How to British: Die Inszenierung des Britischen in den deutschen Edgar Wallace-Filmen

Charlotte Stein

Beitrag als PDF

Einleitung

„In England darf man alles, nur halt keine Menschen umbringen“ – So heißt es in DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE ([BRD 1961] 00:08:55), einem der ersten Filme der deutschen Edgar Wallace-Reihe, die 1959 mit DER FROSCH MIT DER MASKE (BRD/DK 1959) begann. Um das deutsche Kinopublikum zu begeistern und zu fesseln, wird eine „typische Wallace-Atmosphäre“ (Klee u. Trede 2009) kreiert, die einsame Landsitze, wabernden Nebel und schreiende Käuzchen beinhalte (vgl. ebd.), zum Großteil in Deutschland gedreht, in Hamburg statt in London und mit Rheinschlössern statt englischen Landschlösschen. Lediglich ein paar topische Bilder stammen von Originalschauplätzen der britischen Hauptstadt. Und der Rest des Settings? Hierfür finden Klee und Trede eine einfache Antwort: „Crime, Cuties, Curiosities“ (ebd.). Doch was ist alles möglich im filmisch präsentierten England und wie ist ,Britischsein‘ in den deutschen Edgar Wallace-Filmen konzipiert? Wie exotisiert und verklärt wirkt das Wallace’sche England aus deutscher Sicht?

Nachkriegsengland – Ein kurzer Überblick

Nach dem Zweiten Weltkrieg sah sich Großbritannien zu einem kleinen, europäischen Land dezimiert, das zwar immer noch in der Weltpolitik mitreden konnte, aber kein Imperium mehr war (vgl. Barber 2020: 136). Der Krieg hatte England in den Bankrott geführt und viele Kolonien in Übersee konnten nicht aufrechterhalten werden (vgl. ebd.). Abgelöst wurde der Großmacht-Status Großbritanniens durch die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion. Dennoch gab es ein wirtschaftliches Hoch in den 1950er- und 1960er-Jahren, an dem ein Großteil der Bevölkerung zunächst partizipieren konnte (so lag die Arbeitslosenrate zwischen 1950 und 1970 nur bei 1,6%, im Vergleich zu 20% Ende der 1930er-Jahre) (vgl. ebd.: 137).

Zudem ist zu beachten, dass zur Drehzeit der deutschen Wallace-Filme die Unterteilung der Bevölkerung in Social classes noch sehr wichtig war (vgl. Ebke 2019: 170). Die Modernisierung wurde auf nationaler Ebene gedacht, hatte aber auf sozialer Ebene zur Folge, dass sich sozioökonomische Klassen herausbildeten (vgl. ebd.: 171). Grob unterschieden wurde zwischen „upper and middle classes“, „skilled workmen“ und „unskilled labourers“ (ebd.). Diese Klasseneinteilung lässt sich ebenfalls in den deutschen Wallace-Filmen wiederfinden.

Auch die Beziehung zwischen England und Amerika wird in den deutschen Wallace-Filmen aufgegriffen, hierbei werden beide immer wieder miteinander verglichen, um England und seine Bevölkerung als besonders kultiviert und weltlich hervorzuheben und Amerika gleichzeitig herabzusetzen. Allgemein lässt sich feststellen, dass sich beide Nationen in den 1950er- und 1960er-Jahren insbesondere kulturell (musikalisch und literarisch) beeinflusst haben (vgl. McKercher 2017: 5). Auf politischer Ebene habe sich die Zusammenarbeit ebenfalls bewährt, um internationale Stabilität zu gewährleisten (vgl. ebd: 7).

Die britische Klassengesellschaft in den Edgar Wallace-Filmen

Grob bezeichnet die dargestellte Gesellschaft als „märchenhaft verklärte Adels- und Bürgerwelt“ (Grob 2004: 214). Oftmals haben wir es mit dem konservativen britischen Landadel zu tun, der sich in zum Teil verstaubten Gruselschlössern oder auf anderen Landsitzen außerhalb Londons aufhält. Fast schon übertrieben wirken die dicken Spinnenweben, Marmorbüsten und herumliegende Totenschädel sowie altmodische Kerzenleuchter in DER HUND VON BLACKWOOD CASTLE (BRD 1968), angelehnt an Sir Arthur Conan Doyles The Hound of the Baskervilles. Was ebenfalls nicht fehlen durfte: Nebel, gruselige Tierlaute in der Nacht und trübes Wetter. Pasche führt an, dass Hamburg mit seinem Regenwetter, seinen Themse-ähnlichen Gewässern und Docks als Drehort gar britischer als England selbst sein mochte (vgl. Pasche 2014: 214).

Die Konservativität und fast schon snobistische Haltung der dargestellten Briten (insbesondere der Upper class) wird durch verbale Abgrenzung zu den Amerikanern hervorgehoben. So heißt es beispielsweise in DAS INDISCHE TUCH (BRD 1963): „Mr. Tilling, Sie haben hier überhaupt nichts zu fragen. Sie sind nur ein angeheirateter Verwandter und obendrein Amerikaner“ (00:06:39). In DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE (BRD 1962) wird die klare Herabsetzung Amerikas gegenüber England noch einmal deutlicher. Im Dialog zwischen dem Butler und Lord Arlington heißt es: „In Amerika mag so etwas möglich sein. Das ist ein wildes Land. Aber bei uns in London …“ (DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE: 00:07:25). Auch in DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE kommen die Amerikaner nicht gut weg. Der Bösewicht ist hier nicht der namensgebende Bogenschütze, der die Morde verübt, sondern Abel Bellamy, ein amerikanischer Millionär, dem das Garre Castle in England gehört. Dieser wird als grausam und machtversessen dargestellt. Seine Nichte Valerie, selbst Amerikanerin, verklärt das aus ihrer Sicht ,romantische‘ England: „Frauen sind meist ein bisschen romantisch, selbst, wenn sie in Amerika aufgewachsen sind“ (DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE: 00:51:26).

In DIE SELTSAME GRÄFIN (BRD 1961) führt Eddi Arent als Sohn der Gräfin zwei junge Damen durch das Herrenhaus, erklärt ihnen voller Stolz die Ahnengalerie und verweist auf seine edle Herkunft (vgl. 00:33:00–00:35:30). In Abendgarderobe gekleidet steht er repräsentativ für die in den Filmen dargestellte Upper class, die stolz auf ihren Status und ihre Herkunft ist. Er möchte im Anschluss direkt zur Waffensammlung übergehen, die wie in einem Museum neben der Ahnengalerie hängt, aber v. a. Margaret hat das Interesse verloren. Sie selbst gehört der Middle class an und kann sich für den Prunk nicht sonderlich begeistern. Ihre Freundin Lizzie gesteht selbst, dass sie immer dachte, eine Anstellung, wie sie ihre Freundin Margaret auf einem Schloss bei der Gräfin hat, gebe es nur in Romanen (vgl. 00:36:40). Der Sohn der Gräfin möchte außerdem unbedingt zum Theater, doch die Gräfin betrachtet das Schauspielerdasein nicht als anständigen Beruf (vgl. 00:19:00), wodurch sie die Menschen außerhalb ihrer eigenen sozialen Klasse herabsetzt.

Scotland Yard zeichnet sich durch eine geringe Emotionalität aus. Generell schwebt eine ‚britische Kühle‘ über allem, gerade angesichts grausiger Morde. Insbesondere Sir John beweist, dass das Klassendenken auch bei Scotland Yard vorhanden ist. Sein Adelstitel ,Sir‘ weist auf eine edle Herkunft hin, zudem ist er mit Lord Henry und Lady Agathy Beverton aus DER HUND VON BLACKWOOD CASTLE bekannt und drückt sein Bedauern ob deren Abstieg zu einfachen Wirtsleuten aus.

Sir John (schaut sich skeptisch um): „Ich habe ja gar nicht gewusst, dass ihr ein Gasthaus…“. Lady Beverton: „Der englische Adel, Archie, hat immer seine Feinde gehabt: die Franzosen, die Spanier, die Schwarzen Blattern und jetzt die Steuern.“

Sir John: „Vergiss die Beatles nicht.“ (00:35:30–00:35:42)

An dieser Stelle zeigt sich auch ein Generationenkonflikt: der alteingesessene, konservative Adel, der sich gegen die Jugendkultur abgrenzt. Solche Einstreuungen von Popkultur sind zwar zu finden, bleiben jedoch selten – das Einblenden eines Beatles-Posters in DER GORILLA VON SOHO (BRD 1968; 00:44:20) bildet in dieser Hinsicht fast den Höhepunkt. Das Augenmerk der Filme liegt deutlich auf der konservativen Upper class, deren Schlösser meist als Schauplatz für das Geschehen dienen.

Exzentrik

Insbesondere die britische Upper class wird darüber hinaus in den Filmen als exzentrisch präsentiert. Ein Beispiel ist die Gräfin Eleonora Moron in DIE SELTSAME GRÄFIN. Sie kleidet sich jeden Tag mondän und glamourös, fast schon, als würde sie in einer Bühnenproduktion mitwirken, mit aufwendigem Make-up und sehr auffallendem Schmuck. Sogar nachts sind ihre Haare toupiert und frisiert, der Schmuck ist an- und die Stola umgelegt. Außerdem birgt einer ihrer Ringe ein besonderes Geheimnis – eine Giftnadel, mit der die Gräfin Suizid begeht, bevor sie zur Rechenschaft gezogen werden kann.

© ffm

Eine weitere Verschrobenheit der Gräfin Eleonora besteht darin, dass sie ihre Zimmerdame ‚Mary‘ nennt, obwohl sie Felicitas heißt. Als Begründung wird genannt: „Tick von der Gräfin“ (00:20:30).

Weitere exzentrische Figuren lassen sich beispielhaft in DER HUND VON BLACKWOOD CASTLE finden. Zum einen ist Jane Wilson, die junge Erbin von Blackwood Castle, zu nennen. Bei ihrer Ankunft kleidet sie sich in Männermode aus einem vergangenen Jahrhundert, wohingegen ihr kleiner Hund mit rosa Schleife im Fell wie ein typisches Modehündchen aussieht. Auch die Butler-Figuren halten einiges an Exzentrik bereit. Im HUND VON BLACKWOOD CASTLE ist dies Grimsby, ebenfalls in sehr altmodischer Kleidung (Bundhose und Frack) und mit Augenklappe gekleidet. Er hat die Marotte, wie eine der Marmorstatuen zu posieren, wann immer er sich in ihrer Nähe befindet. Das scheint jedoch keiner anderen Figur besonders aufzufallen.

© ffm

Ebenfalls zu beachten ist die Vorliebe der reichen Upper class-Bösewichte für exotische Tiere – sie scheinen wie Relikte aus der Zeit, als England noch ein Imperium mit vielen Kolonien war. Im Keller des Captains von Blackwood Castle befinden sich neben einem ausgestopften Eisbären Mambas, Pythons und andere Schlangen. In DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE (BRD 1967) befindet sich in den Kellergewölben ein großzügiges Areal für Alligatoren sowie exotisch anmutende Fische und Rochen.

Tea Time

Ein weiteres Klischee, das bedient wird, ist die britische Tea Time. Tatsächlich gibt es kaum einen deutschen Edgar Wallace-Film, in dem nicht Tee getrunken wird – einmal ‚mit Schuss‘, ein andermal ohne. Gerade bei Scotland Yard scheint dieses Heißgetränk sehr beliebt zu sein, Sir John wird von seiner Sekretärin Miss Finley regelmäßig mit Tee versorgt. Auf die Spitze getrieben wird das Teetrinken in DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE. Hier wird sogar während eines Gefechts der Tee gereicht. Mr. Lamotte nimmt sich sogar Zeit, den Tee ausgiebig zu begutachten, nur um dann festzustellen: „Ohne Sahne?“ (01:21:02). Prompt wird der Tee zurückgereicht und sich wieder dem Geschehen gewidmet. Nicht einmal Todesgefahr könnte, so suggeriert es der Film, die Briten davon abhalten, ihren Tee zu genießen. Als die Schlacht vorbei ist, wird auch sogleich Tee mit Rum angeboten. Und wenn es nicht gerade Tee ist, ist es Whiskey. Dieser wird entweder im privaten Raum genossen oder in diversen Pubs, Bars und Gasthäusern. Letztere ziehen nicht unbedingt die Upper class an, sondern vielmehr die Working classes.

© ffm

Edgar Wallace im Vergleich mit deutschen Heimatfilmen

In den 1960er-Jahren lässt sich eine filmische Flucht der Deutschen in die Exotik und den Schauer fremder Länder erkennen, die als Gegenbewegung zur Auseinandersetzung mit den Schrecken der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit gedeutet werden kann. Die Verlegung der Handlung aus den 1920er-Jahren der Romanvorlagen in die zeitgenössische Gegenwart der 1960er-Jahre ermöglichte es zudem, damals aktuelle Strömungen aufzugreifen und einzubinden. So blieb man trotz exotischer und fremder Reize eng am Alltag des Publikums. Die Identifizierung der Deutschen mit ihrer Heimat war belastet und blieb problematisch. Sich für die Dauer eines Films kontrollierbarem Schrecken im Kino auszusetzen, der am Ende bewältigt wurde, wurde zu einer eskapistischen Entlastung im angespannten Alltag.

Naumann erklärt die Wallace-Filme in diesem Zusammenhang daher auch als „Eindeutschung britischer Verhältnisse“ (Naumann 2020: 440). Auslandsreisen waren damals für viele nicht möglich, weshalb die Darstellung fremder Länder im Kino so viel Anklang fand. Naumann merkt an, dass diese Reisen jedoch „noch stark vom Geist des Heimatfilms durchsetzt sind“ (ebd.). Es sei nicht das historische London, dass sich dem Kinopublikum präsentiere, sondern ein von den Deutschen erträumtes London. Er resümiert:

Mord, Verbrechen und Grusel bleiben dem Wohligen und Atmosphärischen verhaftet und bestätigen durch das souveräne Auftreten des jeweiligen Kommissars selbst im nebeligen England eine Welt, in der man sich letzten Endes doch sicher fühlen kann - eine Bestätigung, die nach den grauenhaften Kriegs- und entbehrungsreichen Nachkriegsjahren nach wie vor ein Wunsch des zahlenden Kinopublikums ist. (Ebd.)

Seeßlen argumentiert, dass es dennoch leichte Abweichungen der Wallace-Filme zu den deutschen Heimatfilmen gab (vgl. Seeßlen 1986). Er beschreibt die Wallace-Helden als moderner, weltoffener und urbaner und dennoch bieder genug für das deutsche Publikum, mit Raum für mögliche Abgründe. Die Möglichkeit zur Täterschaft war hier immer gegeben (vgl. ebd.).

Fazit: How to British – the German Way

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die deutschen Edgar Wallace-Filme England und London in eine utopische ‚Märchenwelt‘ verwandeln, die sich fernab von den historischen Schauplätzen bewegt. Es wird ein verzerrtes und überzogenes Bild der Briten erstellt, das sich letztlich nicht ganz von den Idealen der deutschen Heimatfilme abgrenzen lässt und größtenteils auf Klischees basiert. Die Reihe wird zur Flucht und Reise in ein ,exotisches‘, fremdes Land. Dennoch macht genau das wohl den Reiz der Reihe aus, die Flucht nach Good old England, wo noch täglich zur Tea Time gerufen wird, sich die Upper class in eleganten Roben in ihren großzügigen Landsitzen niederlässt und der undurchdringbare Nebel alle möglichen Gräueltaten verschleiert – und all das fernab von deutschen Haustüren und der jüngeren Vergangenheit.


Filme

DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE (BRD 1961, Jürgen Roland).
DIE SELTSAME GRÄFIN (BRD 1961, Josef von Báky).
DAS GASTHAUS AN DER THEMSE (BRD 1962, Alfred Vohrer).
DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE (BRD 1962, Helmut Ashley).
DAS INDISCHE TUCH (BRD 1963, Alfred Vohrer).
DER HUND VON BLACKWOOD CASTLE (BRD 1967, Alfred Vohrer).
DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE (BRD 1967, Alfred Vohrer).

Forschungsliteratur

Barber, Stephen (2020): „Britain in the World“. In: Mark Garnett u. Helena Pillmor: The Routledge Handbook of British Politics and Society. London, S. 135–146.

Ebke, Almut (2019): Britishness. Die Debatte über nationale Identität in Großbritannien, 1967 bis 2008 (= Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 55). Berlin u. Boston.

Grob, Norbert (2004): „Film der Sechziger Jahre: Abschied von den Eltern“. In: Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes u. Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films. 2. Aufl. Stuttgart, S. 207–244.

Klee, Ralf u. Broder-Jürgen Trede (2009): Im Bann des Killer-Froschs. https://www.spiegel.de/geschichte/kinogeschichte-a-948483.html (08.03.2021).

McKercher, B. J. C.: Britain, America, and the Special Relationship since 1941. London.

Naumann, Kai (2020): „Genres im deutschen Nachkriegskino (1945-1970)“. In: Marcus Stiglegger (Hg.): Handbuch Filmgenre. Geschichte – Ästhetik – Theorie. Wiesbaden, S. 433–448.

Pasche, Joachim (2014): „Gruselfilme am Fließband. Wie die ersten Edgar-Wallace-Filme in Hamburg und Umgebung entstanden“. In: Hamburger Flimmern 21, Hamburg, S. 14–20.

Seeßlen, Georg [1986]: „Edgar Wallace – Made in Germany". In: filmzentrale. filmzentrale.de/rezis/edgarwallacegs.html (06.03.2021).

Thiele, Jens (1992): „Deutsche Trivialität. Die Seltsame Gräfin (1961)“. In: Werner Faulstich u. Helmut Korte (Hg.): Tradition und Neuorientierung. 1961–1967 (= Fischer Filmgeschichte 4). Frankfurt a. M., S. 40–54.