März 2019
März 2019

Münze des Monats

© T. Bauer

Auf Hauptstadtsuche: al-Hāšimiyya 138 und 139 (755-757)

 

Oben: al-Hāšimiyya 138/755-756, 24 mm, 2,87 g, Stempelstellung 1 h

Avers Feld:

lā ilāha illā

llāhu waḥdahū

lā šarīka lahū

Avers Rand:

bi-smi llāh: ḍuriba hāḏā d-dirham bi-l-Hāšimiyya sanata ṯamān wa-ṯalāṯīn wa-miʾa

Avers Feld:

Es gibt keinen Gott außer

Gott als Einzigem,

er hat keinen Teilhaber.

Avers Rand:

Im Namen Gottes: Dieser Dirham wurde geprägt in Hašimiyya im Jahre 138

Revers Feld:

Muḥammadun

rasūlu

llāh

Revers Rand: Koran Q 9/33

Revers Feld:

Muḥammad ist

der Gesandte

Gottes

Revers Rand: Koran Q 9/33
Abb. 1
© T. Bauer

Abb. 1: Unten: al-Hāšimiyya 139/756-757, 25 mm, 2,73 g, Stempelstellung 3:30 h

Inschrift wie oben, außer Datum in Avers Rand: tisʿ „neun“ statt ṯamān „acht“

2019 jährt sich zum zwanzigsten Mal der Umzug der Bundesregierung in die neue Hauptstadt Berlin, acht Jahre nach dem „Hauptstadtbeschluss“ des Bundestages, doch abgeschlossenen ist der Umzugsprozess bis heute nicht. Dabei hatte es Deutschland vergleichsweise einfach: Die neue Hautstadt Berlin gab es schon, und sie war sogar schon einmal Hauptstadt gewesen. Für die Abbasiden, die im Jahre 132/749-750 die erste islamische Dynastie der Umayyaden gestürzt hatten, gestaltete sich die Suche nach einer neuen Hauptstadt schwieriger, und sie lässt sich an der Münzproduktion ablesen.
Das Erscheinungsbild von Gold- (dīnār) und Silbermünze (dirham) änderte sich nach der „abbasidischen Revolution“ zunächst nicht, mit einer allerdings wichtigen Ausnahme. Die Abbasiden bezogen ihre Legitimation aus ihrer Abstammung von den Banū Hāšim, der Sippe, aus der auch der Prophet stammte. Ihr Ahnherr al-ʿAbbās war der Enkel Hāšims und der Onkel Muḥammads. (Ein konkurrierender Anspruch der Nachkommen ʿAlīs, des Neffen und Schwiegersohns des Propheten, führte zur Entstehung der Schiiten, konnte aber einstweilen abgewiesen werden.) Zwar hatten auch schon die Umayyaden den Propheten auf ihren Münzen bedacht, nämlich in der Randlegende der Rückseite. Nun wurde ihm aber auch der Text im Feld gewidmet, wo nun „Muḥammad ist der Gesandte Gottes“ ebenso groß zu lesen war wie das Bekenntnis zum Einen Gott auf der Vorderseite. Diesem Text musste die antitrinitarische Koransure Q 112 weichen, die eine deutliche Abgrenzung zum Christentum und damit zum christlichen römischen Reich darstellte – ein erster Hinweis auch darauf, dass sich die Aufmerksamkeit der neuen Dynastie stärker nach Osten richtete. Das islamische Reich war ja Erbe zweier antiker Großreiche, des oströmischen, das, wenn auch mit territorialen Verlusten, immerhin weiterexistierte, und des persischen, das vollständig erobert worden war und sich allmählich (zumal nach dem Erdbeben, das 749 Syrien verwüstete) als wirtschaftlich und kulturell wichtigerer Reichsteil herauskristallisierte.
Auch an den Orten, in denen die frühen abbasidischen Münzen geprägt wurden, zeigt sich die neue Ausrichtung. Die Umayyaden hatten zu Beginn ihrer Herrschaft das ehemalige Sassanidenreich mit Prägeorten geradezu flächendeckend überzogen, wohl auch, um ihre Herrschaft reichsweit zu demonstrieren. Nach einiger Zeit stellten die meisten dieser Orte ihre Münzproduktion aber wieder ein. Gerade dort, besonders in den alten iranischen Residenzstädten wie Ardašīr Ḫurra, Iṣṭaḫr, Ǧunday Sābūr und as-Sūs, ließen die neu an die Macht gelangten Abbasiden die Münzproduktion aber wieder aufleben, wenn auch nur für kurze Zeit, z.T. nur für ein einziges Jahr. Umgekehrt wurde in Wāsiṭ (im Iraq auf halbem Weg zwischen Bagdad und Basra), dem mit großem Abstand wichtigsten Prägeort für umayyadische Dirhams, die Münzproduktion für viele Jahrzehnte völlig eingestellt. Die Hauptstadt Damaskus war zwar nur der zweitwichtigste Prägeort für Silbermünzen (dafür Prägeort der allermeisten Goldmünzen), doch verwendete man für die „Hauptstadtdirhams“ eine runde, elegante Kaligraphie, die sich deutlich von dem eckigeren Schriftstil der Münzen aus Wāsiṭ und (mit zeitweiser Ausnahme von Ifrīqiyā in Nordafrika) aller anderen Prägeorte unterschied. „Hauptstadtmünzen“ waren und sind dadurch auf den ersten Blick erkennbar. Nach Herrschaftsantritt der Abbasiden erging es Damaskus aber nur wenig besser als Wāsiṭ, und nach vier Jahren einer Dirhamproduktion winzigen Umfangs wurde die Prägung von Silbermünzen auch hier für Jahrzehnte eingestellt.
Doch Damaskus hatte nicht nur als Prägeort ausgedient, sondern auch als Hauptstadt. Mit der Wahl einer neuen Hauptstadt sollte nicht nur ein sichtbarer Bruch mit der Vorgängerdynastie, sondern auch die Verlagerung des Reichsschwerpunkts in die vormalig sassanidischen Gebiete deutlich werden, wenn sie auch nicht gar zu weit im Osten sein durfte. So konzentrierten sich die beiden ersten Abbasidenkalifen as-Saffāḥ (132-136/749-754) und al-Manṣūr (136-158/754-775) auf das Zweistromland um und nördlich von al-Kūfa, das (neben al-Baṣra) auch der produktivste Prägeort für Dirhams in dieser Zeit war. Verschiedene Regierungssitze wurden ausprobiert und Stadtgründungen begonnen, doch eine endgültige Lösung wollte sich nicht einstellen. Sowohl als Ortsname als auch als Benennung des Prägeorts für die an den wechselnden Residenzorten geprägten Münzen wurde „al-Hāšimiyya“ verwendet, benannt nach den Banū Hāšim, der Sippe des Propheten, der die Abbasiden entstammten. Viele Münzen mit dieser Herkunftsbezeichnung können in den Jahren zwischen 138/755-756 und 145/762 allerdings nicht geprägt worden sein, denn nur weniger als zwei Dutzend Exemplare sind bekannt. Die Suche nach einer Hauptstadt spiegelt sich auch in der Suche nach der kaligraphischen Gestaltung der Münzen wider, von denen einige, wie die oben zuerst abgebildete aus dem Jahr 138, dem Stil der umayyadischen Münzen aus Wāsiṭ folgen, wieder andere, wie die darunter gezeigte aus dem Jahr 139, dem Stil der Dirhams aus Damaskus. Dabei löst nicht etwa ein Stil den anderen ab, doch lässt die geringe Zahl dokumentierter Münzen aus dem realen oder fiktionalen Ort al-Hāšimiyya keine detaillierten Schlüsse über die zeitliche und lokale Verteilung zu. Offensichtlich ist lediglich, dass der Hof Stempelschneider beschäftigte, die teils die Tradition der Münzen aus Damaskus und teils derjenigen aus Wāsiṭ fortsetzten, nachdem sie in beiden Orten nicht mehr gebraucht wurden.
Im Jahre 146/763 nahm die kalifale Administration ihre Arbeit in der im Vorjahr neu gegründeten Hauptstadt Bagdad auf. Damit hatte die Hauptstadtsuche nach vierzehn Jahren ihr Ende gefunden. Diese neue Stadt lag ca. 35 Kilometer nördlich der sassanidischen Hauptstadt Seleukia-Ktesiphon am Tigris, wurde in sassanidischer Tradition als runde Stadt geplant und behielt den persischen Namen einer älteren Siedlung der Region. Offiziell hieß die Neugründung aber Madīnat as-Salām „Stadt des Friedens/des Heils“, welcher Name auch auf den Münzen in den folgenden Jahrhunderten ausschließlich gebraucht wird.

Abb. 2
© T. Bauer

Doch noch standen die Baugerüste, noch wurden nur ganz wenige Münzen geprägt – und diese immer noch im Damaskus-Stil, ehe im Laufe des Folgejahrs 147/764 auch diese letzte Reminiszenz an die alte Hauptstadt endgültig verschwand (s. Abb. 2):

Madīnat as-Salām 146/763-764, 24 mm, 2,62 g, Stempelstellung 2 h

Inschrift wie oben, außer Ort und Datum in Avers Rand: … bi-Madinat as-Salām sanata sitt wa-arbaʿīn wa-miʾa „… in Madīnat as-Salām im Jahre 146“

(T. Bauer)