Kulturwissenschaften und Geschlechterforschung

Anna Lemke, Sarah Niesius

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Gender Studies, Männlichkeitsforschung oder Queer Studies – das Konzept ‚Geschlechterforschung‘ konstelliert eine Vielzahl (historisch-)theoretischer Entwürfe und blickt auf eine weitreichende Grundlegung kultureller Bedeutungsansätze einer geschlechtlichen Gesellschaftsordnung zurück. Heutzutage scheint der Zusammenhang einer internationalen wissenschaftlichen Betrachtung von Kultur und Geschlecht wesentlich. Gesellschaftlich wird der Status der Geschlechterforschung in die deutsche Forschungslandschaft kritisch beäugt. Intern wird die Institutionalisierung in der Geschlechterforschung jedoch verteidigt und weiterhin vorangetrieben. Dies ist auch an der Anzahl der Studienangebote in Deutschland zu erkennen: Es gibt über 30 Bachelor- und Masterstudiengänge sowie zahlreiche interdisziplinäre Studienschwerpunkte innerhalb bestehender disziplinärer Studiengänge.1 Als aktuelles Nachschlagewerk, das einen Überblick über die derzeitige Forschungslandschaft bietet, kann das Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung aus dem Jahre 2019 genannt werden.

Perspektiven einer neuen Theoriebildung

Das akademische Interesse an Geschlechterforschung entstammt den frühen 1970er-Jahren und den damalig an amerikanischen Universitäten eingeführten ‚Women’s Studies‘. Während diese Disziplin sich vorrangig mit einer Absicht nach gesellschaftlicher Gleichstellung etablierte (vgl. Hof 2008: 330) und somit erstmalig gesellschaftliche Ordnungsmuster als sozio-kulturelle Konstruktion von ‚Geschlecht‘ und ‚Sexualität‘ (vgl. ebd.: 331) betrachtete, begründete sich die gesellschaftspolitische Notwendigkeit der Betrachtung von Argumentations- und Begründungszusammenhängen aller vorhandenen Wissenschaftsbereiche. Mit dem darauffolgenden Aufkommen der englischsprachigen ‚Gender Studies‘ wurde nunmehr der Anspruch an einen repräsentativen Diskurs über die Relation von Geschlecht und Kultur greifbar: Die Etablierung von ‚gender‘ als Analysekategorie diente fortan als Repräsentation von kulturellen Beziehungen von Individuum und Gesellschaft (vgl. ebd.: 332). Anknüpfend an die binäre Opposition von ‚gender‘ und ‚sex‘ hat die Theorie des ‚doing gender‘ große Zustimmung erfahren.2 Die hiermit beschriebene situative Bildung von Geschlecht in gesellschaftlichen Situationen beschreibt Judy Pearson wie folgt:

Gender [...] is usually thought of as the learned behaviors a culture associates with being male or female. The ideal of masculinity is communicated to males, whereas, the feminine ideal is communicated to females in our culture. Often this process fuses sex and gender together, although theoretically they are separate concerns. It is our position that biological sex converges with gender so that, practically speaking, it becomes difficult to disentangle the two. (Pearson et al. 1995: 6)

Die aus diesem Diskurs entstandenen Beiträge zum Zusammenwirken von Geschlechterforschung und den Kulturwissenschaften bleiben viel diskutiert. Dabei sind zahlreiche Forscher*innen, darunter Dorothee Kimmich, davon überzeugt, dass die Position der Geschlechterforschung nicht allein verschiedene Voraussetzungen mit den Kulturwissenschaften teilt, sondern diese gleichermaßen „eine neue Perspektive der Forschung und Lehre“ (Kimmich 2003: 40 f.) bietet, um spezifische Formen kultureller Symbolisierung zu erarbeiten. Kimmich argumentiert, dass sich die theoretischen Grundlagen beider Disziplinen begegnen, indem sie „[n]eben der historischen Diskursanalyse […] auch Momente der dekonstruktivistischen Sprachtheorie“ (ebd.) betrachten. In der Schnittmenge aus Interdisziplinarität und Grenzüberschreitungen lässt sich folgerichtig von einem erweiterten Kultur- und Textbegriff ausgehen, der den „traditionellen literarischen Kanon“ in Frage stellt und den klassischen Kulturbegriff durch ein Bewusstsein für die den „Geschlechterverhältnissen zugrundeliegenden Machtmechanismen“ ersetzt (Kanz 2002: 6).

Das Analyseinstrument ‚gender‘ und seine Anwendung

Der mit der Neubestimmung des Kulturbegriffs einhergehende „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ ermöglicht seither eine präzisere Wahrnehmung gesellschaftlich intersektionaler Positionen (Hof 2008: 333). Hierbei prägt die Überschreitung und/oder Auflösung von Disziplingrenzen in der Geschlechterforschung – wie auch in den Kulturwissenschaften – die Interaktion mit kulturellen Phänomenen. Ansätze, die vormals „von den traditionellen Geisteswissenschaften als ‚trivial‘ oder minderwertig ausgeschlossen wurde[n]“ (ebd.: 340), werden heute in der Geschlechterforschung und in den Kulturwissenschaften zum Forschungsobjekt. Hierzu zählen nicht allein geschlechtsspezifische Lesbarkeiten von Texten, sondern gleichermaßen auch die Erforschung von Emotionen, Sexualität sowie persönlichen und privaten Sphären (vgl. ebd.: 339) oder die Betrachtung des Identitätsprozesses in etablierten Formen der Inszenierung (vgl. ebd.: 344). Ein Beispiel für die Betrachtung der Herstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit in Texten kann unter anderem die Analyse narrativer Strukturen oder Plotstrukturen sein. In Bezugnahme auf das Modell der Heldenreise von Joseph Campbell (1973) können so beispielsweise Texte „vom mittelalterlichen aventiure-Schema bis zum Hollywood-Filmdrehbuch“ (Schwanebeck 2014: 2) exemplarisch analysiert werden. Im Fokus der Analysekategorie ‚Geschlecht‘ stehen also „nicht allein die Mechanismen der Geschlechterhierarchie, sondern v. a. die gegenseitige Abhängigkeit und das Wechselspiel zwischen dem Geschlechterverhältnis und anderen Differenzkriterien“ (Hof 2008: 340).

Folglich lässt die genauere Betrachtung der Beziehung von Geschlecht und Kultur erkennen, dass sie „kulturell und historisch spezifische Regelsysteme repräsentieren“ (Kanz 2002: 6) und somit auch der Begriff der Intersektionalität im Rahmen des Differenzdiskurses zunehmend an Bedeutung gewinnt. So gilt es in der Zusammenarbeit von Geschlechterforschung und Kulturwissenschaften also, die traditionell gültigen binären Oppositionen von Mann vs. Frau zu erweitern und dabei intersektionale Beziehungen von z.B. Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Alter und Sozialstatus in Betracht zu ziehen. Die Gemeinschaftsarbeit der Kulturwissenschaften und der Geschlechterforschung lässt sich also genau dort anwenden, wo es notwendig wird, die Verbindung von Kultur und Sozialstruktur verständlich zu machen:

[Sie] kommt immer dann zum Vorschein, wenn die Genderordnung als der jeweils eigenen Tradition zugehörig und als eine wesentliche Grundlage der eigenen Kultur verstanden wird. Dort, wo sich Tendenzen zeigen, die traditionelle Genderordnung aufzubrechen, kann dies [jedoch] als Bedrohung der ‚eigenen‘ Tradition und Kultur empfunden werden. (Mae, Michika und Saal 2007 u. 2014: 9)

Umstritten ist die Betrachtung sozialer Strukturen im Zusammenhang mit den Begriffen Kultur und Geschlecht also dann, „wenn nicht länger von ‚natürlichen‘, biologisch fundierten Grundlagen auszugehen ist“ (Hof 2008: 334). Die Debatte um die ‚Natürlichkeit‘ geschlechtlicher Identitäten vs. die Idee der ‚sozialen Konstruktion‘ schafft demnach einen zusätzlichen Raum zur Betrachtung von Legitimationsstrategien (vgl. ebd.). Renate Hof stellt zurecht die Frage „warum etwa [...] wieder ein so großes Interesse daran [besteht], soziale Faktoren genetisch oder evolutionsbiologisch zu erklären“ (ebd.: 345). Erst der Einsatz des Analyseinstruments ‚gender‘ habe etwa „ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass das Geschlechterverhältnis keine notwendige Folge einer naturhaften Ordnung darstellt, [sondern] dass vielmehr gerade der Rekurs auf die Natur als Legitimationsstrategie für gesellschaftliche Machtverhältnisse zu verstehen ist.“ (ebd.: 335)

Um also Kultur und Geschlecht in ihrem identitätsstiftenden Diskurs analysieren zu können, bedarf es – trotz jeglicher sozialen und politischen Perspektive – einer Grenzen hinterfragenden, transkulturellen Betrachtung in der jeweiligen Gegenstandsanalyse (vgl. Mae, Michika und Saal 2007/14: 9). So erörtert auch Britta Saal, dass nur mithilfe der Verknüpfung von Kultur- und Geschlechterforschung „innerhalb der einzelnen Kulturen funktional definierte Differenzsetzungen […] in ihren wechselseitigen Verbindungen erkennbar werden“ können (ebd.: 10). Denn „Kultur definiert die Genderidentität, und das Genderverhältnis prägt eine Kultur“ (ebd.: 17). Eine fundierte Analysekategorie ‚gender‘ kann demnach nicht unabhängig von „gesellschaftspolitischen, sozialen und institutionellen Bedingungen“ (Hof 2008: 342) funktionieren und muss sich erkenntnistheoretisch „Fragen der sozialen, politischen und ökonomischen Machtbereiche“ stellen (ebd.). Ohne ein politisches Bestreben sei es – laut Renate Hof – nicht möglich, Grenzziehungen, -überschreitungen oder -auflösungen für eine kulturwissenschaftliche Geschlechterforschung zu erschließen (vgl. ebd.: 345).

Zugriffe und Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Geschlechterforschung

Mit Bezugnahme auf eine transkulturelle Genderforschung und mit Rekurs auf einen erweiterten Kultur- und Textbegriff der modernen Kulturwissenschaften, können neue Medienformate und Texte jeglicher Art analysiert werden. So wird beispielsweise in den sozialen Medien die Debatte um das Thema ‚Geschlecht‘ verstärkt verhandelt, darunter das Thema ‚Zweigeschlechtlichkeit‘, das Verhältnis der Kultur- und Naturwissenschaften sowie die Legitimationsstrategien für ein binäres Geschlechtersystem. Ergebnisse aus Diskurs- und Inhaltsanalysen verschiedener interdisziplinärer Forschungsgebiete zeigen eine vermehrte Gegenüberstellung von Natur und Kultur, Wahrheit und Konstruktion sowie dem starken Willen nach einer Aufrechterhaltung des binären Geschlechtersystems. Dies lässt sich mit einem Rückblick auf die frühe Forschung von Judith Butler („Das Unbehagen der Geschlechter“, 1990) und Michel Foucault („Sexualität und Wahrheit“, 1994) nachvollziehen. Schon Butler beschrieb das Verständnis des geschlechtlichen Körpers als gesellschaftlich-kulturell vermittelt: „Das Bild einer unabhängigen Natur ist demnach selbst ein kulturell erzeugtes Denkmuster“ (Butler nach Hof 2008: 336). Unabhängig von einer kommunikationswissenschaftlich geprägten Diskursanalyse kann sich die kulturwissenschaftliche Geschlechterforschung auf diverse Rahmentheorien beziehen, darunter auf „hermeneutische, sozialgeschichtliche, ideologiekritische, psychoanalytische und poststrukturalistische Theorien“ (Köppe und Winko 2013: 202).

Mit genau diesen theoretischen Ansätzen kann in diversen kulturwissenschaftlichen Forschungsfeldern gearbeitet werden, unter anderem in der Literaturwissenschaft, die die Analysekategorie ‚Geschlecht‘ seit den 1970er in der feministischen Literaturwissenschaft integriert hat. Einen Überblick über die Ziele und Methoden einer interdisziplinären Literaturwissenschaft findet sich in Neuere Literaturtheorien: Eine Einführung von Tilmann Köppe und Simone Winko aus dem Jahre 2013. Darunter befindet sich auch die Absicht einer „Untersuchung stereotyper Muster von ‚Männlichkeit‘ bzw. ‚Weiblichkeit‘ und ihrer Konstruktionsprinzipien in literarischen Texten“ (ebd.: 205), welche eine Fülle an Interpretationen hervorbringen kann.

Anwendungsbeispiel: Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen in Thomas Manns Buddenbrooks

Ein gelungenes Anwendungsbeispiel der literatur- und kulturwissenschaftlichen Geschlechterforschung lässt sich in der Betrachtung der Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen in Thomas Manns Buddenbrooks finden, welche von Veronika Schuchter im Buddenbrooks-Handbuch (2018) behandelt werden. Buddenbrooks bietet trotz seiner vielfachen Analysen in den letzten Jahrzehnten immer wieder Raum für neue Interpretationen, darunter auch solche die Genderfragen innerhalb einer genderorientierten und interdisziplinären Literaturwissenschaft in den Vordergrund stellen. So können vormals nicht beachtete Perspektiven und ‚blinde Flecken‘ aufgearbeitet werden. In Schuchters Analyse werden die „individuellen Sphäre[n]“ der Männerfiguren sowie die „soziale[n] Dimension[en]“ der Frauenfiguren in ihrer Gesamtheit betrachtet (Schuchter 2018: 266). In ihrer Untersuchung der Männlichkeitsstrukturen bezieht Schuchter sich auf Raewyn Connells Modell der ‚hegemonialen Männlichkeit‘, das „ein ausdifferenziertes, heteronormatives System hierarchisch organisierter Männlichkeiten, das sich aus der hegemonialen, der komplizenhaften, der marginalisierten und der untergeordneten Männlichkeit zusammensetzt.“ (ebd.) Mithilfe dieses Modells und in Kombination mit Butlers These der ‚Performanz der Geschlechter‘ lässt sich die Konstruktion von Männlichkeit in der Generationenfolge sowie die familiäre und ökonomische Machtposition der Buddenbrooks erläutern: Jeder männliche Buddenbrook nimmt hierbei unterschiedliche Rollen nach Connells Modell ein. So lässt sich beispielsweise die Figur Thomas Buddenbrook als erster Nachfolger der Familie charakterisieren, der dem Ideal der hegemonialen Männlichkeit kritisch gegenübersteht, obwohl er bis zur Erschöpfung versucht, dies zu verschleiern; im Gegensatz wiederum zu seinem Sohn Hanno, der als Vertreter einer untergeordneten und damit krisenhafter Männlichkeit ausgewiesen wird (vgl. ebd.: 267).

Ein vergleichbar gut adaptierbares Modell für die Konstruktion von Weiblichkeit gibt es bis dato nicht. Schuchter sieht darin „kein Versäumnis der Wissenschaft“, sondern lediglich die „unterschiedlichen Konstruktionsmechanismen von Männlichkeit und Weiblichkeit und ein aus männlicher Perspektive erwachsenes kulturelles Frauenbild.“ (ebd.: 268) Dies muss allerdings kein Widerspruch sein: Schon seit Aufkommen der ‚Women’s Studies‘ wird darauf aufmerksam gemacht, dass es in der androzentrischen Wissenschaftstradition Aufholbedarf gibt. Im Gegensatz zu der oben erwähnten Konstruktion von Männlichkeit, spielt die Konstruktion von Weiblichkeit in Buddenbrooks lediglich eine Nebenrolle. Auch in der charakterlich ausgeprägten Figur der Tony Buddenbrook nimmt die soziologisch-historische Stellung der bürgerlichen Frau mehr Raum ein als das symbolische Frauwerden (vgl. ebd.: 268–269). Während Tony maßgeblich durch ihren „Hang zur Subordination und ihren Wunsch zu gefallen“ (ebd.: 269) charakterisiert ist und ähnlich wie ihr Bruder Thomas ein gewisses Familienideal aufrechterhalten will (z.B. durch die Vernunftehe mit Bendix Grünlich), polarisiert Gerda mit Negativaussagen bezüglich ihrer zugeordneten sozialen Rolle wie: „Ich sehe nicht ein warum. Ich habe gar keine Lust dazu [zu heiraten].“ (Mann 2008: 89) Auch die bereits angesprochene Theorie des ‚doing gender‘ findet in der Analyse Schuchters Anwendung: Die „rigide Körperpolitik“ von Thomas lässt sich als „Aneinanderreihung performativer Akte“ für die stetige Herstellung von Männlichkeit werten (ebd.: 272). In ihrer Analyse betrachtet Schuchter ferner die weibliche Sexualität bzw. Asexualität sowie die Kategorie ‚Habitus und männliche Herrschaft‘. In ihrer tiefgehenden Betrachtung des Romans wird deutlich, dass die Geschlechterforschung im Kontext der Neuen Literaturwissenschaft gewinnbringende und neue Erkenntnisse liefert. Und sie liefert nur ein mögliches Beispiel für die vielfältigen Perspektiven und Methoden einer kulturwissenschaftlichen Geschlechterforschung.

Ausblick

Die Vielzahl von Zugriffen und Perspektiven der aktuellen Geschlechterforschung zeigt, dass eine Verknüpfung mit den Kulturwissenschaften nicht nur weiterhin verfestigt werden, sondern aktiv angestrebt werden sollte. Im Kontext des interdisziplinären wissenschaftlichen Diskurses ist es nur so möglich, umfassende und vollständige Forschungsergebnisse zu erhalten, da die Analysekategorie ‚gender‘ als identitätsstiftendes, soziokulturelles Konzept prävalent ist.3

Hier können beispielhaft die Literaturwissenschaften genannt werden, da insbesondere in literarischen Weltmodellen geschlechtsspezifische Rollenbilder und/oder Stereotype reproduziert oder aufgebrochen werden. Weitere Ziele einer solchen literatur- sowie kulturwissenschaftlichen Forschung können unter anderem das „Um -und Neuschreiben der Literaturgeschichte nach dem Maßstab einer Tradition weiblicher Autorschaft“, das Erforschen und Aufwerten weiblicher Themen in kanonisierten Texten“ sowie eine Etablierung neuer Verfahren im Umgang mit Texten im Gegensatz zur „phallogozentrischen […] Praxis der Literaturwissenschaft“ sein (Köppe und Winko 2013: 205).

Des Weiteren ist es notwendig die Kategorie ‚Geschlecht‘ zunehmend im Kontext anderer Differenzierungskategorien wie Alter, Sexualität, Behinderung etc. zu betrachten, um Strukturen und Hierarchien der sozio-kulturellen Gesellschaft erfassen zu können. Dieses Vorhaben kann in einer transkulturellen Geschlechterforschung verankert werden – Kulturen werden „in ihrer hybriden und transkulturellen Verfasstheit gedacht“, und nicht als homogene, nicht dynamische, nach außen abgegrenzte Einheiten (Mae, Michika u. Saal 2007 u. 2014: 10). Abseits des vorliegenden engen Kulturbegriffs können hierbei Fragen der „funktional definierten Differenzsetzungen […] nach innen und nach außen in ihren wechselseitigen Verbindungen erkennbar werden“ (ebd.). Aus dem aktuellen öffentlichen Diskurs lässt sich eine Tendenz zur Interdisziplinarität zwischen Geschlechterforschung und Kulturwissenschaften ablesen. Wie vielfältig die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Geschlecht‘ sein kann, zeigen die Beiträge aus vielen unterschiedlichen Forschungslandschaften wie der Religionswissenschaft, der Geschichtswissenschaft, der europäischen Ethnologie, der Sprachwissenschaft oder der Kommunikations- und Medienwissenschaft im Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung.

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1   Einen Überblick über Frauen- und Geschlechterforschung in Deutschland und dem deutschsprachigen Raum findet man auf der Webseite der transdisziplinären Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin: www.gender.hu-berlin.de/de/links/links_renamed (03.06.2021).

2   Das Konzept des ‚doing gender‘ lässt sich maßgeblich auf die Soziolog*innen Candace West und Don H. Zimmermann und ihren Aufsatz „Doing Gender“ von 1987 zurückführen.

3   Das Konzept von gender als master identity stammt aus der Ethnomethodologie und findet in verschiedenen Bereichen der Geschlechterforschung Anwendung, darunter auch in der Genderlinguistik (vgl. Kotthoff/Nübling 2018: 26 f.).


Literarische Texte

Mann, Thomas (1903): Buddenbrooks: Verfall einer Familie. 10. Aufl. Frankfurt a. M.

Forschungsliteratur

Hof, Renate (2008): „Kulturwissenschaften und Geschlechterforschung“. In: Ansgar Nünning u. Vera Nünning (Hg.): Einführung in die Kulturwissenschaften. Stuttgart/Weimar. S. 329−350.

Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.

Foucault, Michel (1987): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit. 1. Frankfurt a. M.

Kanz, Christine (2002): „Gender in den Literatur- und Kulturwissenschaften“. In: Genderstudies 1, S. 4−7, https://doi.org/10.25595/1265 (04.03.2022).

Kimmich, Dorothee (2003): „Kultur statt Frauen? Zum Verhältnis von Gender Studies und Kulturwissenschaften“. In: Freiburger FrauenStudien: Zeitschrift für interdisziplinäre Frauenforschung 9/12, S. 31−47, https://doi.org/10.25595/1790 (04.03.2022).

Köppe, Tilmann u. Simone Winko (2013): Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung. Stuttgart.

Kortendiek, Beate, Birgit Riegraf u. Katja Sabisch (2019): Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden.

Kotthoff, Helga und Damaris Nübling (2018): Genderlinguistik. Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht. Tübingen.

Mae, Michika und Britta Saal (2007/2014): „Einleitung“. In: Michika Mae u. Britta Saal: Transkulturelle Genderforschung. Ein Studienbuch zum Verhältnis von Kultur und Geschlecht. 2. Aufl. Wiesbaden, S. 9−17.

Pearson, Judy C., Lynn H. Turner u. Richard L. West (1995): Gender and Communication. Madison, USA.

Schuchter, Veronika (2018): „Gender Studies (Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen“. In: Nicole Mattern u. Stefan Neuhaus (Hg.): Buddenbrooks-Handbuch. Stuttgart, S. 266−273.

Schwanebeck, Wieland (2014). „Männlichkeit in der Literaturwissenschaft“. In: Gender Glossar/Gender Glossary, http://gender-glossar.de (04.03.2021).