 Bl. 181: Zahlung des Salärs 6.10.1689), 37 (Türkensteuer 1685-1695), 691 (Münzsachen 1688/90), 734 (Münzsachen 1679-1696; Bl. 100-101 Quittung 1683 über Veitstaler, Bl. 276-284 zum Münzwesen 1689/90), 990 (Regierungs- und Kanzleiverhandlungen 1689-1692).
 

