Schaulust und Macht. Erotisierung und Sexualisierung von Gewalt in den Edgar Wallace-Filmen

Romany Schmidt

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„Dabei gibt’s nur zwei Gründe, Frauen umzubringen:
Berechnung und Leidenschaft. Ich würde Leidenschaft vorziehen“
(DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE [BRD 1967]: 00:54:00)

„Nur darüber gibt es im bundesdeutschen Krimi abgründige Einblicke:
in Emotionen, Gedanken, Phantasien der Zeit“ (Grob 2004: 214)

Wilde Schießereien, gezückte Messer, zwei große Hände, die sich um den Hals einer schönen Frau legen – an der Schnittstelle von Krimi und Horror, mit der die Filme der Edgar Wallace-Reihe so vertraut sind, ist Gewalt kein Fremdwort. Kein Wunder: Damit die Polizisten Scotland Yards wieder für Recht und Ordnung in den von Nebelschwaden durchzogenen Straßen Londons sorgen können, muss zunächst einmal ein Verbrechen geschehen sein. Doch wie wird Gewalt, als zentraler Bestandteil des Krimi-Genres, in den Wallace-Filmen konkret inszeniert und funktionalisiert? Lassen sich hier stilistische Besonderheiten erkennen, die die Filme der Reihe unter diesem Gesichtspunkt miteinander verbinden?

Überblick: Gewalt in Gesellschaft und Medien

Unter Gewalt wird gemeinhin eine intendierte physische oder psychische Schädigung einer Person durch eine andere Person verstanden (vgl. Kunczik 2017: 7). Um sich einem umfassenderen Gewaltbegriff zu nähern, sind jedoch auch Dimensionen des Phänomens relevant, die über eine ereignishafte, unmittelbare Gewaltausübung hinausgehen. Galtung ergänzt sein Gewalt-Modell daher um die strukturelle und kulturelle Gewalt (vgl. 1990: 294). Strukturelle Gewalt beschreibt die prozessuale Schlechterstellung von Menschen(-gruppen) durch staatliche und gesellschaftliche Strukturen. Mit dem Konzept der kulturellen Gewalt verweist Galtung auf diejenigen symbolischen Muster in der Sprache, Ideologie usw., die innerhalb einer Gesellschaft direkte und strukturelle Gewalt durch eine Verstetigung von Denk- und Deutungsmustern legitimieren (vgl. ebd.: 291).

Als Produkt und Spiegelbild seiner Entstehungskultur, kann das Medium Film Aufschluss über kollektive Deutungsmuster geben, die darauf hinweisen, welche Perspektiven auf Gewalt sich innerhalb einer Gesellschaft eröffnen. Welche Formen der Gewalt werden entweder problematisiert oder normalisiert? In seiner filmischen Inszenierung stellt Gewalt ein bedeutungstragendes Element dar, welches Relationen herstellt (vgl. Gräf 2011: 37) und auf diesem Wege zur Konstruktion spezifischer Realitätsmodelle funktionalisiert werden kann.

Gewaltdarstellung in den Edgar Wallace-Filmen

Gerade in Kriminalfilmen ist die Darstellung von Gewalt meist negativ behaftet – schließlich geht es hier primär um die Aufklärung eines Verbrechens, durch welche der Täter zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden soll. Auch in den Edgar Wallace-Filmen wird die Gewalt, die die Opfer im Verlauf der Handlung erfahren, mindestens vordergründig als soziales Problem und Unrecht dargestellt, vor welchem sie von den Ordnungshütern beschützt werden müssen. Aber auch über das Initialverbrechen hinaus sparen die Filme der Reihe nicht an expliziten Gewaltdarstellungen. Gewalt tritt in den verschiedensten Konstellationen und Kontexten auf: Schusswechsel zwischen Polizisten und kriminellen Banden, ein Sohn, der seinen Vater ohrfeigt, Mädchen, die einander mit Stromschlägen bestrafen. Verglichen mit dem, was Filme heute auf die Leinwand zu bringen pflegen, wirkt die dargestellte Gewalt zunächst verhältnismäßig zahm, jedoch war schon in den ersten Teilen die für die Reihe charakteristische Mischung von düsterem Sadismus und spielerisch-parodistischer Verfremdung (vgl. Seeßlen [1986]) allgegenwärtig. Eine genauere Untersuchung der Darstellung und Vermittlung von Gewalt in der Wallace-Reihe lässt zwei Beobachtungen zu: Nicht nur vollzieht sich eine Radikalisierung der Gewaltdarstellung über die Filmreihe hinweg, Gewalt wird darüber hinaus auch eng an Sexualität und Erotik geknüpft (vgl. Blödorn 2007: 149). In der zunehmenden Sensationsgier der Wallace-Filme sehen viele Kritiker einen Grund für den Verlust ihrer Attraktivität und für ihren letztendlichen Niedergang (vgl. Seeßlen 1981: 213). Die Diagnose einer demonstrativen Sexualisierung und Erotisierung von Gewalt soll nun Gegenstand einer genaueren Auseinandersetzung sein.

DER FROSCH MIT DER MASKE gibt den Ton an

Bereits im ersten Edgar Wallace-Film, DER FROSCH MIT DER MASKE (BRD/DK 1959), der 1959 in die deutschen Kinos kam und der als Orientierungspunkt für die darauffolgenden Filme der Reihe fungierte, nimmt nicht nur die Drastik der Gewaltdarstellung im Verlauf des Films zu, es offenbart sich auch die leitmotivische Sexualisierung von Gewalt. Harry Lime, der als ‚Frosch‘ maskierte Bösewicht der Geschichte, entführt Ella Bennet und hält sie in einem Kellerraum gefangen. Die Antriebskraft hinter seinen kriminellen Machenschaften entpuppt sich als seine Obsession für die junge Frau, die er für sich gewinnen will. Mit der Drohung, dass sie entweder ihm gehören oder sterben müsse, zwingt er sie auf ein Bett (vgl. DER FROSCH MIT DER MASKE: 01:23:30). Durch die Verbindung von Begierde und Gewalt wird hier auf eine mögliche Vergewaltigung angespielt.

Auffällig ist darüber hinaus, dass es nicht nur die Ebene der histoire, d. h. der erzählten Geschichte, ist, auf der Gewalt mit einem sexuellen Motiv versehen wird. Auch mittels der filmischen Inszenierung offenbart sich bereits im ersten Edgar Wallace-Film eine enge Verknüpfung erotische Stimuli bzw. sexueller Symbolik. Im gleichen Gewölbe, in dem der ‚Frosch‘ über Ella Bennet herfällt, wird auch die Sängerin Lolita festgehalten, die mit zerrissener Kleidung an einen Stuhl gefesselt ist. Der ‚Frosch‘ bedroht sie mit einer brennenden Eisenstange (Abb. 1), bevor er sie schließlich grausam erschießt. In einer besonders schonungslosen Einstellung wird gezeigt, wie die teilentblößte Lolita von den Geschossen getroffen wird (Abb. 2).

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DER FROSCH MIT DER MASKE deutet also bereits die Richtung an, wie Sexualität und Erotik auch in den darauffolgenden Filmen der Reihe mit Gewalt in Verbindung gesetzt werden: Auf der einen Seite ist das Motiv sexueller Gewalt ein bedeutendes Element der erzählten Handlungen, auf der anderen Seite wird Gewalt über die filmische Inszenierung und den Blick auf den weiblichen Körper implizit erotisiert.

Institutionen als Schauplatz der (sexualisierten) Gewalt

Ein wesentlicher Bestandteil der Edgar Wallace-Filme sind die Institutionen, in denen Gewalt strukturell ermöglicht und verschleiert wird. Institutionen wie Mädchen- und Blindenheime, Strafanstalten sowie Internate und Schulen sind nicht nur Tor zu der Schattenwelt, in der Kriminalität und Gewalt ausgeübt werden, sondern sie sind auch die Bühne, auf der sich die durch die institutionelle Struktur und das in ihr wirksame Machtgefälle sexuelle Gewalt gegen die meist jungen Mädchen ereignet. Diese Einrichtungen stellen Orte dar, an denen sich verschiedene Formen der Gewalt verdichtet manifestieren. In einigen Filmen erhalten die Täter mittels der Institution Zugriff auf Mädchen, die sie unter anderem zum Zwecke des Mädchenhandels verschwinden lassen (z. B. in DER HEXER [BRD 1964]) oder unter der Verheißung, die Anstalt verlassen zu können, zur Prostitution im hauseigenen Bordell drängen (z. B. in DER BUCKLIGE VON SOHO [BRD 1966]). Leitung und Mitarbeiter*innen der Institutionen sind meist entweder selbst die Drahtzieher oder folgen den Weisungen der Verbrecher im Hintergrund.

Sexualisierte Gewalt zeigt sich in den Erzählungen jedoch nicht lediglich in organisierter Form – von allerlei Autoritätspersonen werden die Mädchen, die sich als Schützlinge in einer Abhängigkeitsposition befinden, sexuell ausgebeutet. Nicht selten werden die Avancen männlicher Lehrer oder Angestellter gezeigt, die sich den Mädchen aufdrängen oder anderweitig grob und gewaltsam mit ihnen umgehen, um sie auf sexuelle Weise zu berühren oder gefügig zu machen. Als besonders signifikantes Beispiel dient hier DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE. Die Männer, die das Gelände des Internats bewohnen, missbrauchen ihre Position, um sich den Schülerinnen auf geheimen Partys und bei Rendezvous sexuell zu nähern. Auch wenn die Schülerinnen dabei nicht immer realisieren, dass sie sexuell ausgebeutet werden, steht den Mädchen in den Szenen, in denen eine leidenschaftliche Annäherung der Männer dargestellt wird, Angst und Unwille in den Augen geschrieben (vgl. DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE: 00:29:03). Diese Dynamik wird mit dem Begriff ‚Grooming‘ bezeichnet. Hierunter werden verschiedene Techniken verstanden, durch die sexueller Zugang zu Kindern und Jugendlichen erlangt werden soll (vgl. Dietz 2018: 29). Zentral dafür ist der Missbrauch von Vertrauen und Autorität innerhalb eines institutionellen Kontexts, um Möglichkeiten zu schaffen, die nicht zustimmungsfähigen Kinder und Jugendlichen sexuell gefügig zu machen und sie zu manipulieren, um den Kontakt geheim zu halten (vgl. McAlinden 2012: 147). Auch dieser Form sexueller Gewalt, die durch das Machtgefüge der Institution ermöglicht wird, bedienen sich die Handlungen der Wallace-Filme also gerne, indem sie vor allem junge Mädchen in Abhängigkeitsverhältnisse setzen, innerhalb welcher sie Opfer sexueller Gewalt werden.

Erotik – Gewalt – Macht: Die filmische Inszenierung sexualisierter Gewalt

Die zweite Ebene der Sexualisierung und Erotisierung von Gewalt, die bereits in DER FORSCH MIT DER MASKE instrumentalisiert wird, betrifft die filmische Inszenierung der Sequenzen, in denen weibliche Körper dargestellt werden.

Eine implizite Erotisierung bzw. Sexualisierung von Gewalt geschieht mithilfe bestimmter Techniken des Schnitts und der Kameraführung, die sowohl Konnotationszusammenhänge als auch Perspektivierung und Distanz herstellen. Eine erste Auffälligkeit betrifft die Aneinanderreihung erotischer Szenen an gewaltsame Bilder, wie es etwa in DIE TOTE AUS DER THEMSE (BRD 1971) geschieht: Auf die Tötung Myrna Fergussons folgt unmittelbar die Präsentation einer Prostituierten mit nacktem Oberkörper (vgl. DIE TOTE AUS DER THEMSE: 00:07:00); auch auf die Erschießung des Journalisten David Armstrong folgt eine Einstellung, in der eine im aufreizenden, durchsichtigen Morgenmantel gekleidete Frau zu sehen ist (vgl. DIE TOTE AUS DER THEMSE: 00:27:06). Durch die unmittelbare Aufeinanderfolge von tödlicher Gewalt und erotisch bzw. sexuell aufgeladenen Sequenzen, werden die beiden Motive hier miteinander verknüpft.

Besonderheiten hinsichtlich Schnitt und Kameraführung lassen sich darüber hinaus in der geschlechterspezifischen Inszenierung von Gewalt finden. Während der Wissenschaftler zu Beginn in DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE mit Gas getötet wird, zeigt das Bild zwar die grausige Darstellung seines Erstickens; sobald das Gas jedoch gegen weibliche Figuren eingesetzt wird, ändert sich die Darstellung dieser Tötungsmethode auf groteske Art und Weise. Als zunächst die junge Pam dem Gas zum Opfer fällt, wird dieses plötzlich in anscheinend flüssiger Form auf ihr Gesicht gesprüht. Eine weitere Steigerung erfährt danach auch die dafür verwendete Waffe, wenn sie gegen Betty, das nächste Opfer, angewendet wird: Auf einmal handelt es sich nicht mehr um eine Bibel, in der ein Spritzmechanismus versteckt ist, sondern um einen pistolenähnlichen Apparat, aus dem das flüssige Gas in das Gesicht der weiblichen Opfer gespritzt wird (Abb. 3–5). Die Einstellungen zeigen das nach oben geneigte Gesicht der Opfer, unterbrochen von Einstellungswechseln zu dem abschießenden männlichen Täter, der mit der Pistole in der Hand das Schauspiel beobachtet.

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Zusätzliche Drastik gewinnt die Tötungsmethode beim nächsten Opfer, Mary, die von Frank Keeney zu Boden gerungen wird, der schließlich, auf ihr sitzend, die Waffe auf ihr Gesicht richtet (Abb. 6–8). Die Kamera nimmt dabei die subjektive Perspektive Marys ein, durch deren Augen die Zuschauer sehen, wie Keeney mit verzerrtem Gesicht die Waffe auslöst und sich das Bild durch die daraus gespritzte Substanz trübt. Daraufhin wird die Kamera von oben auf Marys Oberkörper und Gesicht gerichtet, bis sie schließlich das Bewusstsein verliert und stirbt.

Obwohl kein sexueller Akt gezeigt wird, sind die Anspielungen auf eine symbolische sexuelle Bemächtigung des weiblichen Körpers und die Ejakulation auf das Gesicht der Opfer schwer zu übersehen und wirken auch durch die Form der filmischen Vermittlung semantisch mit. Bedeutsam ist hier darüber hinaus das Spiel mit der Opfer- und Täterperspektive und der damit einhergehenden fiktionalen Identifikation mit einer Unterwerfungs- und Dominanzdynamik, an der die Zuschauer konsensuell teilnehmen (vgl. Stiglegger 2015: 72).

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Die symbolische Macht des männlichen Aggressors über das weibliche Opfer findet ebenfalls in der phallischen Ausgestaltung der Waffen ihren Ausdruck (Von Peitschen, Flammenwerfern und Bohrmaschinen). Was mit einer glühenden Eisenstange in DER FROSCH MIT DER MASKE begann (Abb. 1), zieht sich leitmotivisch durch die Wallace-Reihe: Allgegenwärtig ist dort die Vorliebe für die phallische Inszenierung der Waffen, die stets durch Schnitt und Montage in ein Verhältnis zu den Gesichtern der Opfer gesetzt werden.

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Spielerisch wird dieses Motiv wiederholt aufgegriffen, wie etwa in DIE TOTE AUS DER THEMSE: Als der Eindringling in Danny Fergussons Hotelzimmer seinen Schlagstock zückt, befindet sich das Gesicht der nichts-ahnend schlafenden Danny direkt dahinter (Abb. 9). Ihr Gesicht ist hell ausgeleuchtet, die Spitze des Schlagstocks befindet sich auf der Höhe ihrer Lippen (vgl. DIE TOTE AUS DER THEMSE: 00:35:06).

Trotz der Abwesenheit expliziter sexueller Gewalt, wird in den Edgar Wallace-Filmen folglich stets auf die Möglichkeit ihres Eintretens verwiesen und ihre potenzielle Präsenz wird wiederholt vor dem inneren Auge der Zuschauer evoziert. Durch die stilistische Verbindung des Phallus’ als Machtsymbol, der physischen Waffe und der Gesichter der Opfer, die durch die medialen Möglichkeiten des Films hergestellt wird, werden die Konzepte der patriarchalen Macht, der Gewalt und der körperlichen Unterwerfung eng miteinander verknüpft.

Das heterosexuelle Begehren und die Gewalt gegen Frauen

Die geschlechterspezifische Inszenierung von Gewalt und Sexualität in den Edgar Wallace-Filmen bietet reichlich Anlass für Überlegungen, welche Geschlechterordnungen und Geschlechtsidentitäten durch das Medium konstruiert und affirmiert werden. Bereits in der zuvor thematisierten symbolischen männlichen Macht und der oppositionell dazu stehenden weiblichen Körperlichkeit, die als ‚Anderes‘ unterworfen werden kann, sowie in der lustvollen Vermittlung des Unterwerfens und des Unterworfen-Seins offenbaren sich zwei zentrale Aspekte der Konstruktion von Geschlechtsidentitäten in den Wallace-Filmen: Die Affirmation einer Binarität der Geschlechter zum einen und die damit verbundene Naturalisierung und Normalisierung des heterosexuellen Begehrens zum anderen.

Weibliche und männliche Figuren werden durch die Art der Waffen, mit denen sie assoziiert werden, voneinander unterschieden. Besonders deutlich folgt diese Differenzierung in DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE einem binären Muster. Männliche Figuren werden meist mit einer Peitsche getötet, während die meisten Opfer der Gas-Pistole weiblich sind. Der ‚Mönch mit der Peitsche‘ entpuppt sich später als Mrs. Foster, die Leiterin des Mädcheninternats. Sir John stellt einen direkten Zusammenhang zwischen ihrer Weiblichkeit und der Peitsche als Waffe her:

„Vergessen Sie die Peitsche nicht!“ – „Auch dafür gibt es eine psychologische Erklärung. Sie stammt von einem berühmten Philosophen. Mhm... ich komme im Augenblick nicht auf den Namen. Ich müsste mal nachsehen“. – „Nietzsche! ‚Wenn du zu Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht‘“. (DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE: 01:27:12)

Die Wahl der langen Peitsche, die sich um den Hals der Männer wickelt und ihnen mit einer an ihrem Ende befestigten Bleikugel das Genick bricht, fügt sich in die Darstellung der weiblichen Verführung als Bedrohung für den Mann (vgl. Blödorn 2007: 143). Die Frau erweist sich als symbolische Schlinge um den Hals, die dem Mann mit ihrer Anziehungskraft zum Verhängnis wird. Auch in DER BUCKLIGE VON SOHO verwendet die Oberin eine peitschenähnliche Gerte, um die Mädchen zu rügen, die sich um die ohnmächtige Wanda Merville kümmern. Die kurze, phallische Gerte der Oberin unterstreicht dabei die maskulinen Eigenschaften der Aufseherin. Als sie ihre Waffe gegen Angehörige ihres eigenen Geschlechts richtet, adressiert eines der Mädchen dies unverzüglich und wirft der Oberin ihr homosexuelles Begehren vor. Entschlossen reißt sie ihre Bluse auf und ruft: „Welche Neigung wollen Sie mit ihrer Brutalität verdrängen? Diese?!“ (DER BUCKLIGE VON SOHO: 00:14:53) Gewaltausübung und Begehren werden auf diese Weise in einen direkten Zusammenhang gesetzt. Wenn Männer ihre Pistolen und Feuerwerfer auf andere Männer richten, geht dies häufig mit einem Element der ‚Entmännlichung‘ einher, wie etwa in DER BUCKLIGE VON SOHO (00:21:04) und DIE TOTE AUS DER THEMSE (00:07:18), in denen zwei schwach auftretenden Männern die Pistole an die Lippen gesetzt wird und diese sich letztlich dem Willen des Aggressors fügen.

Das Aufbegehren der Oberin in DER BUCKLIGE VON SOHO gegen die Geschlechter- und Begehrensordnung wird schließlich ebenfalls sanktioniert. In den meisten Wallace-Filmen drohen Frauen zwar ebenso wie Männer mit einer Pistole – zum Abschuss kommt es aber höchst selten. Die als maskulin inszenierte Oberin feuert hingegen die Pistole auf den ‚Buckligen‘ ab. Als sie sich vergewissern möchte, dass dieser tot ist, überwältigt und erwürgt er sie. Ihre Leiche, die kurz darauf gefunden wird, ist auf Unterleibshöhe von Torpfeilern durchbohrt (Abb. 10). Sie wurde nicht nur für ihr Bestreben bestraft, eine männliche Rolle sowohl in ihrer Identität als auch in ihrem auf das weibliche Geschlecht ausgerichtete Begehren einzunehmen, sondern auch die Form ihres Todes verweist mit seiner symbolischen Penetration abschließend auf ihre eigene körperliche Weiblichkeit.

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Auch in DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE wird ein Bestrafungsmotiv angedeutet. Dem Tod der Internatsmädchen geht eine Erregung und Verweigerung des männlichen Begehrens voraus: Pam, die ungewollt von Mr. Denver schwanger war, lächelt ihrem Mörder Keeney flirtend von der Kirchbank aus zu, Betty wehrte sich gegen die Avancen des Chemielehrers Keyston und Mary wirft nicht nur Mr. Denver von sich, als er sie auf ein Bett zwingt, sondern bedroht ihn auch noch mit einer Pistole. Kurz darauf sind alle drei Mädchen tot. Hieran zeigt sich zuletzt, dass weibliche Sexualität und Körperlichkeit eine besondere Rolle für die Darstellung und Ausübung von Gewalt in den Edgar Wallace-Filmen spielen. Nicht nur ist Gewalt gegen Frauen konstitutiv für die ‚typische‘ Handlung eines Wallace-Films, im Tode der Frauen und Mädchen wird auch in besonderem Maße auf ihre weibliche Körperlichkeit hingewiesen. Drastisch wird dies in späteren Filmen wie DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL (I/BRD 1972) gezeigt, wenn die Schulmädchen etwa durch Messerstiche zwischen die Beine getötet werden.

Offen bleibt, wo genau sich die Edgar Wallace-Filme im Spannungsfeld von Kriminalgenre, komödiantischer Parodie und Exploitation sowie von Affirmation und Kritik positionieren. Festzuhalten bleibt aber, dass die Filme zum einen verschiedene Formen direkter und institutioneller sexualisierter Gewalt für die Zuschauer sichtbar (und somit kritisierbar) machen, ihre filmische Inszenierung von Macht und Unterwerfung zum anderen jedoch vor dem Hintergrund einer normalisierten Geschlechteridentitäts- und Begehrensordnung diejenigen kulturellen Ideologien affirmiert und verschleiert, die besagte Gewalt naturalisieren.


Filme

DER FROSCH MIT DER MASKE (FRØEN MED MASKEN, BRD/DK 1959, Harald Reinl).
DER HEXER (BRD 1964, Alfred Vohrer).
DER BUCKLIGE VON SOHO (BRD 1966, Alfred Vohrer).
DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE (BRD 1967, Alfred Vohrer).
DIE TOTE AUS DER THEMSE (BRD 1971, Harald Philipp).
DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL (BRD/IT 1972, Massimo Dallamano).

Literatur

Blödorn, Andreas (2007): „Stilbildung und visuelle Kodierung im Film. Am Beispiel derdeutschen Edgar Wallace-Filme der 1960er Jahre und ihrer Parodie in Der Wixxer“. In: Jan-Oliver Decker (Hg.): Erzählstile in Literatur und Film (= KODIKAS/Code. Ars Semeiotica 30, Nr. 1–2). Tübingen, S. 137–152.

Dietz, Park (2018): „Grooming and Seduction“. In: Journal of Interpersonal Violence 33 (1), S. 28–36.

Galtung, Johan (1990): „Cultural Violence“. In: Journal of Peace Research 27(3), S. 291–305.

Gräf, Dennis (2011): „Entwicklungen der Darstellung und Erzählmuster von Gewalt im Tatort.“ In: Petra Grimm u. Heinrich Badura (Hg.): Medien – Ethik – Gewalt. Neue Perspektiven. Stuttgart, S. 133–155.

Grob, Norbert (2004): „Film der sechziger Jahre. Abschied von den Eltern“. In: Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes u. Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films. Stuttgart, S. 207–244.

Kunczik, Michael (2017): Medien und Gewalt. Überblick über den aktuellen Stand der Forschung und der Theoriediskussion. Wiesbaden.

McAlinden, Anne-Marie (2012): ‚Grooming‘ and the Sexual Abuse of Children: Institutional, Internet and Familial Dimensions. Oxford.

Seeßlen, Georg (1981): „Die deutschen Edgar Wallace-Filme“. In: Ders.: Mord im Kino. Geschichte und Mythologie des Detektiv-Films. Reinbek bei Hamburg, S. 209–217.

Seeßlen, Georg [1986]: Edgar Wallace – Made in Germany. http://filmzentrale.de/rezis/edgarwallacegs.htm (05.03.2021).

Stiglegger, Marcus (2015): „Film als existenzielle Erfahrung. Zur Phänomenologie des Terrorkinos“. In: Jochem Kotthaus (Hg.): Sexuelle Gewalt im Film. Weinheim u. Basel, S. 60–81.