Ideologie als Kategorie und das integrative Erkenntnisinteresse der Kulturwissenschaften – Versuch einer Synthese

Tim Preuß

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Problem der terminologischen Disparität kulturwissenschaftlicher Ansätze

So attraktiv die Idee einer interdisziplinären Orientierung der Kulturwissenschaften auf ein gemeinsames Erkenntnisinteresse auch sein mag, scheint die theoretische und begriffliche Arbeit ihrer Vertreter*innen der Umsetzung entgegenzustehen. Zahlreiche unterschiedliche disziplinäre und theoretische Provenienzen wie auch wissenschaftspolitische Entscheidungen bedingen in Terminologie und Methodologie kulturwissenschaftlicher Ansätze – oberflächlich besehen – eine enorme Disparität. Kritische Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen bedeutet oftmals kleinliche Prüfung auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Anschlussfähigkeit, die zwar nicht unproduktiv sein muss, doch für eine gründliche Verwirrung über die prinzipielle Gemeinsamkeit, wenn nicht gar – durch Schuldbildung oder Metareflexionen ad infinitum – Verhinderung der Weiterentwicklung auf einen gemeinsamen Bezugspunkt hin sorgt. Nach Bachmann-Medick besteht in der allgemeinen Disparität der Ansätze die Gefahr, dass das „Projekt Kulturwissenschaften“ (Bachmann-Medick 2006: 12) und alle mit ihm verbundenen Reflexionen und Reformen der Geisteswissenschaften stagnieren.

Im Folgenden soll der Versuch einer Engführung einiger theoretischer und methodologischer Ansätze der ‚kulturwissenschaftlichen‘ Forschung über die Abstraktion auf ein gemeinsames Erkenntnisinteresse hin erfolgen. Der Vorschlag zur Synthese einer integrativen transdisziplinären Kategorie, einer „ausdrücklich fächerumspannende[n] Orientierung“ (ebd.) für die kulturwissenschaftlich-disziplinären Ausprägungen soll dabei seinen Ausgang nehmen von einem in verschiedenen kulturwissenschaftlichen Theorie- und Methodenangeboten wiederkehrenden, wenn auch randständigen Begriff, der zunächst genauer erfasst werden soll: dem Begriff der ‚Ideologie‘.

Aspekte eines Ideologiebegriffs

Wie für den Begriff der ‚Kultur‘ existieren für den Begriff der ‚Ideologie‘ eine Vielzahl an Definitionsversuchen (vgl. Schöttker 2007: 119 u. Eagleton 1993: 7 f.), die sich jedoch in der Regel auf eine orthodox-marxistische Reduktion von ‚Ideologie‘ auf ‚falsches Bewusstsein‘1 einerseits und der nicht weniger problematischen wissenssoziologischen Erfassung als – den Kuhn’schen Paradigmen nicht unähnlich – unveränderliche Konstrukte von Annahmen über die Wirklichkeit in einer geschlossenen Gemeinschaft andererseits belaufen. Im wissenschaftlichen und alltäglichen Gebrauch findet sich oftmals eine Vermischung dieser beiden Begriffstraditionen in pejorativer Absicht (vgl. Schöttker 2007: 120 u. Eagleton 1993: 9). Eine „angemessene Definition“ (Eagleton 1993: 7) des Begriffs, wie Eagleton schon Anfang der 1990er-Jahre bemerkt hat, wurde trotz einer umfassenden Anwendung in theoretischer und praktischer Arbeit – vor allem im Rahmen der Ideologiekritik – jedoch bisher noch immer nicht vorgelegt.

Für den Vorschlag der Synthese eines Ideologiebegriffs in integrativem kulturwissenschaftlichem Erkenntnisinteresse sei daher, gemäß Eagletons Vorschlag, eine eher deskriptiv-merkmalsanalytische Definition zugrunde gelegt, die sich zwischen dem kritischen Ideologiebegriff der marxistischen Tradition und dem der Wissenssoziologie verortet, und den Eagleton als einem weiten Begriff von ‚Kultur‘ verwandt, aber nicht identisch, ausweist. Ein solcher Ansatz definiert ‚Ideologie‘ als „Prozeß der Produktion von Ideen, Überzeugungen und Werten des gesellschaftlichen Lebens“ und wird als „enger als anthropologische Kulturdefinitionen, die alle Praxen und Institutionen einer Lebensform einschließ[en]“ (ebd.: 38) von einem weiten Kulturbegriff abgegrenzt (vgl. Frühwald u. a. 1996: 10). So verstanden lässt sich ‚Ideologie‘ für soziale Formationen als „eine Art kollektiver symbolischer Selbstdarstellung“ (Eagleton 1993: 39) im Sinn „systemstabilisierende[r] Glaubens- und Überzeugungssysteme“ (Strasen 2013: 326) erfassen und erlaubt weiterhin die Anbindung an das wesentliche Ideologie-Merkmal der – bewussten oder unbewussten – „Rechtfertigung und Bestätigung von partikularen Interessen und Positionen, die sie als allg[emein] ausgibt“ (Metzler Lexikon 2007: 340), ohne diese aber sogleich als ‚falsches Bewusstsein‘ werten zu müssen.

Zur weiteren Operationalisierung von ‚Ideologie‘ für eine Anwendung als Kategorie der kulturwissenschaftlichen Forschung sei außerdem auf das Merkmal dieser Überzeugungssysteme hingewiesen, sich für ein bestimmtes Feld von Systemen mit gleichem Bezugspunkt hegemonial beziehungsweise dominant zu verhalten. An dieser Stelle ist es sinnvoll, den Theorieentwurf Antonio Gramscis hinzuzuziehen, der die Herstellung von Hegemonie eines ideologischen Systems bei Gleichzeitigkeit verschiedener ideologischer Systeme als „Kombination von Zwang und Konsens […], ohne daß der Zwang den Konsens zu sehr überwiegt“ erfasst (Gramsci 1991: 120).2 Mithilfe dieser Idee lassen sich Überzeugungssysteme als in diachroner wie synchroner Dimension vielfältige Prozesse der je überzeugungsabhängigen Bedeutungsproduktion auf mikro- wie makrostruktureller Ebene systematisieren und in ihren inner- und intersystemischen Wechselwirkungen untersuchen.3 ‚Ideologien‘ würden als Forschungsgegenstand so selbst zu einer Art ‚Text‘ werden, „der aus verschiedenen begrifflichen Fäden gewoben ist und von divergierenden Traditionslinien durchzogen wird“ (Eagleton 1993: 7), der vor allem in seiner Komplexität und seinen Relationen mithilfe des terminologischen Repertoires verschiedener kulturwissenschaftlicher Ansätze über seine multimodalen Äußerungen prinzipiell ‚lesbar‘, also rekonstruierbar und analysierbar wird.

Mithilfe einer so umrissenen Arbeitsdefinition von ‚Ideologie‘ sollen anschließend einige Überschneidungen mit Erkenntnisinteressen und methodischen Zugriffen kulturwissenschaftlicher Ansätze aufgezeigt werden, die über eine assoziative Nähe von ‚Kultur‘ und ‚Ideologie‘ sowie beiläufige Erwähnungen hinausgehen.

‚Ideologie‘ in kulturwissenschaftlichen Ansätzen

Vor allem kulturwissenschaftliche Ansätze, die sich auf kultursemiotische Überlegungen und den entsprechenden semiotischen Kulturbegriff beziehen (Kultursemiotik), zeigen sich beiläufigen Verweisen auf ideologische Implikationen affin. Verweist schon Lotman in der Konzeption seiner sekundären modellbildenden Systeme auf die Rolle von ideologischen Aspekten in der Ausgestaltung von Weltmodellen, deuten auch ihm folgende theoretische Entwürfe diese Aspekte immer wieder an (vgl. etwa Nies 2017: 378, 389, 390 u. 393; Nies 2018: 18, 25 u. 29; Koschorke 2012: 125–127 u. 131 f.; Nünning 2013: 24 u. 29 f.).

Wird zwar darüber hinaus nur selten das explizite Erkenntnisinteresse am ‚Ideologischen‘ artikuliert, findet sich dieses gemäß der oben versuchten Definition umso häufiger in Form eines Interesses am ‚Kulturellen‘ und den Gründen für die konkrete Ausprägung von Weltmodellen, wo die Untersuchung etwa auf die in Texten codierten „zentrale[n] kulturelle[n] Konflikte“ (Nies 2017: 388) und die entsprechenden „modellhaft[en] Problemkonstellationen und mögliche[n] Problemlösungen“ (ebd.) abzielt, kulturelle Phänomene also auch als in kulturellen Artefakten materialisierte „Werte- und Normvermittlung“ (ebd.) angenommen werden. In dieser Tendenz lassen sich die kulturwissenschaftlichen Erkenntnisinteressen als auf Ideologien im Sinn von Überzeugungssystemen und bedeutungsstiftenden Prozessen ausgerichtet beziehen, indem der zugrundeliegende semiotische Kulturbegriff als „der von Menschen erzeugte Gesamtkomplex von Vorstellungen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werten und Bedeutungen“ (Nünning 2013: 28) einem wie oben definierten Ideologiebegriff nahezu synonym ist. Diese große Ähnlichkeit der beiden Begriffe qualifiziert auch die Kulturanthropologie für eine Adaption auf einen ideologietheoretischen Zugriff, wenn die im ‚Text der Kultur‘ sich äußernden kulturinternen Selbstdarstellungen als wesentlich abhängig von dominanten Überzeugungssystemen gedacht werden (vgl. Bachmann-Medick 2008: 90–92). Insbesondere die disziplinäre Spezifizierung anthropologischer Fragestellungen im Rahmen der Literaturanthropologie, die im engeren Sinn textuelle Artefakte als „Speicher- und Verbreitungsmedium des gesellschaftlich-kommunizierten anthropologischen Wissens und Selbstbildes einer raum-zeitlichen Kultur“ (Ort/Lukas 2012: 5) in den Mittelpunkt rückt, weist offensichtliche Anschlussmöglichkeiten für einen ideologietheoretisch basierten Zugriff auf, wenn sie in ihren Gegenständen verschiedene diskursive Ausprägungen, ‚Denksysteme‘ dieses Wissens und „Hierarchisierungskonflikte“ (ebd.: 10) zwischen ihnen untersucht (Kulturanthropologie und literarische Anthropologie).

Aber auch in dezidiert kommunikationswissenschaftlich fundierten Annahmen über Kultur finden sich ideologische Aspekte, wenn etwa Schmidt (Medienkulturwissenschaft) in seiner Definition von ‚Kultur als Programm‘ das Programmatische als letztlich dialektisch sowohl überzeugungsbasierte als auch -formende Selektion aus einem verfügbaren Repertoire erfasst (vgl. Schmidt 2008: 360 f.). Diese verschiedenen kulturwissenschaftlichen Erkenntnisinteressen verweisen auf einen besonderen ideologischen Schwerpunkt in der wesentlichen Kontextabhängigkeit von (kulturellen) Texten, wie sie der New Historicism (New Historicism, Cultural Materialism, Cultural Studies) annimmt, wie auch die Konstellation von ‚Kultur‘ mit ‚Ideologie‘ Einsicht in die im Mittelpunkt kulturpoetischer Lektüre stehende, textuell codierte kulturelle Energie erlaubt – die sich in Bezug auf ‚Ideologie‘ vor allem als Niederschlag von Überzeugungssystemen in Texten als Äußerungen in einer Hierarchie verschiedener Überzeugungssysteme verstehen ließe (vgl. Baßler 2008: 134 f.).

Damit zeigt sich ‚Ideologie‘ im oben skizzierten Sinn als rekurrentes und mögliches integratives Erkenntnisinteresse verschiedener kulturwissenschaftlicher Theorie- und Methodenangebote auf Basis eines weiten Kulturbegriffs.

Vorschlag eines kulturwissenschaftlich-ideologietheoretischen Ansatzes

Die aufgezeigte Ähnlichkeit einiger kulturwissenschaftlicher Grundannahmen über eine eigentlich als ‚Ideologie‘ zu verstehende ‚Kultur‘ birgt das Problem einer schlichten Synonymie der beiden Begriffe, womit jedoch für keinen von beiden ein heuristischer Mehrwert gewonnen wäre. Um diesem Problem vorzubeugen, sei im Folgenden eine auf der gegenseitigen Erhellung und Kombination der Begriffe aufbauende kulturwissenschaftlich-ideologietheoretische Ausrichtung als Vorschlag zur Etablierung einer Kategorie ‚Ideologie’ in der kulturwissenschaftlichen Forschung skizziert.

Die Kategorie der ‚Ideologie‘ wäre in diesem Rahmen als zwischen ‚Kultur‘ und ihren Artefakten ‚zwischengeschalteter‘ Katalysator zu verstehen, wobei ‚Kultur‘ hier als gesamtes Repertoire aller möglichen, kulturell denkbaren und semiotisierbaren Elemente und ihrer möglichen Relationierungen erfasst wäre. Eine solche Erfassung von ‚Kultur‘ entspricht der Definition kulturellen Wissens bei Titzmann „als Gesamtmenge dessen, was eine Kultur, bewußt oder unbewußt, explizit-ausgesprochen oder implizit-unausgesprochen, über die ‚Realität‘ annimmt […] die Menge aller von dieser Kultur für wahr gehaltenen Propositionen.“ (Titzmann 1977: 268) Ohne dabei die heuristisch sinnvolle Klassifikation von sozialer, mentaler und materieller Kultur aufgeben zu müssen (vgl. Posner 2008: 49–55 u. Nies 2017: 378 f.), wäre die je ideologieabhängige Konstellation der je abgerufenen Elemente ähnlich der articulation der Cultural Studies zu denken, die „dem Unterschied zwischen den semiotischen Möglichkeiten kultureller Bedeutung und der im jeweiligen Kontext realisierten wirklichen Bedeutung Rechnung“ (Baßler 2008: 135) trägt. ‚Ideologie‘ kann so als Steuerungscode angenommen werden, der insbesondere Kombinationsregeln und Selektionstendenzen bereithält, und rückt damit in die Nähe diskurssemiotischer „Diskursmuster“ (vgl. Siefkes 2013: 364–368).4

Eine derartige Grundlegung eines Verhältnisses von ‚Kultur‘ und ‚Ideologie‘ würde den Kulturwissenschaften zuvorderst die Aufgabe der systematischen Rekonstruktion dieses Verhältnisses zuweisen, zunächst auf der innersystemischen Ebene eines einzelnen Überzeugungssystems und seiner kulturellen Äußerungen als Produkte des und in Bezug zum jeweiligen Überzeugungssystem. Die Qualifizierung der Idee ideologischer Hegemonie/Dominanz ermöglichte sodann die Systematisierung verschiedener rekonstruierter Überzeugungssysteme und der Beziehungen ihrer kulturellen Äußerungen, welche dabei jedoch ein heuristisch sinnfälliges tertium comparationis aufweisen müssten – beispielsweise in der Untersuchung der ‚Kultur‘ einer bestimmten raumzeitlich abgegrenzten gesellschaftlichen Formation, die in diesem Rahmen als hierarchische Ordnung aller koexistenten, je sinnstiftenden Überzeugungssysteme, ihrer Relationen untereinander sowie in der Summe aller ihnen möglichen kulturellen Äußerungen zu rekonstruieren wäre. Eine derartige Systematisierung erlaubt es, auch oberflächlich enorm divergente Überzeugungssysteme nicht als Heterotopien im Sinn dezidierter Andersartigkeit gegen ein dominantes Überzeugungssystem, sondern mit diesem trotz aller Alterität synchron im Verhältnis des je in Frage stehenden Systems zu denken (vgl. Tetzlaff 2016: 15-24).5 Die Annahme einer „Heterotopie als paradigmatische Abweichung“ (ebd.: 32) wäre zur Erklärung von diachronen Veränderungen im dialektischen Verhältnis von kulturellem Wissen und Ideologie jedoch ein möglicherweise fruchtbarer Ansatz (vgl. ebd.: 28–33).

Für das Vorhaben eines so skizzierten kulturwissenschaftlich-ideologietheoretischen Zugriffs adaptierbare und produktiv zu machende Fragenkataloge liefern Nies, Nünning und Schmidt (vgl. Nies 2017: 390, Nünning 2013: 30 f. u. Schmidt 2008: 366), die zugleich auf das Potenzial einer kulturwissenschaftlichen Interpretation der sich in solchen Rekonstruktionen zeigenden Machtverhältnisse als mögliche Instanz der kulturwissenschaftlich-ideologietheoretischen Untersuchung, verweisen: den Status von ‚Ideologien‘ respektive ihren kulturellen Codierungen in Bezug auf hegemoniale Systeme als affirmativ oder innovativ/subversiv beziehungsweise restaurativ oder revolutionär. Als methodisches Fundament zur Analyse der Verhältnisse von kulturellem Wissen, Überzeugungssystem(en) und ihren in systematischen Kontexten je artikulierten Elementen auf zunächst abstrakter Ebene bietet sich dabei etwa Siefkes differenzierter Vorschlag eines 4-Ebenen-Modells der Diskursanalyse an, der von den oben angesprochenen Diskursmustern ausgeht und damit für die hier umrissene Ideologiedefinition anschlussfähig ist (vgl. Siefkes 2013: 368–384).

Auf diese Weise miteinander konstelliert, könnten sich die in der üblichen Verwendung recht unklaren Begriffe der ‚Kultur‘ und der ‚Ideologie‘ gegenseitig ergänzen. Einerseits wäre eine Schärfung des Ideologiebegriffs mithilfe von auf diesen Nenner zuzuspitzenden Annahmen kulturwissenschaftlicher Ansätze möglich, andererseits ließe sich der monolithische Kulturbegriff durch Inbezugsetzung mit ideologietheoretischen Überlegungen präzisieren und strukturieren. Damit wäre eine systematische Ausrichtung kulturwissenschaftlicher Forschung auf transdisziplinärer Ebene möglich, ohne jedoch disziplinäre Spezialisierungen obsolet werden zu lassen, da die abstrakte Ebene der systematischen Betrachtung und Erfassung von Phänomenen im dialektischen Spannungsfeld Kultur-Ideologie allein mithilfe disziplin-spezifischer Terminologie und Methodologie an Gegenständen und Themenfeldern konkretisiert und umgesetzt werden kann (vgl. Siefkes 2013: 359). Auf diese Weise wäre es möglich, nicht einem der beiden von Baßler vorgeschlagenen Wege der Text-Kontext-Untersuchung folgen zu müssen sondern – indem der genauen Rekonstruktion ideologischer Verhältnisse immer schon eine kritische Komponente eignet (vgl. Rehmann 2004) – beide beanspruchen zu können: sowohl genaue theoretisch-methodische Fundierung als auch kritische gesellschaftlich-operative Ausrichtung (vgl. Baßler 2008: 148–153).

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1   Umfassend diskutiert wird das Problem der unterkomplexen Reduktion von Ideologie auf ‚falsches Bewusstsein‘ und eine entsprechende problematische Wahr/Falsch-Beurteilung bei Eagleton (1993: 7–41). Vgl. auch zusammenfassend Grossberg (1997: 106–108).

2   Vgl. zusammenfassend Gosh-Schellhorn 2013: 295. Gramscis Hegemonie-Begriff würde dabei im oben skizzierten Sinn zunächst als deskriptiv-analytischer zum Tragen kommen. Zur Differenzierung und Problematisierung der Bedeutungsgehalte des Begriffs bei Gramsci vgl. Barfuss/Jehle 2014: 24-35.

3   Anregungen zur genaueren Erfassung dieser ‚Wechselwirkungen‘ gibt die Denkfigur von Zentrum und Peripherie in Bezug zu Machtausübung. Vgl. Eagleton 1993: 15 zur Idee, „zwischen zentralen und marginalen Formen von Macht [zu] unterscheiden“. Vgl. auch Koschorke (2012: 120–122, 128–137) u. die Überlegungen der Tartu-Moskauer Kultursemiotik, insbes. Lotmans Ausführungen zu den grundlegenden Aspekten Binarität, Asymmetrie, Grenze und Dialog in der Semiosphäre, die für eine Adaption zur methodischen Fundierung interessant sind (2010: 163–202).

4   Vgl. außerdem ebd.: 368 die Definition des Diskursmusters sowie Eagleton 1993: 14–18 zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von ‚Diskurs‘ und ‚Ideologie‘.

5   Ungeachtet dessen können Ideologien natürlich wesentlich auf Ideen dezidierter Andersartigkeit als zentrale sinnstiftende Elemente ihres Überzeugungssystems bauen (vgl. Lotman 2010: 174–190) – doch wären diese im vorgeschlagenen theoretischen Rahmen Teile des kulturellen Wissens als denkbare und als semiotisierbare Elemente, die diese diametrale Andersartigkeit ausdrücken.


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