Februar 2019
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Münze des Monats

© Stefan Kötz

Sedisvakanzmünzen – eine Erfindung des Domkapitels zu Münster

Anton Gottfried Pott
Abschlag zu 15 Dukaten vom Sedisvakanz-Doppeltaler des Domkapitels zu Münster 1719
Goldprägung, Gew. 51,903 g, Dm. 47,0–47,5 mm, Stempelst. 0°; Schulze 211
LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster, Inv.-Nr. 29380 Mz
Foto: Stefan Kötz

Numismatik darf sich als Wissenschaft nicht in der Beschreibung von Münzen und Medaillen erschöpfen, sondern hat dem Grundanliegen aller historischen Forschung zu folgen und die Warum-Fragen zu beantworten: was bedeuteten Bilder und Aufschriften in den Augen der Herausgeber, in welchen Traditionen standen sie, wer waren die Empfänger und Nutzer, wie und wohin verbreitete sich die Prägung, wie wirtschaftlich war die Geldschöpfung – und so weiter. Für die Kontextualisierung bedarf es der Quellen, die den Entstehungsprozess dokumentieren. Am Beispiel einer Sedisvakanzmünze des Domkapitels zu Münster vor genau 300 Jahren soll dies hier gezeigt werden – die Kapitelsprotokolle und Akten im Landesarchiv Westfalen geben reichen Aufschluss.
Am Weihnachtstag 1718 war Franz Arnold von Wolff-Metternich (1658–1718), Fürstbischof von Paderborn und Münster, in Schloss Ahaus verstorben. Der Bischöfliche Stuhl (lateinisch sedes) war leer (lateinisch vacans), und während dieser „Sedisvakanz“ fiel die Regierung des „Hochstifts“ an das aus 41 Adeligen bestehende Domkapitel. Zur dauerhaften Erinnerung an seine Ausübung der fürstlichen Herrschaftsrechte ließ man Münzen prägen – seit 1650, meist Taler. Die Kosten wurden seit 1683 aus dem „Judengeleit“ aufgebracht: die sonst steuerfreien Juden im Fürstbistum hatten für ihre Aufenthaltsberechtigung an den Fürstbischof zu zahlen. Bei dessen Tode erhob das Domkapitel die Abgabe, die nun auf 2.000 Gulden festgesetzt wurde.
In der Sitzung des Domkapitels am 24. Januar 1719 legte dessen Vorsteher Domdechant Franz Ludolf von Landsberg für die Prägung von Sedisvakanztalern „unterschiedliche Concepter“ vor. Man beschloss, 1000 Speziestaler im Wert von je zwei Gulden und zwei Lot schwer prägen zu lassen und wählte den Entwurf, „woh aller anwehsender votirender Capitularen Wapffen rundtumb an beyden Seiten, an der einen der heyliger Paulus, und anderer Carolus gesetzet“. Die Wappen der drei nicht formell zugelassenen („emanzipierten“) und daher bei der Bischofswahl nicht stimmberechtigten Domherren ließ man aus. Der Münzmeister Pott warnte allerdings, dass die Taler „wegen ihrer Breite … zu dünn werden wollen, das also das Gepräge … aus dem dünnen Silber nicht woll könne gezwungen werden, wan aber ein jedes Stück auff 3 Loth schwer gemachet werden dorffe, so bilden sich Wapfen und das ganze Gepräge schöner aus und were dan zugleich auch ein egales Geldt, (dass) ein jedes Stück auf 3 Gulden oder 2 Rthlr. gerechnet werden kann“. Das Domkapitel genehmigte am 6. März, das Gewicht um ein Lot zu erhöhen. Es handelte sich also nicht um Doppelgulden oder Speziestaler (nach dem Reichsfuß von 1566, im Sollgewicht von 29,2 Gramm) zu 1 1/3 Reichstaler, sondern um einen anderthalbfachen Speziestaler gleich einen doppelten Reichstaler zu 3 Lot à 14,61 = 43,83 Gramm. Der Reichstaler als Rechnungswährung hatte sich längst vom Talerstück (Speziestaler) gelöst. Die Prägekosten überstiegen den Nennwert – was für Repräsentationsmünzen typisch ist.
Für die Kostensteigerung gab es bereits eine Gegenfinanzierung: Am 1. März 1719 hatte der Landtag dem Domkapitel für die dreimonatige Sedisvakanz ein „gratuitum“ von 6.000 Talern angeboten – sonst erhielt der Landesherr monatlich aus Steuermitteln 2.000 Taler. Daraus bestritt das Domkapitel nun die Landtagsdiäten. 500 Taler dieser Präsenzgelder wurden der Ritterschaft in Doppeltalern ausgezahlt, also 250 Stück.
Die übrigen wurden unter die Domherren verteilt, jeder erhielt wohl 16, der Dechant die doppelte Zahl, der Syndikus des Kapitels sechs, der Sekretär vier und der Obrist Corfey für die Entwurfszeichnung sechs Stück. Am 24. März genehmigte das Domkapitel drei Domherren noch Nachprägungen: zehn Abschläge in Gold und 138 in Silber. Zu diesen zehn Goldabschlägen gehört auch der hier besprochene Abschlag zu 15 Dukaten aus dem Vorbesitz einer alten münsterischen Bürgerfamilie.
Bis Ende April prägte der Münzmeister 1180 Stück. 1000 Stück erhielt das Kapitel, die übrigen einige Domherrn, darunter der Dechant allein 100. Die extra bewilligten 138 Stück sind wahrscheinlich eingerechnet. Das Domkapitel war ja interessiert, sein Münzrecht zu dokumentieren. Am 3. August wurden weitere Prägungen genehmigt, wobei pro Stück einen Vierteltaler für die Prägekosten zu zahlen war. Immerhin sind bisher zwei Vorder- und drei Rückseitenstempel bekannt. Im Sommer ließ man außerdem Doppelschillinge (1/14 Taler) und Groschen (1/24 Taler) für den Geldumlauf prägen.
Dieser stempelfrische Goldabschlag des Doppeltalers zeigt vorn das Wappen des Domkapitels mit der Jahreszahl und den Initialen des Münzmeisters AG – P = Anton Gottfried Pott (amt. 1718–1742). Die Umschrift nennt Anlass und Herausgeber CAPITVL(um) MONAST(eriense) SEDE VACANTE. Außen 19 Familienwappen, oben rechts beginnend mit dem Wappen des Dompropstes Wilhelm von Wolff-Metternich, jüngeren Bruders des verstorbenen Bischofs, gefolgt von den Wappen des Domdechanten Landsberg, des Domscholasters Galen, des Domküsters Nesselrode und des Vicedominus Korff-Schmising. Es folgten die Wappen der Kapitulare nach ihrem Dienstalter, beginnend mit dem Senior Droste zu Vischering – einige Wappen erscheinen mehrfach.
Die Rückseite zeigt das Brustbild von CAROLVS M(agnus) R(omanorum) I(mperator) ECCL(esiae) MON(a)S(teriensis) FVNDATOR = Karl der Große, Römischer Kaiser, Gründer der Kirche zu Münster, im Kreis der Wappen der 19 jüngeren Kapitulare.
Der Entwurf stammte von dem Artillerieoberst Lambert Friedrich Corfey (1688–1733), der als Architekt, neulateinischer Dichter und Chronist einer der führenden Intellektuellen in Münster war. Als Sammler antiker und auch westfälischer Münzen illustrierte er seine Chronik der münsterischen Bischöfe mit vielen Münzzeichnungen. Mehrfach lieferte er Entwürfe für Schaumünzen, so für die Sedisvakanztaler 1706 und 1719, für die Medaille auf den Max-Clemens-Kanal 1724, und in Osnabrück für den Sedisvakanztaler 1715 und die -medaille 1728. Er kannte zweifellos den Wappenkranz auf Münzen wie den Tiroler Guldengroschen Erzherzog Sigismunds ab 1484. Auch auf den Wappenkalendern des Domkapitels rahmten die Wappen der Domherren das Kalendarium.
Bistumspatron und Bistumsgründer standen für den geistlichen und weltlichen Charakter des Fürstbistums. Der Wappenkranz der Domherren rund um die Bistumspatrone zeigt die führenden Adelsfamilien und damit den Charakter dieser geistlichen Wahlstaaten als Adelsrepubliken. Das Motiv fand sofort Nachfolge: Das Paderborner Domkapitel, von deren 24 Mitgliedern neun auch in Münster präbendiert waren, ließ nach einem Taler im Sommer 1719 noch Medaillen mit dem Wappenkranz von kunstvollen Prägestempeln des Nürnberger Medailleurs Peter Paul Werner (1689–1771) prägen. Daraufhin beauftragte man auch in Münster wieder nach dem Entwurf Corfeys eine solche Medaille, ebenfalls 1000 Stück, die aber erst 1720 ausgeliefert wurden.
Das vom münsterischen Domkapitel realisierte Konzept Corfeys setzte also Maßstäbe: fast alle Sedisvakanztaler und -medaillen der deutschen Domkapitel zeigten fortan die um die Patrone in den Kranz gestellten Wappen der adeligen Domherren.
Eine Besonderheit der westfälischen Sedisvakanzschaumünzen war zudem die Darstellung von Kaiser Karl dem Großen als Bistumsgründer. Sein Bild drückt die Verbundenheit des Fürstbistums mit dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation aus und war nicht nur nostalgische Erinnerung: der Kaiser, damals Karl (!) VI., war wichtige Schutzmacht. Karl der Große stand zugleich in der Regentenreihe der Könige von Frankreich. Beim Westfälischen Friedenskongress war nicht zuletzt durch die Intervention Frankreichs unter Berufung auf Karl den Großen die Säkularisation der katholisch gebliebenen Hochstifte vereitelt worden. Karl war seitdem der politische Landespatron der westfälischen Fürstbistümer.

(Gerd Dethlefs)

 

Literatur

  • Hans Weinrich: Sedisvacanz-Medaille des Jahres 1719, in: Auf Roter Erde. Heimatbeilage der Westfälischen Nachrichten Münster, Nr. 82-83 (März / April 1966)
  • Wolfgang-Georg und Ingrid Schulze: Die fürstbischöflich münsterischen Münzen der Neuzeit, Münster 1973, Nr. 211/212
  • Gerd Dethlefs: Die Hildesheimer Sedisvakanzmedaille von 1724. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Sedisvakanzmünzen, in: Numismatisches Nachrichtenblatt Jg. 28, 1979, S. 185-205
  • Ders.: Die Münzillustrationen im "Chronicon Monasteriense" des Lambert Friedrich Corfey, in: Geldgeschichtliche Nachrichten 19. Jg. 1984, Nr. 104, S. 307 325
  • Ders.: Die Sedisvakanztaler und Türkenmedaillen des münsterischen Münzmeisters Gottfried Storp 1683-1688, in: Peter Berghaus (Hg.), Westfalia Numismatica 2001, Minden 2001 (Schriftenreihe der Münzfreunde Minden 17) S. 111-123
  • Ders.: Die Sedisvakanzmünzen des Domkapitels zu Münster 1719, in: Numismatisches Nachrichtenblatt 68. Jg. Heft 6 (Juni 2019), S. 220-226

Archivalien

  • Landesarchiv Westfalen, Domkapitel Münster, Akten Nr. 4917 (Protokolle 1719), Bl. 35, 89, 92, 113, 123, 136, 242; Fürstentum Münster, Landtag, Protokolle Bd. 92 (1717-1719), Bl. 334, 343, 350; Münsterische Ritterschaft Akten 145 Bd. 23 (Protokolle 1719), Bl. 19.