Maskierte Mörder*innen. Zum Spiel mit Identität, Täterschaft und Schuld

Friederike Haul

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Überblick

Selbst wer die deutschen Edgar Wallace-Filme nicht kennt, merkt bei der Lektüre ihrer Titel rasch: Hier hat man es mit ungewöhnlichen Täterfiguren zu tun. Die Bösewichte kommen in skurriler Maskerade daher und verraten damit einiges über die Wallace-Filme als Reihe und als zeitgeschichtliches Dokument. Die Maskierungen machen das Spiel mit Identität und Schuld zu einem der zentralen Motive der Filme. Bei einem beträchtlichen Anteil der Wallace-Filme ist die maskierte Täterfigur auch titelgebend: DER FROSCH MIT DER MASKE (BRD/DK 1959), DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE (BRD 1967) und DER GORILLA VON SOHO (BRD 1968) seien hier als Beispiele genannt. In anderen Filmen, etwa in DAS GASTHAUS AN DER THEMSE (BRD 1962), ist das zwar nicht der Fall, doch auch in diesen gibt es einen vergleichbaren Mörder, etwa den ‚Hai‘. Der Täter als Schreckensfigur ist den übrigen Charakteren der Filme, insbesondere den Ermittlern von Scotland Yard, meist schon bekannt, wenn die Handlung einsetzt. Die gesellschaftliche Ordnung ist bereits gestört, ein Täter und/oder seine Bande treiben schon längst ihr Unwesen in London. Es wird eine Art Persona konstruiert, deren Benennung allein für Angst und Schrecken sorgt. Die Zuschauer wissen ungefähr, was sie erwartet. Ein Wallace-Film ohne skurrile Täterfigur ist kaum denkbar, obwohl die jeweilige Handlung im Grunde auch ohne Froschmasken, rote Mönchskutten oder Gorillakostüme stattfinden könnte. Es wird sich jedoch zeigen, dass die Maskierungen der Täter auch über den Wiedererkennungswert hinaus, den sie den Filmen geben, von großer Bedeutung sind.

Ebenen der Maskierung

Die Edgar Wallace-Filme maskieren ihre Täter auf mehreren Ebenen. Zahlreiche Figuren sind tatsächlich maskiert: entweder einfach mithilfe einer Strumpfmaske wie der Mörder in DAS GEHEIMNIS DER GELBEN NARZISSEN (BRD/GBR 1961), oder sie sind am ganzen Körper kostümiert. In beiden Fällen wird die Identität der jeweiligen Figur hinter einer materiellen Barriere verborgen. Andere Figuren verstecken sich hinter einer körperlichen Behinderung, durch die sie gesellschaftlich praktisch unsichtbar oder zumindest zu Randgruppen werden, zum Beispiel in DIE TOTEN AUGEN VON LONDON (BRD 1961) (→ Semantisierung von Behinderung in DIE TOTEN AUGEN VON LONDON). An dieser Stelle sollen jedoch erstere in den Blick genommen werden. Als besonders auffällige und motivisch interessante Figuren wird sich im Folgenden vornehmlich mit dem ‚Frosch‘, dem ‚Hai‘ und dem ‚Mönch‘ beschäftigt (Abb. 1–3).

Die Maskierungen im Speziellen

Der ‚Frosch‘ ist Leiter einer Organisation von, wie es heißt, fast 300 Mitgliedern (vgl. DER FROSCH MIT DER MASKE: 00:08:54). Er trägt eine Art schwarze Kutte, die auch seinen Kopf bedeckt. Das Gesicht ist unter einem helleren Stoff verborgen und mit zwei auffälligen, froschartigen Glaskugeln versehen, die als Augen fungieren. Mund und Nase des ‚Froschs‘ sind vollständig bedeckt. Um seine Schultern liegen schwarze Schläuche, die offenbar der Luftzufuhr dienen. Unter dem schwarzen Kostüm trägt er lange Gummihandschuhe oder einen Gummianzug. Es ist folglich nichts von dem Menschen zu sehen, der sich unter der Maskierung verbirgt. Die Bandenmitglieder, die hierarchisch eindeutig unter dem ‚Frosch‘ stehen, tragen keine Maskierung: Im Gegenteil, sie begehen ihre Raubzüge ohne Masken und tragen als Symbol ihrer Mitgliedschaft sogar ein Frosch-Tattoo auf dem Unterarm. Was zunächst eine sichere Zuordnung von Figuren zur Froschbande zu ermöglichen scheint, wird jedoch innerhalb des Films wieder unterlaufen. Die Sängerin Lolita, die zur Organisation des ‚Froschs‘ gehört, trägt kein Tattoo. Auch wird darauf verwiesen, dass man ein Tattoo auch wieder entfernen lassen könne (vgl. 00:31:25). Die Tätowierung wird somit eher „Mittel zur Verschleierung von Identität“ als „rollenklärendes Kennzeichen“ (Herrmann u. Weiß 2019: 25). Wie sich herausstellt, ist auch Scotland Yard bereits infiltriert: Sergeant Balder alias ‚Nummer 7‘ ist Mitglied der Organisation, wird jedoch von Inspektor Elk enttarnt (vgl. 00:58:33). Auch der ‚Frosch‘ ist eine komplexere Figur als anfangs ersichtlich, denn er arbeitet mit einer Doppelmaskierung. Unter der Maske zeigt sich angeblich der bürgerliche Philo Johnson, der sich später jedoch als der bekannte Verbrecher Harry Lime entpuppt. Die Doppelmaskierung drückt sich demnach einerseits in der Froschmaske, andererseits „indirekt durch das Vortäuschen einer falschen sozialen Identität“ (Herrmann u. Weiß: 25) aus. Die Rolle als ‚Frosch‘ erschwert die Aufdeckung der zweiten, weniger offensichtlichen Maskierung.

© ffm
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Schon wird deutlich: Die sichere Zuordnung von Schuldigen und Unschuldigen im FROSCH MIT DER MASKE wird durch das wiederholte Auflösen von Figurenidentitäten fast unmöglich. Durch die Maskierungen auf verschiedenen Ebenen wird dies zum zentralen Problem. Daraus resultieren eine gesellschaftliche Verunsicherung und das stete Gefühl von Bedrohung. Dadurch, dass die Täter sich maskieren, können sie ihre Opfer bzw. Verfolger aus dem Verborgenen heraus observieren. Das kann bedeuten, dass sie tatsächlich eine andere Figur durch ein geheimes Guckloch beobachten oder dass sie auf symbolischer Ebene sehen, ohne (in ihrer wahren Identität) gesehen zu werden. In diesem Sinne verbindet sich das Motiv der Maskierung mit dem des Beobachtens und Beobachtet-Werdens, das ebenso zentral ist. Die Täterfiguren bewegen sich im Verborgenen, sei dies ein Geheimgang, ein Etablissement in der Nähe der Themse, ein Kellergewölbe oder die Kanalisation – oder eben unter einer Maskierung, sobald sie sich der sichtbaren, bürgerlichen Gesellschaft nähern, deren Sicherheit sie somit unterwandern. Mit dem ‚Frosch‘ wird zudem der in der Filmreihe stets präsente Mechanismus des Unter- und Auftauchens eingeführt (→ Der Wallace-Baukasten).

Auch der ‚Hai‘ macht von dieser Methode Gebrauch: Er trägt einen schwarzen Taucheranzug, tötet seine Opfer mit einer Harpune und verschwindet nach seinen Taten mit einem Sprung in die Themse oder durch einen Gully in die Kanalisation. Seinen Namen verdankt er wohl der Tatsache, dass er meist aus dem Wasser heraus agiert, sowie seinem Ruf als mörderischem Verbrecher – über eine Haiflosse verfügt sein Anzug jedenfalls nicht. Auffällig ist, dass auch hier das Narrativ von „irren Mördern, die eigentlich Tiere sind“ (Seeßlen 1981: 210) gewählt wird. Das Böse wird durch die Maskierung als tierische Figur entmenschlicht und so als Nicht-Teil der bürgerlichen Gesellschaft markiert. Unter der Maskierung des ‚Hais‘ versteckt sich schließlich der Polizeipathologe, dessen Rat Inspektor Wade regelmäßig einholt.

DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE (BRD 1967) ist der fünfte Farbfilm in der Wallace-Reihe. Er greift die Mönchskutte als Maskierung auf, die bereits im Schwarzweißfilm DER UNHEIMLICHE MÖNCH (BRD 1965) zum Einsatz kam. Der Mönch in der Neuverfilmung ist einer der wenigen Bösewichte, unter dessen Maskierung sich eine Frau verbirgt. Der Mönch tritt in einer grellroten Kutte mit dazugehöriger Kopfbedeckung auf, die bis über die Schultern fällt und nur Schlitze für die Augen enthält. ‚Er‘ ermordet ‚seine‘ Opfer, indem ‚er‘ ihnen mit einem an einer Peitsche befestigten Seil das Genick bricht. Auch hier findet eine Art der Doppelmaskierung statt, denn die Figuren im Film hinterfragen zu keinem Zeitpunkt, dass sich unter der Mönchskutte ein Mann verbergen muss. Dies wird auch sprachlich festgelegt, indem stets nur von ‚dem Mönch‘ die Rede ist. Den miträtselnden Zuschauern wird somit erschwert, selbst auf die richtige Fährte zu kommen. Ähnlich wie die Täter im FROSCH MIT DER MASKE und im GASTHAUS AN DER THEMSE vom Rest der Gesellschaft abgehoben werden, indem sie als Tiere verkleidet auftreten, wird auch Harriet Foster von ihrer Schuld in Distanz gebracht. Es stellt sich heraus, dass sie „wahnsinnig“ ist (DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE: 01:18:38) und nur die Befehle eines mysteriösen, skrupellosen Auftraggebers ausgeführt hat. Im Übrigen ist auch dieser maskiert, er trägt einen falschen Bart und eine Perücke. An seiner statt setzt er eine Puppe an einen Schreibtisch. Auch weitere Figuren morden auf seinen Befehl hin, diese sind jedoch weder titelgebend für den Film noch sind sie tatsächlich maskiert. Im Verborgenen können sie trotzdem agieren, denn als Gefängnisinsassen scheint es den Ermittlern zunächst unmöglich, dass sie hinter den Taten stecken könnten.

Im Hinblick auf den Status der Edgar Wallace-Filme muss man hinterfragen, welche gesellschaftlichen Bedeutungen solche Narrative von blind Befehle befolgenden Tätern in sich tragen. Laut Grob ist das meiste über die bundesdeutschen „Emotionen, Gedanken Phantasien der Zeit“ über die Täterfiguren (Grob 2004: 214) zu erfahren.

Wer ist hier maskiert? Zeitgeschichtliche Bezüge der Täterfiguren

Die Edgar Wallace-Filme stehen historisch in starkem Kontrast zu den populären Heimatfilmen der ausgehenden 1950er-Jahre (z. B. DAS SCHWARZWALDMÄDEL [BRD 1950]). Deren „militante Beschwörung von Idyllen“ wird durch die Wallace-Reihe und ihre „militante Beschwörung von mörderischem Irrsinn, in dem der gesellschaftliche ‚Unterbau‘ ganz offensichtlich Amok zu laufen bereit war“, abgelöst (Seeßlen 1981: 211). Diese allgegenwärtige Bedrohung schlägt sich in der Gestaltung der maskierten Täterfiguren nieder.

Auf den ersten Blick scheinen die gesellschaftlichen Grenzen in den Filmen klar gesetzt: Auf der hellen, oberen Seite haben wir das Bürgertum, in vielen Fällen den Adel, gern auch eine junge Frau, die unwissentliche Erbin eines großen Vermögens ist. Darunter, unter der Erde, in geheimen Gängen oder im Dunkel der Nacht, ist die kriminelle Sphäre lokalisiert. Dort finden wir Bordelle, Drogenhandel und die Quartiere der verbrecherischen Banden (→ Der Wallace-Baukasten, → Oberflächen der Unterwelt). Zunächst scheint klar, welchen Figuren zu vertrauen, welchen zu misstrauen ist. Im Laufe des Films treten dann meist Verunsicherungen dieser Zuordnung auf: Ein Mitglied von Scotland Yard wird als Teil der Froschbande enttarnt und ein Internatslehrer nach dem anderen entpuppt sich als übergriffiger Charakter (vgl. DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE: 00:22:01; 00:27:48). Doch am stärksten wird die Einordnung in ‚gute‘ und ‚böse‘, unschuldige und schuldige Figuren durch die Maskierungen der Täter verunsichert: „Die Maskeraden der Täter lassen jeden zum Verdächtigen, zum potentiellen Mörder werden. Die Freundlichkeit ist nur Maske, dahinter lauern Abgründe.“ (Thiele 1992: 44). In deutschen Filmen, die 14 bis 27 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstehen, heißt das auch: In diesem Land, in dieser Gesellschaft ist niemandem zu trauen, jeder könnte Täter sein und somit Schuld tragen an den Verbrechen des Krieges. Angesichts der vorangegangenen Heimatfilme und ihrer idyllischen Darstellung des Deutschen bietet dieses Narrativ zumindest im Ansatz eine Aufarbeitung von Schuld und eine Reflektion. Dies wird jedoch durch die Verschiebung abgeschwächt, dass die Wallace-Filme gar nicht in Deutschland spielen, sondern in Großbritannien (→ Die Inszenierung des Britischen in den deutschen Edgar Wallace-Filmen) – so ‚deutsch‘ sie in ihrer Ausführung dann auch wirken.

Auffällig ist auch, wer sich letztlich unter den Masken verbirgt und wie mit der Schuld der jeweiligen Figur umgegangen wird. Es ist bereits erwähnt worden, dass Harriet Foster, der ‚Mönch‘, als wahnsinnig erklärt wird – was ihr ihre Zurechnungsfähigkeit und automatisch auch einen Anteil der Schuld abspricht. Auch in DER FROSCH MIT DER MASKE stellt sich der Täter nicht etwa als vermeintlich heldenhafter Protagonist heraus. Harry Lime ist schließlich bereits ein berüchtigter Verbrecher und stört somit keineswegs die Erzählung von unschuldigen, ‚normalen‘ bürgerlichen Leuten. Vielmehr unterstützt seine Figur die Vorstellung, ein*e Verbrecher*in bleibe zeitlebens gefährlich und ‚böse‘ und gehöre eigentlich zeitlebens ins Gefängnis oder besser gleich unter das Beil des Henkers. Eine solche Person könne sich gar nicht normal eingliedern – für diese Idee spricht die Art, wie in den Filmen mit Tätern umgegangen wird. Wirklich entspannen kann sich die Situation oftmals erst, wenn er*sie selbst tot ist, so z. B. auch in DAS GEHEIMNIS DER GELBEN NARZISSEN. Die Täter müssen körperlich unschädlich gemacht werden, nicht einmal in Haft sind sie weit genug von der unschuldigen, zu schützenden Gesellschaft entfernt. Schließlich ist selbst das Gefängnis von Bandenmitgliedern infiltriert, was es den Insassen ermöglicht, trotzdem weitere Taten zu begehen – so geschieht es in DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE. Die Institution scheitert, selbst dort verbergen sich unter der Maske der Disziplinarmacht intrigante Figuren.

Die Demaskierung der Täterfigur ist zentraler Bestandteil und Höhepunkt aller Wallace-Filme. Es ist daher besonders auffällig, wie die Täter mit ihrer Demaskierung und Entblößung umgehen: In einigen Fällen nimmt sich der Täter im Moment der Enttarnung sogar selbst das Leben, um der öffentlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld sowie der drohenden Haft- oder Todesstrafe zu entgehen. Dazu gehören die Gräfin, die Drahtzieherin in DIE BANDE DES SCHRECKENS (BRD 1960) und der ‚Hai‘. Diese Suizide erfolgen in allen genannten Fällen mit Gift und nicht etwa mit der zuvor verwendeten Mordwaffe. Dies stellt eine Form der Flucht dar – und eine häufig vollzogene Handlung unter Kriegsverbrecher*innen nach dem Ende des Dritten Reichs. Die Liste führender Nationalsozialisten, die 1945 (oder später) Suizid begingen, ist lang: Zu ihnen gehören Herrmann Göring, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler. Sowohl sie als auch die Täter in den Wallace-Filmen nehmen sich das Leben, wenn sie ihre Niederlage erkennen und sich den entsprechenden Folgen stellen müssten.

Die Filme greifen einen weiteren Erzählgestus auf, wenn es um den Umgang mit Schuld geht. Es ist bereits erwähnt worden, dass die Täter oft als nicht zurechnungsfähig oder wahnsinnig bezeichnet werden. Es wurde zudem bereits erwähnt, dass es häufig eine*n Drahtzieher*in gibt, dessen*deren Befehle blind befolgt werden. Die Morde in DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE werden auf Geheiß eines anonymen Hintermannes verübt, der über eine Anlage mit seiner verzerrten – an den Volksempfänger aus der NS-Zeit erinnernden – Stimme seine Befehle erteilt. Dass die Morde dann ausgerechnet mit Gas verübt werden, darf in diesem Kontext auch nicht unerwähnt bleiben. Auch die Bande des ‚Froschs‘ vertraut ihrem Anführer blind und begeht während ihrer Raubzüge die meisten Morde oder Übergriffe – er übernimmt lieber in aller Ruhe das Ausräumen des Safes (vgl. 00:02:41). In anderen Fällen ist die Täterfigur – etwa der ‚Narzissenmörder‘ – völlig abhängig von ihrem Auftraggeber, in diesem Fall ist Rauschgiftsucht im Spiel. Die wahren Täter haben die schwachen, bedürftigen oder bereits straffälligen Figuren unter ihrer Befehlsmacht. Dies macht sie nicht weniger schuldig, nimmt ihnen aber dennoch die Verantwortung, die man den kaltblütig kalkulierenden, manipulativen Hintermännern zuschreibt.

Oft steht die Auflösung eines Falles zudem im Zusammenhang mit einem Erbe, das eine ahnungslose, schöne junge Frau erhalten soll. Dieses Handlungselement

mag auch das ‚Erbe‘ reflektieren, das in diesen sechziger Jahren angetreten werden sollte und das so voller geheimnisvoller Querverbindungen in dunkle Vergangenheit steckte, so voller Mord und Grauen, daß man leicht hätte darauf verzichten können, würde es in der sozialen Geografie einen Ausweg geben. Das Happy-End hieß uns das Erbe annehmen; es war durch den Tod der Bösewichter gereinigt. Dies fällt um so leichter, als der Erbe zumeist ein unschuldiges, mehr oder weniger verlassenes oder verwaistes Mädchen ist, das sich in die Obhut des Polizisten begibt. (Seeßlen 1981: 216)

Das Böse bewegt sich zwar innerhalb der Gesellschaft, jedoch im Verborgenen oder unter einer Maske. Mit dem Moment der Aufklärung der Taten und der Verhaftung oder Tötung des Täters löst sich die Schuld auf. Die übrigen Figuren können sich erleichtert wieder ihrem Alltag zuwenden, sie erben nur das nunmehr reingewaschene Geld, nicht die Schuld und die Traumata der ‚dunklen Vergangenheit‘. Was für eine Erleichterung für das damalige Publikum: Die Wallace-Filme arbeiten sich zwar oberflächlich an der deutschen Vergangenheit ab, erzählen sogar von Täterschaft und verdrängter Schuld, ohne jedoch den Zeigefinger so sehr zu heben, dass sich Zuschauer selbst als Täter oder Erb*innen derselben reflektieren müssten.

Insgesamt erscheinen die Wallace-Filme symptomatisch für ihre Zeit. Im Gegensatz zu den idyllischen Heimatfilmen kommen Themen wie das Erbe von Schuld und dunkler Vergangenheit mehr oder weniger offensichtlich zur Sprache. In ihrer Darstellung von allgegenwärtiger Gefahr und Gewalt markiert die Reihe einen Wendepunkt in der deutschen Filmgeschichte, den beginnenden 1960er-Jahren (vgl. Schneider 2012: 379). Es hat sich gezeigt, dass diese Verhandlungen deutscher Traumata und Schuld besonders auffällig in der Darstellung der maskierten Figuren und dem Spiel mit verborgenen Identitäten stattfinden. Diese sind folglich in ihrer Absurdität nicht nur oberflächliches Wiedererkennungsmerkmal und Charakteristikum der Wallace-Filme, nicht einmal bloß handlungstreibendes Element. In den Täterfiguren kumulieren die Motive der Maskierung und Demaskierung, welche die Filmreihe insgesamt durchziehen und über die historisch relevante Themen wie Täterschaft, Schuld und Identität verhandelt werden.


Filme

DAS GASTHAUS AN DER THEMSE (BRD 1962, Alfred Vohrer).

DAS GEHEIMNIS DER GELEBEN NARZISSEN (THE DEVIL'S DAFFODIL, BRD/GBR 1961, Ákos von Ráthonyi).

DAS SCHWARZWALDMÄDEL (BRD 1950, Hans Deppe).

DER FROSCH MIT DER MASKE (FRøEN MED MASKEN, BRD/DK 1959, Harald Reinl).

DER GORILLA VON SOHO (BRD 1968, Alfred Vohrer).

DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE (BRD 1967, Alfred Vohrer).

DER UNHEIMLICHE MÖNCH (BRD 1965, Harald Reinl).

DIE BANDE DES SCHRECKENS (BRD 1960, Harald Reinl).

DIE SELTSAME GRÄFIN (BRD 1961, Josef von Báky).

DIE TOTEN AUGEN VON LONDON (BRD 1961, Alfred Vohrer).

Forschungsliteratur

Grob, Norbert (2004): „Film der Sechziger Jahre: Abschied von den Eltern“. In: Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes u. Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films. 2. Aufl. Stuttgart, S. 207–244.

Herrmann, Annika u. Sina Weiß (2019): „Identitätsverschleierung und Vergangenheitsbewältigung: Der Frosch mit der Maske als Nachkriegsfilm“. In: Etappen der deutschen Filmgeschichte. Kultursemiotische Perspektiven (= Paradigma. Studienbeiträge zu Literatur und Film 2/2019), S. 24–30.

Seeßlen, Georg (1981): „Die deutschen Edgar Wallace-Filme“. In: Ders.: Mord im Kino. Geschichte und Mythologie des Detektiv-Films. Reinbek bei Hamburg, S. 209–217.

Schneider, Tassilo (2012): „4 September 1959: Der Frosch mit der Maske Moves Popular Cinema from Idyllic Pastures to Crime-Infested City Streets“. In: Jennifer M. Kapczynski u. Michael D. Richardson (Hg.): A New History of German Cinema. New York, S. 378–383.

Thiele, Jens (1992): „Deutsche Trivialität: Die seltsame Gräfin (1961)“. In: Werner Faulstich u. Helmut Korte (Hg.): Tradition und Neuorientierung. 1961–1967 (= Fischer Filmgeschichte 4). Frankfurt a. M., S. 40–54.