„Sie haben sich die ganze Zeit verstellt. Sie sind gar nicht blind“ – Eine exemplarische Analyse der Semantisierung und Funktionalisierung von Behinderung in DIE TOTEN AUGEN VON LONDON

Ann-Kathrin Hickert

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Überblick

Die Popularität der deutschen Verfilmungen der britischen Edgar Wallace-Kriminalromane lässt sich mit Sicherheit nicht zuletzt auf die teils skurril anmutenden Bösewichte zurückführen, denen sich Fuchsberger, Tappert und Co. gegenübersahen. Regelmäßig deckten die Ermittelnden Menschenhandel auf, verfolgten unbekannte Unterweltbosse „und, immer wieder, Menschen hinter Masken, die vorzugeben suchen, andere zu sein, als sie in Wirklichkeit sind“ (Grob 1991: 77). Frosch- und Gorillabanden, Hexer und Mönche drangen oftmals durch sogenannte ‚Halbwelten‘, in denen sich öffentliches Leben und Unterwelt die Klinke in die Hand gaben, in Bereiche der Bürgerlichkeit vor. Um in dieser Sphäre unbehelligt agieren zu können, bedarf es einer Maskierung, die über die Verschleierung der wahren Identität hinausgeht (→ Maskierte Mörder*innen).

Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Semantisierung von Menschen mit Behinderungen am Beispiel der TOTEN AUGEN VON LONDON (BRD 1961) eine Tarnung als behinderter Mensch ermöglicht, denn: Welcher anständige Kriminalbeamte würde schon das blinde geistliche Oberhaupt einer Blindeneinrichtung verbrecherischer Aktivitäten beschuldigen?

Die toten Augen von London

Der sechste Film der Reihe behandelt die Ermittlungen in einer Serie von Morden an wohlhabenden, ausländischen Männern, wobei sich herausstellt, dass alle Kunden der gleichen Versicherung waren. Die Ermittlungen führen Inspektor Larry Holt, Sergeant Sunny Harvey und die ehemalige Blindenpflegerin Nora Ward auf die Spur eines Mannes, der als der ‚blinde Jack‘ berühmt-berüchtigt ist. Die Spur führt zu der letzten bekannten Adresse Jacks, dem Blindenheim ‚Das offene Tor‘, wo sie von Reverend Paul Dearborn empfangen werden. Dort versuchen sie mehr über die ‚toten Augen von London‘, „blinde Hausierer, die ihre Verbrechen nur in der Nacht ausführten“ (00:07:38–00:07:40), herauszufinden, die erneut ihr Unwesen treiben sollen. Hinweise erhalten sie durch in Brailleschrift verfasste Zettel, die „das blinde Ungeheuer und sein[en] Chef“ (00:07:18–00:07:23) als Drahtzieher ausweisen. Schließlich wird die Leiche des blinden Jacks auf einer Mülldeponie gefunden. Im Verlauf der Handlung wird ersichtlich, dass es die Verbrecher auf Nora Ward abgesehen haben, die erfährt, dass sie ein Vermögen erben wird. Im Blindenheim offenbart sich Reverend Dearborn schließlich als der totgeglaubte Bruder des Versicherungschefs Stephan Judd und bedroht gemeinsam mit diesem Inspektor Holt und Nora Ward, bevor Sunny Harvey sie schließlich rettet.

Die Semantisierung der Bewohner des Blindenheims

Die Verortung der blinden Figuren in einem von der normativen Gesellschaft hermetisch abgetrennten Raum – dem Blindenheim – geht mit einer topologischen Semantisierung einher: Bei ihrer Ankunft treffen die Ermittelnden auf die ausnahmslos älteren, männlichen Bewohner, die schweigend an einem langen Tisch sitzen (Abb. 1). Die teils verschmutzte Kleidung wirkt abgetragen, die Männer sitzen schweigend und rauchend nebeneinander und lauschen der gespielten Musik (Abb. 2). Im Verlauf des Films wird klar, dass die Verbrecherbande von den unteren Gewölben des Heims aus operiert und von dort die Leichen ihrer Opfer in die Themse befördert (→ Der Wallace-Baukasten). Insgesamt wird ‚Das offene Tor‘ als trostloser Ort dargestellt, an dem blinde Männer ihr Dasein fristen, als Raum zwischen „Normal und Unnormal, zwischen Wirklichkeit und Gefangenschaft“ (Seeßlen 1981: 213).

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Die Darstellung von Figuren mit Behinderung funktioniert nicht selten über die
(Re-)Produktion bestehender Stereotype. Die Einordnung in die Differenzkategorie ‚Behinderung‘ markiert zum einen die Abgrenzung zu nicht-behinderten Rezipienten und kann andererseits mit symbolischer Bedeutung angereichert werden. Populäre Typen behinderter Figuren zeichnen diese als verbitterte Antagonist*innen oder infantilisierte Opfer (vgl. Dederich 2007: 111).

Im vorliegenden Beispiel zeichnet die Charakterisierung der blinden Heimbewohner in Kombination mit der Auflösung des Falles das Bild einer leicht zu manipulierenden Gruppe, deren Handlungen durch nicht-blinde Kriminelle fremdbestimmt werden. Potenzielle Verbrecher geraten zu harmlosen Mitwissenden, die sich vor dem ehemaligen Mitbewohner Jack fürchten.

Die Funktionalisierung von Behinderung zur Verharmlosung krimineller Figuren zeigt sich auch in anderen Filmen der Wallace-Reihe. Klaus Kinski nimmt als verbrecherischer Butler in Neues vom Hexer (BRD 1965) Befehle über ein Hörgerät entgegen, „das ihn harmlos erscheinen läßt“ (Grob 1991: 95). Behinderung wird hier in einen kausalen Bezug zu Harmlosigkeit gesetzt.

Die diegetische Welt des Wallace-Universums greift auf das in dem Film dargestellte geteilte Wissen über Behinderung zurück. Erst die Funktionalisierung der Darstellung von Behinderung ermöglicht die Funktionalisierung dieser innerhalb der Diegese: Der Verbrecher David Judd alias Mr. Lennox tarnt sich als blinder Reverend und macht sich damit das der Diegese inhärente Bild unschuldiger, beeinträchtigter Menschen zunutze.

Die Entmenschlichung des ‚blinden Jack‘

Eine Ausnahme dieser Charakterisierung blinder Figuren bildet der ‚blinde Jack‘, da sich an ihm eine andere Form der Darstellung offenbart, die vornehmlich in Psychothrillern und Horrorfilmen für Angst und Schrecken sorgt: Die Rede ist von „den irren Mördern, die eigentlich Tiere sind“ (Seeßlen 1981: 210). Überdurchschnittliche Körperbehaarung gepaart mit lautloser, animalischer Mordlust skizzieren einen monströsen Antagonisten, dessen Entmenschlichung in dem bildlichen und metaphorischen Arrangement seiner Ermordung gipfelt. Nach den fehlgeschlagenen Mordversuchen an Nora Ward stellt der blinde Verbrecher ein zu großes Risiko für den im Verborgenen agierenden Chef der Bande dar. Ihm wird, während er im Laderaum eines Lieferwagens hockt, von der Vorderkabine aus ins Gesicht geschossen und seine Leiche wird auf einer Mülldeponie aus dem Fahrzeug geworfen (vgl. 01:03:58–01:05:22; Abb. 3 u. 4). Hier offenbart sich nicht nur die Gleichgültigkeit dem treuen Helfer gegenüber, die Art der Tötung strotzt vor brachialer Gewalt. Zum einen kommt sie einer Hinrichtung gleich, zum anderen wird die Tat verbal angekündigt, woraufhin Jack um sein Leben fleht: „Nein, nein Herr, da können sie mir die Zunge herausreißen, bevor ich ein Wort gegen Sie sage. Eher würde ich sterben.“ – „Das wirst du auch“ (01:04:28–01:04:35). Hinter der Ermordung infolge der gescheiterten Befehlsausübung scheint neben der Indifferenz Jack gegenüber auch die Mordlust des Chefs selbst zum Vorschein zu kommen – immerhin schießt er sieben Mal auf diesen, während er ihm sein Gesicht entgegenstreckt (Abb. 3).

Regisseur Alfred Vohrer verzichtet in der Gewaltdarstellung zwar nicht auf trickreiche Waffen (→ Von Peitschen, Flammenwerfern und Bohrmaschinen), die in anderen Wallace-Filmen ein ums andere Mal Polizei und unliebsame Zeug*innen gleichermaßen überraschen, allerdings verwendet Jack keine Waffen dieser Art. Nicht nur gleicht sein Tod einer Hinrichtung, auch in der Ausübung der begangenen und versuchten Morde wird er als martialischer Vollstrecker inszeniert, der mit seinen bloßen Händen tötet. Ob dies den „latenten Phantasien auf Machtausübung“ (Grob 2004: 216) geschuldet ist, die subversiv in den (Kriminal-)Filmen der sechziger Jahre mitschwangen, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. In Verbindung mit der vorangehenden Charakterisierung Jacks als animalisches Werkzeug zur Ausübung von Gewalt repräsentiert er aber unzweifelhaft das Triebhafte in der Welt wie in den Zuschauern.

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Die Darstellung als „menschliches Ungeheuer“ (Seeßlen 1981: 212) stellt Jack in die Tradition tierisch anmutender Antagonist*innen der Wallace-Reihe. Als Beispiele seien hier die Köpfe der Frosch- und Gorillabande in DER FROSCH MIT DER MASKE (BRD/DK 1959) und DER GORILLA VON SOHO (BRD 1968) genannt. Bedeutende Unterschiede zu diesen Schurken liegen zum einen in der fehlenden Maskierung und zum anderen in der hierarchischen Verortung der Figur. Während andere Mörder*innen ihre wahre Identität hinter skurrilen anthropomorphen Maskierungen verbergen, wird der Status eines Ungeheuers hier an den körperlichen Merkmalen des ‚blinden Jacks‘ festgemacht, was eine Stigmatisierung dieser Eigenschaften zur Folge hat. Die „Zuschreibung einer ganzen Kette von Andersartigkeit konstituierenden Merkmalen“ (Bartmann 2002: 31) funktioniert hier über die visuelle Codierung des Erscheinungsbildes, welches in direkten Bezug zur Mordlust gestellt wird, mit der die Figur agiert. Ihre Blindheit lässt sich als metaphorischer ‚blinder Gehorsam‘ interpretieren, der mit seiner Funktionalisierung sowie hierarchischen Verortung zusammenhängt: Wenngleich er das Publikum durch die bereits aufgezeigten Charakteristika und implizierte Eigenschaften in Angst versetzen soll, bleibt er ein, wie sein Tod verdeutlicht, entbehrlicher Handlanger für den wahren Drahtzieher. Hier agiert der Film nach einem gängigen Muster der Reihe, bei dem der Gegenspieler Scotland Yards „in zwei Personen zerfallen ist, den eiskalt planenden Verbrecher und das triebbeherrschte ‚Tier‘, das sich zu seinem Werkzeug machen läßt“ (Seeßlen 1981: 216).

An dieser Stelle ist hinzuzufügen, dass vor allem der animalische Part eben jener Aufspaltung in vielen Filmen der Wallace-Reihe für den Anteil an Horrorelementen verantwortlich zeichnet, insbesondere jedoch in DIE TOTEN AUGEN VON LONDON. Wenn Jack in seiner Funktion als entmenschlichte Tötungsmaschine ohne eigenen Willen aus dunklen Winkeln, untermalt von unheilverkündender Musik, an seine Opfer heranschleicht, erinnert dies an Inszenierungen amerikanischer Horrorfilme dieser Zeit. Zumeist taucht er aus dem Untergrund auf – sei es versteckt in einem Kellereingang oder aus dem Gewölbe des Blindenheims. Die Semantisierung von ‚oben‘ vs. ‚unten‘ in Verbindung mit ‚gut‘ vs. ‚böse‘ ist ein gängiges Vorgehen der Wallace-Filme und verordnet diese Figur auch auf topologischer Ebene in der Unterwelt. „Die rekurrente Struktur des bedrohlichen ‚Auftauchens‘“ (Blödorn 2007: 145) lässt sich als Stilmittel der Wallace-Reihe ausmachen und sorgt, unter anderem in Verbindung mit dem Spiel von Licht und Schatten, für die schauerliche Inszenierung des ‚blinden Jacks‘ (Abb. 5–7): Aus den Schatten kommend zerstört der Mörder die einzige Lichtquelle und schleicht sich an sein nun ebenfalls blindes Opfer heran. Besonders prägnant ist sein vorauseilender Sekundärschatten in Abbildung 5 in der „dramaturgischen Funktion der Ankündigung, der Drohung, des Heraufziehens von Gefahr“ (Samlowski 2012) zu sehen.

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Figuren mit Behinderung als Manifestationen von Halbwelten

Ein weiterer Baustein der Semantisierung behinderter Figuren in der Wallace-Reihe ist die Herstellung von Kausalverbindungen zwischen Sinnesbehinderungen und kognitiven Einschränkungen, was sich ebenfalls am blinden Jack exemplifizieren lässt. Der wortkarge Verbrecher schweigt während der Ausübung der Morde, allerdings untermalt er die Bedrohung seines Komplizen Lou Norris, der aussteigen will, mit den Worten: „Mitgefangen, mitgehangen“ (00:31:26–00:31:28). Ansonsten hört das Publikum ihn nur vor seiner Ermordung um sein Leben flehen: „Nein, nein Herr. Nicht sterben, nicht sterben“ (01:04:36–01:04:40). Bereits früh wurde das Narrativ des infantilen Riesen etabliert, der zum Morden angestiftet wird. Er wird Inspektor Holt wie folgt beschrieben: „Außergewöhnliche Körperkräfte, neigt zur Gewalttätigkeit, Verstand eines Kindes, leicht beeinflussbar“ (00:18:14–00:18:18). Zu diesem Zeitpunkt konnte sich das Publikum bereits von der Mordlust des blinden Jacks überzeugen, der bereits in der ersten Szene des Films aus einem Kellervorsprung heraus sein Opfer greift und in eben jenen Lieferwagen verfrachtet, in dem er später selbst getötet wird.

Die Verknüpfung von körperlicher und geistiger Behinderung findet auch in DER GORILLA VON SOHO Verwendung. Ebenfalls unter der Regie Alfred Vohrers wurde hier die Geschichte der ‚toten Augen von London‘ neu erzählt. Anstelle des blinden Komplizen der Bande, Lou Norris, richtet sich nun die taube Dorothy Smith, Bewohnerin eines Mädchenheims, mit versteckten Hinweisen an Scotland Yard. Bei einem Besuch des ermittelnden Inspektors richtet sie sich gebärdend an ihn, woraufhin sich folgender Dialog zwischen ihm und der anwesenden Schwester entspinnt: „Wer ist das? Was will sie?“ – „Sie heißt Dorothy Smith. Taubstumm, wie Sie sehen. Leider auch etwas zurückgeblieben“ (00:23:11–00:23:17). Durch die Verwendung des Begriffs ‚taubstumm‘ – der mittlerweile veraltet ist und gehörlose und schwerhörigen Menschen die Fähigkeit abspricht, sich verbal artikulieren zu können – stellt Schwester Elisabeth die Gehörlosigkeit Dorothys in direkten Bezug zu ihren kognitiven Fähigkeiten. Woraus sie diesen Schluss zieht, bleibt offen.

Ähnlich wie Lou wurde Dorothy aufgrund ihrer Taubheit als leicht zu manipulierendes Opfer stilisiert, das sich mit geheimen Botschaften an die Polizei richtet. Beide Figuren bilden eine Art Bindeglied zwischen den kriminellen Figuren der Unterwelt und den rechtschaffenen Vertreter*innen der geordneten Bürgerlichkeit, was sich auch durch ihre raumsemantische Verortung in beiden zugehörigen Teilwelten manifestiert. Als Bewohner*innen topografischer Räume, in denen sich Halbwelten manifestieren, haben sie eingeschränkten Zugang zur Öffentlichkeit. Diesen erlangen sie allerdings nur auf eigene Initiative hin, da sie sich mit Hinweisen aktiv an die Polizei richten, bevor sie – abseits des gezeigten Geschehens – beseitigt werden.

Die Stilisierung dieser beiden Figuren steht auf der Schnittstelle der bisherigen Darstellung von Menschen mit Behinderung: Ähnlich wie die (anderen) Bewohner des Blindenheims bleiben Lou und Dorothy die Opfer der kriminellen Machenschaften nicht-behinderter Menschen. Allerdings unternehmen sie den Versuch, sich diesen Strukturen zu entziehen und die Aufklärung der Fälle voranzutreiben. Ihre Behinderung scheint ein wichtiges Kriterium für ihre Beteiligung an den kriminellen Plänen zu sein. Insbesondere Dorothy Smith wird als einzige taube Bewohnerin des Heims dazu gezwungen, der Gorillabande zu helfen. In DIE TOTEN AUGEN VON LONDON wird zwar nicht ersichtlich, ob Lou Norris der einzige Bewohner ist, der dem blinden Jack bei seinen Taten helfen muss – allerdings lässt die Erwähnung früherer Aktivitäten der blinden Verbrecherbande vermuten, dass auch andere blinde Männer dieser Gruppierung angehörten (vgl. 00:07:18–00:07:23).

Behinderung als Maskierung

Die Semantisierung der topografischen Halbwelten, in denen behinderte Figuren weitestgehend isoliert leben, lässt wenig Raum für Begegnung zwischen der normativen Mehrheitsgesellschaft und marginalisierten Gruppen. Dies ermöglicht den kriminellen Drahtziehern im Wallace-Universum, abseits der breiten Öffentlichkeit in Räumen zu agieren, die nicht gänzlich der Unterwelt angehören. Als kirchlicher Leiter des Blindenheims operiert David Judd zwar getarnt, jedoch nicht vollkommen anonymisiert (Abb. 8 u. 9). Die Instrumentalisierung von Blindheit sowie seiner blinden Schützlinge kann nur funktionieren, weil die Stigmatisierung dieser ihm einen Platz am Rande der Gesellschaft sichert. Die Charakterisierung des blinden Jacks als animalisches Ungeheuer sorgt zusätzlich für Angst – in der Öffentlichkeit ebenso wie bei den anderen blinden Figuren – und reproduziert den Mythos dieses ‚blinden Ungeheuers‘, was seine Wirkmacht nur noch verstärkt. Die Maskierung als behinderter Mensch wird somit durch das innerhalb der Diegese geteilte Bild von Behinderung erst ermöglicht.

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Ein weiteres Beispiel für die Maskierung einer Figur mittels einer Behinderung findet sich in DER BUCKLIGE VON SOHO (BRD 1966), der in seiner Verortung mit dem ‚blinden Jack‘ zu vergleichen ist: Als ebenfalls treuer Untergebener des Bösewichts ermordet Harry Winston als ‚der Bucklige‘ seine Opfer mit bloßen Händen. Auch er wird schließlich von eben jenem Mann getötet, dem er sich verpflichtet fühlt, und wird mit seiner vorgegebenen Behinderung als Ungeheuer inszeniert.

Die Entmenschlichung von Menschen mit Behinderung macht sich auch Josua Broad in Der Frosch mit der Maske zu eigen. Als blinder Straßenverkäufer getarnt wird der ehemalige Komplize Harry Limes nicht nur von allzu gründlichen Polizeikontrollen verschont, sondern kann auch unbehelligt seinen eigenen Ermittlungen nachgehen. Zurück in seiner Wohnung entledigt er sich seiner ‚Verkleidung‘ und richtet Worte an seinen (Blinden-)Hund, die ein treffendes Bild der subversiven Haltung behinderten Menschen in den 1950er- und beginnenden 1960er-Jahren gegenüber zeichnet: „So Hasso, jetzt kriegst du dein Fressen und Herrchen wird erst einmal wieder Mensch“ (00:25:06–00:25:11).


Filme

DER BUCKLIGE VON SOHO (BRD 1966, Alfred Vohrer).

DER FROSCH MIT DER MASKE (BRD/DK 1959, Harald Reinl).

DER GORILLA VON SOHO (BRD 1968, Alfred Vohrer).

DIE TOTEN AUGEN VON LONDON (BRD 1961, Alfred Vohrer).

NEUES VOM HEXER (BRD 1965, Alfred Vohrer).

Forschungsliteratur

Bartmann, Silke (2002): Der behinderte Mensch im Spielfilm: Eine kritische Auseinandersetzung mit Mustern, Legitimationen, Auswirkungen von und dem Umgang mit Darstellungsweisen von behinderten Menschen in Spielfilmen. Münster.

Blödorn, Andreas (2007): „Stilbildung und visuelle Kodierung im Film. Am Beispiel derdeutschen Edgar Wallace-Filme der 1960er Jahre und ihrer Parodie in DER WIXXER“. In: Jan-Oliver Decker (Hg.): Erzählstile in Literatur und Film (= KODIKAS/Code. Ars Semeiotica 30, Nr. 1–2). Tübingen, S. 137–152.

Dederich, Markus (2007): Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability Studies. Bielefeld.

Grob, Norbert (2004): „Film der Sechziger Jahre: Abschied von den Eltern“. In: Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes u. Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films. 2. Aufl. Stuttgart, S. 207–244.

Grob, Norbert (1991): „Das Geheimnis der toten Augen. 13 Aspekte zum deutschen Kriminalfilm der sechziger Jahre“. In: Hans-Peter Reimann u. Rudolf Worschech (Hg.): Abschied von gestern: Bundesdeutscher Film der sechziger und siebziger Jahre. Frankfurt, S. 72–97.

Samlowski, Wolfgang u. James zu Hüningen (2012): „Schattenwurf“. In: Lexikon der Filmbegriffe. https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&i d=6063 (07.03.2021).

Seeßlen, Georg (1981): „Die deutschen Edgar Wallace-Filme“. In: Mord im Kino. Geschichte und Mythologie des Detektiv-Films. Hamburg, S. 209–217.