Der Tod im Edgar Wallace-Film: Zur Entwicklung der Bildhaftigkeit des Leichnams im Kontext des Todestabus

Sarah Niesius

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Darstellungen von Gewalt, Tod und Leichen sind in heutigen filmischen Kriminalerzählungen allgegenwärtig. Leblose und gar verletzte Körper dienen als visuelle Zeichen des ‚Fremden‘ und rücken die intensive Betrachtung des Leichnams vermehrt in den Mittelpunkt filmischer Krimis. Todesdarstellungen im Film bestimmen damit den gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod sowie Konnotationen mit Sterben und Tod. Während es zu derartigen Abbildungen in gegenwärtigen Produktionen wie dem Tatort bereits zahlreiche Forschungsansätze und -ergebnisse gibt, finden sich kaum gleichwertige Analysen zu der vielfach kommentierten Edgar Wallace-Filmreihe. Welche Rolle und Funktion, so soll daher nachfolgend gefragt werden, kommt dem Leichnam im Edgar Wallace-Film zu? Und wie haben sich die visuellen Codierungen von Leichendarstellungen im Laufe der Produktionen von 1959 bis 1972 verändert? Für die Untersuchung der Darstellungen wurden ausgewählte Filme der Wallace-Filmreihe betrachtet.

Die Edgar Wallace-Filmreihe im gesellschaftlichen Diskurs

Edgar Wallace-Filme lassen sich in vielerlei Hinsicht im Kontext des Films der 1960er-Jahre als die Darstellung einer „Zeit der Dynamik und Transformation“ (Gräf 2012: 320) rekonstruieren. Sie nutzen die „virulenten gesellschaftlich-kulturellen Diskurs bürgerlicher Grenzziehung“ (ebd.: 321) und verstehen sich als Vermittler traditioneller Normen und Werte. Die Darstellung eines moralischen Kontrasts von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ sowie die Propagierung einer ordnungsvollen Welt spielen in den Verfilmungen ebenso eine wichtige Rolle wie die Visualisierung von Tod und Gewalt. Die „massenmediale Inszenierung der massiven Sanktionierung moralischer Devianz durch die Tötungsdelikte“, so Gräf, lässt sich rückblickend „als Schutz- und Gegenreaktion auf eine sich zum Liberalen hin transformierende Gesellschaft“ (ebd.) lesen. Blickt man auf die zahlreichen Edgar Wallace-Filme, lassen sich Klassiker wie DER FROSCH MIT DER MASKE (BRD/DK 1959), DER BUCKLIGE VON SOHO (BRD 1966) oder DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE (BRD 1967) mit ihren Darstellungen des Todes und des Leichnams im Allgemeinen als Zeugnisse von Ordnungsbrüchen, moralischen Fragen, kulturspezifischen Ansichten sowie Grenzüberschreitungen verstehen (vgl. ebd.: 309). Die Tötungsdelikte in diesen und vielen weiteren Filmen der Reihe fungieren entsprechend als „semiotische Marker“ (ebd.), welche sich im Laufe der Produktionen bis hin zum Ende der Reihe intensivieren.

Zu einer Tabuisierung des Todes

Das gesellschaftliche Todesverständnis der damaligen Zeit lässt sich mithilfe der von Philippe Ariès entwickelten These des ins „Gegenteil verkehrten Todes“ seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstehen (Hoffmann 2011: 22).1 Bedeutsam für die Analyse der zugrundeliegenden Darstellungen scheint hierbei die zunehmende Privatisierung des Todes in der Gesellschaft:

Seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts sieht man nach Ariès, ‚wie sich die scheußlichen Bilder der makabren Epoche [...] wieder Geltung verschaffen.‘ Der Tod ist schmutzig geworden, unanständig und unschicklich. Aus diesem Grund kann er nun auch auf gar keinen Fall mehr ein öffentlicher Tod sein. (Ebd.: 23)

Die seither bestehende ‚Tabuisierung‘ oder ‚Verdrängung‘ der Todesthematik ergänzt Ariès bereits in den 1980er-Jahren um folgenden Hinweis:

Die Schnelligkeit und Schroffheit dieses Wandels hat ihn uns bewußt gemacht. Was die Erinnerung an die Vergangenheit nicht zu erfassen vermochte, ist mit einem Schlage bekannt und Gegenstand der Diskussion geworden, Thema für soziologische Untersuchungen, Fernsehsendungen, medizinische und juristische Debatten. Aus der Gesellschaft vertrieben, ist der Tod durch die Hintertür wieder hereingekommen, ebenso plötzlich, wie er verschwunden war. (Ariès 2019: 717)

Während sich der gesellschaftliche Diskurs um den Tod und das Sterben im 20. Jahrhundert merklich veränderte, wurde die Thematik der Verdrängung gleichermaßen zu einem Motiv der Neugierde in Film und Literatur. Es ist demnach unverkennbar, dass auch im visuellen Umgang mit dem Tod, „jedes Todesverständnis immer ein historischer und somit wandelbarer Bedeutungskomplex ist“ (Shelton 2008: 272).

Auch Edgar Wallace-Produktionen spielen mit dem tabuisierten Bereich des Todes und der „kulturellen Abscheu“ (ebd.) vor dem physisch toten Körper. Sie inszenieren den Leichnam, sprechen ihm jegliche Individualität ab und wandeln ihn zu einem stummen Objekt der Kriminalerzählung. Die provokante Entwicklung der in der Filmreihe dargestellten Todesopfer ist somit bezeichnend für die damalige gesellschaftliche Diskussion um eine Tabuisierung des Todes, welche bis heute anhält.

Die Leiche als Zeichen des ‚Anderen‘

Gleich zu Beginn der Filmreihe werden mit DER FROSCH MIT DER MASKE tiefgründige Einblicke in die Atmosphäre des Rätselhaften, des Todes, aufgeworfen. Ein Kriminalbeamter von Scotland Yard wird von dem Anführer der gefürchteten Verbrecherbande ermordet. Inspektor William Elk und Richard Gordon treffen am Fundort der Leiche ein: Diese wurde fernab der Zivilisation in einem Baugebiet abgelegt („Wurde vermutlich einfach aus dem Wagen hier rausgeworfen“, 00:11:30). Umgeben von nur wenigen Polizeibeamten wird der Leichnam untersucht. Bereits hierbei eröffnet sich das Rätsel: Schuhe, Kleidung, Haar sowie der Bart des Todesopfers wurden gesäubert. Ohne jegliche Vorsicht wird dem Leichnam während der Untersuchung des Körpers in das Gesicht und den Mundbereich gefasst (Abb. 1). Der Leichnam des Mannes dient als Einführung in die Erzählung, als Objekt der kriminalistischen Ermittlung. Weitere Details um den Tod oder das Leben des Mannes erfahren Rezipienten nicht. Mit einer derartigen Betrachtung sowie „Unzulänglichkeit und Formlosigkeit des Toten“ (Wende 2014: 130) wird der Leichnam zum Zeichen und zu einer inszenierten Gestalt des ‚Anderen‘.

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Weitere Darstellungen des Filmes zeigen zahllose Leichen mit offenen Mündern, blutigen (Einschuss-)Wunden und leeren Blicken (Abb. 2–6). Mit dem starren Blick in das Leere (Abb. 2) unterbleibt, entgegen der „Konvention des classical cinema […] der konventionelle Gegenschuss“ (ebd.: 339, Herv. i. Orig.) – die Einbettung des anwesenden Leichnams in die Erzählung wird verweigert; die Filmfigur verwandelt sich mit dem Eintritt des Todes in das Objekt der kriminalistischen Erzählung und verliert mit dem Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper jegliche Kommunikationsmöglichkeit. Eine Reduktion des Todesopfers auf das Lösen eines kriminalistischen Rätsels wird auch bei der Betrachtung der Montage deutlich: Die Schnitte sind rasch, die Belichtung düster und undurchsichtig.

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Ferner wird mit der mehrmalig erwähnten Todesstrafe und der Figur des Henkers von London eine Verbindung von Tod und Recht geschaffen, die das Verbrechen der Zeit lösen soll. Nach der Verhaftung einiger Mitglieder der Verbrecherbande verlangt Inspektor Elk Hinweise und droht den Männern indiskret mit der Erhängung: „Vielleicht fällt es euch dann ein, bevor ihr hängt“ (01:02:50). Der Tod in DER FROSCH MIT DER MASKE dient demnach mitunter der Darbietung von Recht und Unrecht: „[D]er Schurke muß sterben als Zeichen der Gerechtigkeit; fast immer kommt er so ums Leben, wie er es anderen zugedacht hat.“ (Seeßlen 1981: 104) Mit derartigen Darstellungen von Tod, Sterben und Leichnam wird bereits zu Beginn der Filmreihe in DER FROSCH MIT DER MASKE eine eigene Wirklichkeit entworfen, in der Gewalt und Gefahr vorherrschen. Das gesellschaftliche Todestabu wird andeutend in die Erzählung aufgenommen: Die durch Gewalt bedingten Tode der Filmfiguren haben weitestgehend keinerlei Bezug zu der Realität des Sterbens und des Todes in der zeitgenössischen Gesellschaft (vgl. Völlmicke 2014: 121). Der Tod und die Betrachtung des Leichnams werden somit zu einem Spektakel und einer aufregenden Grenzerfahrung für Rezipienten.

Der Topos der ‚schönen Leiche‘

Im Verlauf der Filmreihe werden Edgar Wallace-Leichen nicht allein zu stummen Objekten, sie entwickeln sich zu ambivalenten und ästhetischen Gegenständen und gewinnen zunehmend an Nützlichkeit. Das gegenständliche ‚Andere‘, welches anfänglich mit zögerlichen Todesdarstellungen Eingang in die filmische Kriminalerzählung findet, wird Mitte der 1960er-Jahre zunehmend bedrohlicher. Großaufnahmen von Leichen, harte Schnittwechsel und aufdringliche Klangkulissen untermauern die Darstellung des toten Körpers und die Bedrohung des gesellschaftlichen Zusammenlebens (vgl. Seeßlen 1981: 216). Der Tod in Form des leblosen menschlichen Körpers wird sensationalisiert, während die Wirklichkeit des Todes auf Seiten des Zuschauers eine geräumigere Entfremdung erfährt.

Ähnlich wie in heutigen kriminalistischen Erzählungen, lässt sich diesbezüglich bereits Mitte der 1960er-Jahre eine eindeutige „Desozialisierung des Todes“ (Völlmicke 2014: 118) in der Edgar Wallace-Filmreihe erkennen. Deutlich wird dies beispielsweise in DER BUCKLIGE VON SOHO. Auffällig sind hier die Darstellungen der weiblichen Leichen, welche nach Elisbeth Bronfens Theorie der ‚schönen Leiche‘ wiederkehrend den gesellschaftlich tabuisierten Bereich des Todes aufnehmen und ihn gleichermaßen zu überwinden versuchen. Die Darstellung des toten ästhetisierten Körpers funktioniert hier unter anderem über den Einbezug rechtsmedizinischer Untersuchungen. Der Ort der klinischen Obduktion in DER BUCKLIGE VON SOHO ist demnach als ein Ort der Grenzüberschreitung und des Ordnungsbruchs zu lesen: Gleich zu Beginn des Films wird dem Rezipienten ein nackter lebloser Körper präsentiert, welcher mit dem Gesicht nach unten in einem länglichen Waschbecken liegt (Abb. 7); der weibliche Leichnam bleibt anonym, während der bloße Körper für Zuschauer in voller Gänze ausgestellt wird. Die eingeschüchterte Reaktion des Scotland Yard-Chefs Sir John nach Betreten des Raumes zeigt die gesellschaftliche Scham hinsichtlich der Todesthematik und des Anblicks einer Leiche: Mit seinem Hut verdeckt der Inspektor das Blickfeld, um dem Anblick der Leiche zu entgehen (vgl. 00:04:03–00:04:10).

Eine weitere zur Obduktion freigegebene weibliche Leiche starrt in ein offenes Blickfeld (Abb. 8). Mit ihrem makellosen Gesicht und Haar repräsentiert diese Leiche in DER BUCKLIGE VON SOHO das, „was in der westlichen Kultur als das Schöne schlechthin gilt: Harmonie, Reinheit, Unversehrtheit, Makellosigkeit, Ganzheit, Intaktheit.“ (Shelton 2008: 302) Die in DER BUCKLIGE VON SOHO dargestellten Leichen weisen demnach kaum Indizien des Todes (Blut, Verwesung) auf, vielmehr scheinen „die Verfahren der mise en scène, wie Bildausschnitt, Komposition und Farbigkeit, Position und Haltung der Leiche usf. die Schrecken des Todes abzumildern“ (ebd.: 301, Herv. i. Orig.).

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Der anonyme und stumme Leichnam wird hier nachweislich nicht allein zum Objekt der Erzählung, sondern fungiert im Topos der ‚schönen Leiche‘ zeitgleich als Instrument der Entrealisierung des Todes. Gleiches gilt für eine in einem Bootshaus aufgebahrte weibliche Leiche, die im Verlauf der Erzählung von Wanda Merville entdeckt wird: Mit starrem Blick in das Ungewisse und langen dunklen Wimpern verkörpert der Leichnam ein ästhetisiertes Bild des Todes (Abb. 9). Entgegen der anfänglichen Bescheidenheit der Filmreihe, werden hier Leichen in explizit langer Verweildauer und hellem Licht präsentiert. DER BUCKLIGE VON SOHO stellt somit ein Todesbild fernab des gesellschaftlichen Tabus dar.

Die Darstellungen der ‚schönen‘ weiblichen Leichen rücken den Tod näher heran und überwinden seinen Schrecken in der Gesellschaft (vgl. Shelton 2008: 302). Für einen kurzen Moment scheint die Furcht vor der Realität des Todes überwunden und die voyeuristische Neugier am physisch toten Körper entfesselt.

Der grenzüberschreitende Tod

Nur ein Jahr später wird in DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE der voyeuristische Blick auf den Leichnam zugespitzt. In einer dunklen Gefängniszelle wird der Insasse Frank Keeney von Inspektor Higgins tot aufgefunden (Abb. 10). Die Abbildung des Erhängten stellt eine eindeutige Störung der gesellschaftlichen Ordnung dar: Der dargestellte Leichnam repräsentiert „eine Abweichung von der Norm, eine Störung der Ordnung, eine Übertretung der Grenze“ (Linder 2013: 612). Der Tod wird hier zu einem Ereignis. In seiner Tiefenstruktur repräsentiert die Sprache des dargestellten toten Körpers (vgl. Vogt 2005: 31) an einem abgetrennten Ort der Gesellschaft (Gefängniszelle) einen Verstoß, das Verbotene: Ein Suizid übertritt jegliche Grenzen der gesellschaftlichen Norm.

Nur wenige Minuten später im Film wird auch Keyston erhängt unter dem Schwimmbad des Internats aufgefunden (Abb. 11). Anders als bei Keeney handelt es sich hierbei um einen brutalen Mord. Durch ein Fenster im Schwimmbecken wird der erhängte Leichnam von mehreren Personen betrachtet. Das Bestaunen des leblosen erhängten Körpers vertritt hier das „Beschäftigen mit dem Unerlaubten“ (Hickethier 2005: 11): Das Zeichen eines gewaltsamen und schrecklichen Todes erzeugt Aufmerksamkeit und „setzt uns in Erregung und erzeugt Spannung, weil er eine Gefährdung und damit letztlich etwas Unerhörtes darstellt“ (ebd.).

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Weitere Tode in Der Mönch mit der Peitsche exemplifizieren die Schaulust am Verbrechen und am Rätsel der kriminalistischen Erzählung. Der Protagonist Mark Denver wird im Schwimmbad vom roten ‚Mönch‘ ermordet und fällt von einem Sprungbrett in das Wasser (Abb. 12). Wenig später wird Denver noch am Rande des Tatorts (Schwimmbad) rechtsmedizinisch betrachtet (Abb. 13), während Ermittler Tatortspuren sammeln und mögliche Zeugen befragen. In der starren Position wird die Wasserleiche zu einem distanzlosen und der kriminalistischen Erzählung hilflos ausgesetztem Objekt der Neugier und des Spotts. Verstorbene werden so auf ihre Opferrolle reduziert und sind folglich nicht länger „Teil des lebendigen, sozialen Austauschs […] und [werden] als Gegenstand den Lebenden zum widerspenstigen Objekt.“ (Wende 2014: 159) Deutlich wird dies mitunter an einem Dialog unter Betrachtung des Leichnams: „Hat dieser Mensch endlich auch sein Ende gefunden?“ – „Wie reden Sie über einen Verblichenen?“ – „Wie soll ich darüber reden? Ich kann da nicht viel Mitgefühl empfinden.“ (01:02.25)

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Verschiebung des Todes

Im Laufe der Produktionen der Edgar Wallace-Filmreihe wird die bestehende Kausalkette der Kriminalerzählung „Täter – Motiv – Opfer“ (Seeßlen 1997: 28, zit. nach Völlmicke 2014: 89) verkompliziert. Mit den drastischen Darstellungen der verschiedenen Tode verliert die mit einem Tabu belegte Todesthematik ihr Unbehagen. Der Zuschauer der Filmreihe wird zum aktiven Teilnehmer der Erzählung: „[M]it dem psychologisch motivierten Fragespiel um Tatverläufe und -Motive, Gewaltakte und Action, Todesdarstellungen […]“ (Buhl 2020: 468) werden der Tod, das Sterben und der Leichnam zunehmend sichtbar. Die anwachsende Anzahl der abgebildeten Todesopfer und Morde stiftet eine nicht länger durchschaubare Reihe von Ursachen und Wirkungen – es existiert nicht länger nur ein Täter, ein Motiv und ein Opfer, sondern eine Vielzahl an komplexen Ordnungszusammenhängen, die mit der „ausgeweitete[n] Darstellung des Todes“ einen fiktiven Ort eröffnet, an dem „die Wahrnehmung des Sterbens und der (faktische) Umgang mit dem Tod verschoben [wird]“ (Shelton 2008: 295). Der Schwerpunkt der Veranschaulichung von Leichnam und Tod liegt demnach „auf dem kriminalistischen Gespür – der ‚analysis‘“ (Mikos 2002: 5) und erhebt den objektifizierten Tod zu einem anführenden Topos der Kriminalermittlung.

Der Tod und seine Sensation

Auch in DIE TOTE AUS DER THEMSE (BRD 1971) wird die mehrdeutige Entmenschlichung des fiktiven Leichnams evident. Die Vielzahl der groben Morde im Film wird durch einen zunehmenden Einbezug der Ermittlungsarbeit in den Mittelpunkt der kriminalistischen Erzählung gerückt. Gleich zu Beginn der Handlung wird die Protagonistin Myrna Fergusson angeschossen und mit einer blutigen Einschusswunde auf dem Bett ihres Hotelzimmers aufgefunden (Abb. 14). Der Leichnam der Frau wird mehrfach von dem Fotografen und Gast desselbigen Hotels David Armstrong abfotografiert (vgl. 00:07:35). Weitere Hotelgäste sehen hierbei schaulustig zu. Sowohl die Fotografien als auch die indiskreten Reaktionen der Hotelgäste sprechen hier für eine sensationelle Darstellung des Todes, wie sie Völlmicke für den Fernseh-Tatort beschrieben hat: „Die Kamera rückt dabei, räumlich gesehen, näher an den Toten heran, als dies unter natürlichen realen Umständen für einen Unbeteiligten möglich wäre.“ (Völlmicke 2014: 114) Als Inspektor Craig am Tatort eintrifft, ist die Leiche verschwunden. Indizien für die weitere Ermittlung geben lediglich die Blutlache auf dem Bett sowie Blutspuren auf dem Fensterbrett (vgl. 00:09:45). Der fehlende Leichnam dient hier der Einführung in die kriminalistische Ermittlung: Ohne den Körper der Myrna Fergusson kann es keine Lösung des Rätsels geben.

Im Verlauf der Ermittlung gewinnen sowohl die Ermittlungsarbeit als auch die medizinische Betrachtung des Falls an Bedeutung. So zeigen unter anderem die Fotografien der Leiche eindeutige Beweise für den Tathergang. Die von David Armstrong in roter Farbe umrandeten Körperteile und Beweisgegenstände auf den Fotografien (Abb. 15) korrespondieren mit der gesellschaftlichen voyeuristischen Neugier. Hierbei wird das Betrachten des Leichnams durch die Fotografien aus sicherer Distanz konsumierbar.

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Unterdessen werden auch die zahlreichen weiteren Morde im Film zu essenziellen Symboliken einer „radikale[n] Versachlichung des Lebens und des Todes“ (Völlmicke 2014: 118): Nachdem der Leichnam des Fotografen David Armstrong aufgefunden wird, wird dieser von mehreren Personen in weißen Kitteln, umhüllt mit einer weißen Decke, aus dem Raum getragen. Bereits hier zeigt sich eine in einen naturwissenschaftlichen Kontext gerückte Darstellung des Todes, wie wir sie aus heutigen Kriminalfilmen kennen (vgl. ebd.: 115). Weitere Szenen in DIE TOTE AUS DER THEMSE präsentieren eine zunehmende Verwissenschaftlichung der Thematik: Auch das für Scotland Yard zuständige Labor, die Obduktion von Leichen (vgl. 01:14:22) sowie die Verwendung von medizinischen Fachbegriffen (vgl. u. a. 00:12:22) finden Eingang in den Plot.

Ein weiteres auffälliges Merkmal der dargestellten Leichen in DIE TOTE AUS DER THEMSE ist das Abbild von in weiß gekleideten Personen (vgl. 01:05:43; 01:09.04; 01:22:02). Die gewaltvollen Morde hinterlassen unübersehbare Blutspuren auf der hellen Kleidung des Leichnams (Abb. 16 und 17). Eine solche ausgeweitete Darstellung der erschreckenden Indizien des Todes stehen in Feindschaft mit der kulturell positiv besetzten Bedeutung der Farbe weiß: Das ‚unschuldige‘ und vollkommene Leben wird durch die rote Farbe des Bluts auf dem Körper des Leichnams zu einem dramatischen Beweis des gewaltsamen und schrecklichen Todes. Ferner verweist die gehäufte Darstellung von Blut im Film „auf die materiellen Bedingungen des menschlichen Lebens selbst“ (Wende 2014: 305) – mit dem Blutverlust schwindet das körperliche Leben und das Subjekt, das der Mensch einmal war.

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Die Drastik derartiger Leichendarstellungen gewinnt mit dem Fund der Leiche aus der Themse an Bedeutung. Während der Körper der weiblichen Leiche verdeckt wird und lediglich ein Ansatz des Kopfes sowie das nasse Haar der Frau zu sehen ist (vgl. 01:13:13), erzeugt der Kommentar eines Polizisten Schrecken und Ekel: „Das Gesicht ist völlig entstellt. Sie muss in eine Schiffsschraube gekommen sein.“ (01:13:24) Hier wird der Horror des Todes nicht zwangsläufig mithilfe der visuellen Abfilmung des Leichnams konstatiert, vielmehr existiert dieser „in der Imagination des Zuschauers, der Film selbst deutet nur an und suggeriert“ (Vossen 2004: 11).

Todesbilder zum Ende der Edgar Wallace-Filmreihe

Nur ein Jahr nach DIE TOTE AUS DER THEMSE lässt sich die zunehmende Verbildlichung des Leichnams erneut in DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL (I/BRD 1972) und DAS RÄTSEL DES SILBERNEN HALBMONDS (I/BRD 1972) erkennen. Die beiden italienisch-deutschen Produktionen im Stil des ‚Giallo‘2 heben nochmals den Blick auf den gesellschaftlich tabuisierten Bereich des Todes an, indem sie dezidiert detaillierte und mitunter sexualisierte Bilder der Mordopfer produzieren. Hierbei nimmt auch die Drastik der Abfilmungen erneut zu – vor Blut, sichtlicher Gewalteinwirkung und Nacktheit wird nicht gescheut (Abb. 18 und 19). Mit dem Ende der Edgar Wallace-Filmreihe werden so erneut die in den Filmen dargelegten Todesbilder „in Beziehung zu den lebensweltlichen Horizonten der Rezipienten“ (Völlmicke 2014: 122) gestellt. Die dargelegte Bildhaftigkeit der Leichendarstellungen sowie die schwindende Vorsicht im Kontext der Gewaltdarstellungen deuten auf einen wesentlichen Wandel der Topoi Tod und toter Körper.

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Fazit

Die Untersuchung der vorliegenden Filme der Edgar Wallace-Reihe zeugt von einer deutlichen Entwicklung im Kontext des filmischen Diskurses um Todes- und Leichendarstellungen. Während diese zu Beginn der Filmreihe eher vorsichtig eingeführt wurden, zeigt die rasche Entwicklung ab Mitte der 1960er-Jahre eine eindeutige Zunahme und Drastik. In Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Tabuisierung der Todesthematik wird unverkennbar, dass die Filme sich als Orte der zulässigen Grenzüberschreitung verstehen. Der Anblick des fiktiven Leichnams präsentiert in den Anfängen der Filmreihe (u. a. DER FROSCH MIT DER MASKE) eine unwirkliche Konstruktion von Tod und Sterben und schafft somit keinerlei Bezug zu einer realen Todesthematik. Mithilfe des Spektakels und der filmischen Grenzerfahrung werden Zuschauer zwar an den Tod und somit auch das Todestabu herangeführt, ein Bezug zu der eigenen Lebenswelt bleibt jedoch aufgrund der raschen Objektivierung des Leichnams im Film aus. Der physisch tote Körper stellt keine Gefahr dar, da er als stummes Objekt nicht länger dazu fähig ist, an der Realität des Lebens teilzunehmen. Im Verlauf der Filmreihe werden hierdurch Schaulust und Neugier bedient, wie sich anhand einer zunehmenden Drastik der Darstellungen erkennen lässt.

Die Verschiebung des filmischen Umgangs mit dem Tod und der Abbildung von Leichen zeigt, dass die für gewöhnlich mit einem Tabu belegte Todesthematik im Verlauf der Filmreihe ihr Unbehagen verliert: Der fiktive Tod wird zu einem Ereignis und einem Ort, der den indiskreten Blick auf den Leichnam zulässt. Mit der Entwicklung der Filme wird auch die Darstellung zunehmend realer: Blutausscheidungen und Verletzungen werden zu Symboliken für das sichtbare Ende des Lebens. Insbesondere zum Ende der Filmreihe (z. B. DIE TOTE AUS DER THEMSE) wird jedoch deutlich, dass der Tod und die Bildhaftigkeit des Leichnams zu einem nebensächlichen Spektakel werden: So drastisch und schockierend die Veranschaulichungen sein mögen, sind sie doch nur ein Objekt im Rätsel um Täter und Motiv.

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1   Mit seiner Forschungsarbeit zu einer „Geschichte des Todes“ hat Philippe Ariès eine wesentliche Grundlage für die Geschichte der Einstellungen des Menschen zum Tod und zum Sterben geschaffen. In seinen Ergebnissen ist ein entscheidender Wandel im Umgang mit dem Tod seit Beginn des 19. Jahrhunderts zu erkennen: „So hat sich ein dumpfes Schweigen über den Tod gebreitet. Wenn es gebrochen wird, […], so lediglich, um den Tod auf die Bedeutungslosigkeit eines beliebigen Ereignisses zu reduzieren, von dem man gleichgültig und unbeteiligt zu sprechen vorgibt. Das Resultat ist in beiden Fällen das gleiche: weder das Individuum noch die Gemeinschaft sind stark und stabil genug, den Tod anzuerkennen.“ (Ariès 2019: 788).

2   Der Giallo-Film lässt sich inhaltlich auf die stilistischen Vorlagen italienischer Trivialromane zurückführen. Oftmals wird er als „italienische Schundvariante des Thrillers angesehen.“ Inhaltliche lässt sich der Giallo-Film auf stereotype Muster einschränken: „Ein meist maskierter, behandschuhter Mörder tötet in oftmals surrealer Weise schöne Frauen. Die Morde sind dabei häufig sexuell motiviert“ (zit. aus dem Lexikon der Filmbegriffe der Uni Kiel, zu Hüningen 2012).


Filme

DER FROSCH MIT DER MASKE (FRØEN MED MASKEN, BRD/DK 1959, Harald Reinl).
DER BUCKLIGE VON SOHO (BRD 1966, Alfred Vohrer).
DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE (BRD 1967, Alfred Vohrer).
DIE TOTE AUS DER THEMSE (BRD 1971, Harald Philipp).
DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL (COSA AVETE FATTO A SOLANGE?, I/BRD 1972, Massimo Dallamano).
DAS RÄTSEL DES SILBERNEN HALBMONDS (SETTE ORCHIDEE MACCHIATE DI ROSSO, I/BRD 1972, Umberto Lenzi).

Forschungsliteratur

Ariès, Philippe (2019): Geschichte des Todes. Koblenz [Nachdr.; 1980].

Buhl, Hendrik (2020): „Der Kriminalfilm: Polizei/Detektiv“. In: Marcus Stiglegger (Hg.): Handbuch Filmgenre. Geschichte – Ästhetik – Theorie. Wiesbaden, S. 467–484.

Gräf, Dennis (2012): „Leichen als Zeichen. Zur Semiotik des Tötens anhand von Edgar Wallace-Verfilmungen der 60er Jahre“. In: Agnes Bidmon u. Claudia Emmert, (Hg.): Töten. Ein Diskurs. Heidelberg u. Berlin, S. 308–322.

Hickethier, Knut (2005): Filmgenres. Kriminalfilm. Stuttgart.

Hoffmann, Matthias (2011): „Sterben? Am liebsten plötzlich und unerwartet.“ Die Angst vor dem „sozialen Sterben“. Wiesbaden.

Hüningen, James (2012): „Giallo“. In: Lexikon der Filmbegriffe. https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=6725 (13.03.2021).

Linder, Joachim (2013): Wissen über Kriminalität. Zur Medien- und Diskursgeschichte von Verbrechen und Strafjustiz vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Hg. von Claus-Michael Ort. Würzburg.

Mikos, Lothar (2002): „Dem Verbrechen auf der Spur. Ästhetik der Gewaltdarstellung im Krimi“. In: tv diskurs 20. Baden-Baden, S. 18–23.

Seeßlen, Georg (1981): „Die deutschen Edgar Wallace-Filme“. In: Ders.: Mord im Kino. Geschichte und Mythologie des Detektiv-Films. Reinbek bei Hamburg, S. 209–217.

Shelton, Catherine (2008): Unheimliche Inskriptionen. Eine Studie zu Körperbildern im postklassischen Horrorfilm. Bielefeld.

Völlmicke, Stephan (2014): „40 Jahre Leichenshow-Leichenschau. Die Inszenierung des Todes im Tatort und der soziale Umgang mit Sterben und Tod“. In: Christian Hißnauer, Stefan Scherer u. Claudia Stockinger (Hg.): Zwischen Serie und Werk. Bielefeld, S. 109–128.

Vogt, Jochen (2005): MedienMorde. Krimis intermedial. München.

Vossen, Ursula (2004): Filmgenres. Horrorfilm. Stuttgart.

Wende, Johannes (2014): Der Tod im Spielfilm. Eine exemplarische Analyse. München.