Identitätsverschleierung und Vergangenheitsbewältigung: DER FROSCH MIT DER MASKE als Nachkriegsfilm

Annika Herrmann, Sina Weiß

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Einleitung
Die dänisch-deutsche Produktion DER FROSCH MIT DER MASKE von Regisseur Harald Reinl stellte im Jahr 1959 den Auftakt der deutschen Edgar Wallace-Filmreihe dar. Der auf dem Roman The Fellowship of the Frog basierende Kriminalfilm war mit über 3 Millionen BesucherInnen ein „außergewöhnlicher Erfolg“ (Kramp 1998: 33).

Genretypisch verhandelt er Konfliktanordnungen in bestimmten sozialen Kontexten in Auseinandersetzung mit dem im Zentrum stehenden Verbrechen und dessen Aufklärung (vgl. Faulstich 2013: 37). Ausgangspunkt ist die massiv bedrohte soziale Ordnung der Diegese, die konfrontiert ist mit einer kriminellen Organisation, die die Gesellschaft infiltriert hat und Verbrechen verschiedenster Art bis hin zum Mord verübt. Die Unkenntnis der Identität der Bandenmitglieder und ihres Anführers lässt die sozialen Ordnungsinstanzen zunächst unterlegen erscheinen und versetzt die diegetische Welt in Angst und Schrecken. Letztlich werden dennoch die tradierten Werte und Normen re-etabliert, indem alle Probleme in allen Bereichen gelöst werden: Von der Paarfindung über die Familienproblematik bis zur bedrohten öffentlichen Ordnung kann allenthalben die temporär in eine scheinbar unlösbare Krise geratene gesellschaftliche Harmonie wiederhergestellt werden.

Identität als innerdiegetisches Problem
Aufgrund der Maskierung des Anführers als Frosch, dem als Piktogramm an Tatorten hinterlassenen indexikalischen Zeichen der Organisation und der froschförmigen Tätowierung, die angeblich alle Mitglieder am linken Handgelenk tragen, wird das Verbrecherkollektiv als ‚Frosch-Bande‘ bezeichnet. Die Allegorisierung des Begriffs ,Frosch‘ verdeutlicht in der Übertragung tierischer Merkmale auf menschliche Vertreter die Probleme der Ermittler und die tiefgreifende Bedrohung, die von jenen ausgeht: Wie die Amphibien sind auch menschliche ‚Frösche‘ schwer zu fangen, da sie sich an verschiedene lebensweltliche Milieus anpassen können, sodass sie selbst das Polizeisystem unterlaufen und der Anführer der Frosch-Bande sich hinter der Maske des unauffälligen Durchschnittsbürgers Philo Johnson zu verbergen vermag. Nicht zuletzt verweist der Lebensraum der Frösche – sowohl an Land als auch im oder unter Wasser – auf die Beziehung von Oberflächen- und Tiefenstruktur der diegetischen Gesellschaft, die in der Folge erläutert werden soll.

Indem der Film die Elemente ‚Stigmatisierung‘ bzw. ‚Kennzeichnung‘ und ‚Maskierung‘ relevant setzt, reflektiert er auf eine scheinbar konträre Weise die Figurenidentitäten. Die Tätowierungen als internes Erkennungszeichen bzw. von außen wahrgenommenes Stigma suggerieren eine durch die klar getrennten semantischen Teilräume ,Gut‘ und ,Böse‘ simpel strukturierte diegetische Ordnung. Diese scheinbare Eindeutigkeit wird jedoch sukzessive unterlaufen: Der verdeckt ermittelnde Inspektor Genter als Vertreter des ,Guten‘ trägt das Zeichen der Frösche, die zur Bande gehörende Sängerin Lolita dagegen nicht. Der mysteriöse Josua Broad weist, als der ihn verdächtigende Ermittler Richard Gordon sein Handgelenk untersucht, auf die Möglichkeit hin, Tätowierungen entfernen zu lassen. Der Film fängt die in der Diegese vorherrschende Unsicherheit über die Identität der Mitglieder der Frosch-Bande auf der discours-Ebene für die RezipientInnen ein, indem Kamerabewegung und Kadrierung häufig den Blick auf Lederhandschuhe, Armstulpen oder lange Ärmel lenken. Es kann also kaum von einer durch ein bestimmtes Stigma von außen leicht zu identifizierenden Gruppe der ,Bösen‘ die Rede sein; die Tätowierung dient im Gegenteil nur selten als rollenklärendes Kennzeichen, sondern in den relevant gesetzten Fällen stattdessen wiederum als Mittel zur Verschleierung von Identität.

Noch deutlicher wird dieses Verfahren im Phänomen der Maskierung, das – sei es durch eine tatsächliche Maske oder indirekt durch das Vortäuschen einer falschen sozialen Rolle – den gesamten Film durchzieht: Allen voran ist der Anführer der Frosch-Bande zu nennen, der gleich unter zwei Maskierungen verborgen arbeitet. Seine Enttarnung als Philo Johnson ist nur eine vorläufige, da eine weitere Demaskierung notwendig ist, um in diesem den polizeibekannten Verbrecher Harry Lime zu erkennen. Verschiedene andere Figuren werden in ihrer Identität problematisiert, um die ReziepientInnen auf falsche Fährten zu führen: So werden der Familienvater John Bennet und der als blinder Bettler maskierte Broad als verdächtig inszeniert und ihre wahre Identitäten erst gegen Ende der Handlung enthüllt. Ersterer ist als Londons Henker Teil der Staatsgewalt, Letzterer ist zwar der ehemalige Partner Limes, als den Gordon ihn verdächtigt hat, allerdings ist er letztlich derjenige, der Lime aus Rachemotiven tötet und dadurch die Kriminalbeamten und Ella Bennet rettet. Inspektor Genter arbeitet als verdeckter Ermittler im Milieu der Frösche und Sergeant Balder agiert als versteckter Frosch sogar im Herzen von Scotland Yard. Die Problematisierung der Identitäten durch Maskierung oder Vortäuschung einer sozialen Rolle betrifft also sämtliche Bereiche der Gesellschaft und steht damit zeichenhaft für eine in Gänze gestörte soziale Ordnung. Von der Familie, der Paarbeziehung bis hin zur staatlichen Ordnungsmacht und selbst zur Verbrecherorganisation: kaum eine Figur ist, was sie zu sein scheint, sodass Ellas Frage höchst gerechtfertigt erscheint: „Sag mal, was bist du jetzt wirklich?“ (DER FROSCH MIT DER MASKE: 01:25:57–01:26:00)1.

Während also die Zuordnung zur Frosch-Bande durch die Aspekte der Stigmatisierung und Maskierung erschwert wird, ist jedoch die zugrundeliegende Figurenanthropologie denkbar simpel, indem allein das Kriterium der Bandenzugehörigkeit über ,gut‘ und ,böse‘ als Charakterzug entscheidet. Mehr noch als die semantischen Teilräume ,Gut‘ und ,Böse‘ wird die Entschlüsselung der sozialen Rolle relevant gesetzt, sodass die Opposition von ,Schein‘ und ,Sein‘ zur Leitdifferenz wird. Letztere betrifft, indem sie die Reichweite des Kriminalfalls deutlich überschreitet, die gesamte diegetische Gesellschaft. Die Beantwortung der von Werner Faulstich für den Kriminalfilm zentral gesetzten Frage des Whodunit? (vgl. Faulstich 2013: 37) geht in DER FROSCH MIT DER MASKE also einher mit einer Demaskierung im Sinne der Enthüllung wahrer Identität und enttarnt weit mehr als nur den Täter.

Vergangenheitsbewältigung in DER FROSCH MIT DER MASKE
Folgt man Martin Nies, so ist DER FROSCH MIT DER MASKE Teil der materiellen Kultur eines bestimmten geografischen Zusammenhangs zu einem spezifischen Zeitpunkt – in diesem Fall der Kultur Westdeutschlands zur Nachkriegszeit – und kann als kultureller Speichers angesehen werden (vgl. Nies 2011: 214). Dazu erlaube die Beschaffenheit der diegetischen Weltordnung samt ihrer als wünschenswert bzw. nicht wünschenswert markierten Werte und Normen Einblicke in zeitgenössische Wertesysteme, relevante Konfliktfelder und Fragestellungen der sozialen wie mentalen Kultur (vgl. Nies 2011: 217). Einige hier nur kurz genannte Problemfelder sind beispielsweise der für den Nachkriegsfilm typische Topos der defizitären, konfliktbeladenen Familie am Beispiel der Bennets (vgl. Greffrath 1995: 208) oder die Rolle der Frau zwischen Modernität und Traditionalität verkörpert durch die selbstbewusste und erotisch dargestellte Lolita auf der einen sowie die häusliche und schutzbedürftige Ella auf der anderen Seite, wobei die Autonomie Lolitas sanktioniert und die traditionelle Rolle affirmiert wird.

Das zentral verhandelte Problem aber ist die soziale Identität bzw. ihre Verschleierung. Gerade vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit und der Entnazifizierung erscheint dies plausibel für eine Zeit, in der für größere Teile der Bevölkerung aus eigener Sicht Anpassung und Verstellung von Vorteil waren und die Aufdeckung der wahren sozialen Rolle im Nationalsozialismus deutliche gesellschaftliche und persönliche Konsequenzen nach sich zog (vgl. Greffrath 1995: 252). Unter diesem Blickwinkel nimmt DER FROSCH MIT DER MASKE eine kritische Sicht auf das in der Nachkriegszeit etablierte Konzept der Stunde Null ein. Bereits vor der Gründung der Bundesrepublik beklagte der Schriftsteller Hans Werner Richter diesbezüglich 1946 in der Zeitung Der Ruf, dass die notwendige Neuordnung der sozialen Verhältnisse insbesondere in Bezug auf herrschende Werte und Weltanschauungen nach dem Kriegsende nicht erfolgt sei – „[a]ls wäre die Zeit von 1932 bis 1945 nur eine harmlose Episode gewesen“ –, sondern „lediglich eine behördlich genehmigte Restauration stattgefunden [habe]“ (Richter 1946: 1). Dieser Vorwurf lässt sich auch auf symbolischer Ebene in der im Film vermittelten Notwendigkeit wiederfinden, für eine integre Staatsordnung alle problematischen Identitäten bis hinein in die sozialen Eliten enttarnen zu müssen.2 Grundgefühle, die diesbezüglich innerdiegetisch ausdrückt werden und die Bettina Greffrath als prägend für die zeitgenössische deutsche Gesellschaft herausstellt, sind „Angst, Sichbedrohtfühlen und Ohnmacht“ (Greffrath 1995: 144).

Auf der discours-Ebene wird das Gefühl allgegenwärtiger Bedrohung beispielsweise abgebildet, indem die von Andreas Blödorn festgestellte, für die deutschen Edgar Wallace-Filme typische und durch unterschiedliche Darstellungskonventionen gekennzeichnete Abfolge von „spannenden Grusel- und entspannenden Komiksequenzen“ (Blödorn 2007: 145) durch plötzlich in scheinbar ruhigen Szenen auftretende Gefahrensituationen durchbrochen wird, wie zum Beispiel der Angriff auf Gordon beim Spaziergang mit Ella (00:17:04–00:17:46) oder die Schüsse auf das Büro des Direktors von Scotland Yard (01:13:57–01:14:11) verdeutlichen. Andere Darstellungsmittel der bedrohlichen Stimmung sind die low key-Beleuchtung, die Verwendung starker Hell-Dunkel-Kontraste, der offene point of view, bei dem insbesondere Sequenzen der Beobachtung durch Aussparung entweder des Subjekts oder des Objekts nicht abgeschlossen dargestellt werden (vgl. 00:34:44–00:35:19), oder die Dominanz der diagonalen Bildachse (vgl. 01:11:30–01:12:07). Als stereotypes Motiv nennt Blödorn den bereits in der eingangs umrissenen Frosch-Metaphorik anklingenden Vorgang des Auftauchens, der auf der discours-Ebene durch eine Bewegung in der Vertikalen ausgedrückt wird (vgl. 01:19:55–01:20:11) und der das „zeichenhafte Auftauchen von Gefahr aus der Unterwelt“ (Blödorn 2007: 141) andeutet. Trotz dieser über weite Teile der Diegese etablierten Bedrohungsstimmung bleibt die grundlegende Haltung diesem Zentralproblem gegenüber optimistisch, zumal – typisch für den klassischen Kriminalfilm – die aufgrund von in der Vergangenheit aufgekommenen und die Gegenwart beeinflussenden Konflikten allenthalben brüchige Welt im Sinne einer Harmonisierung und Nivellierung durch effektive Lösungsverfahren zu einer restitutiven Ordnung gebracht werden kann, welche so affirmiert wird (vgl. Faulstich 2013: 37 f.).

Bemerkenswert ist, dass der Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit implizit bleibt und so die Möglichkeit offenlässt, ihn zu ignorieren. Es ergeben sich dadurch zwei parallele Lesarten für DER FROSCH MIT DER MASKE: erstens die oberflächliche Rezeption als spannender Unterhaltungsfilm und zweitens die tiefergehende gesellschaftskritische Aufarbeitung sozialer Vergangenheit im Symbolischen. Die Rekonstruktion des subversiven Potenzials des Films bedarf also eines Blicks unter die Oberfläche des Kriminalfalls und des Einbezugs der zeitlichen Ebene des Films. Die zwei möglichen Rezeptionsmodi zeigen das Spannungsverhältnis, in dem der deutsche Nachkriegsfilm sich laut Kirsten Burghardt bewegt: „zwischen dem Versuch einer Schuldbewältigung und einer vehementen Schuldabwehr“ (Burghardt 1996: 274) – und lassen die Produktionsintention erkennen, die nach Joachim Kramp unter hohem Erwartungsdruck explizit darauf abzielte, ein breites Publikum anzusprechen (vgl. Kramp 1998: 28–32). Angesichts des gesellschaftlichen Fokus, der eher auf moralischem Wiederaufbau als auf der selbstkritischen Bewältigung der Vergangenheit lag (vgl. Burghardt 1996: 275), entsprach der Stimmung und Rezeptionserwartung breiter Teile der westdeutschen Bevölkerung in den 1950er-Jahren eher die oberflächliche Lektüre des Films, da sie eine eskapistische Realitätsflucht und Ablenkung von Alltagsproblemen und Schuldaufarbeitung bot. Dies zeigt auch der Durchschnitt der Produktionen des zeitgenössischen Kinos, im Rahmen derer Filme wie DIE MÖRDER SIND UNTER UNS [D 1946, W. Staudte], die sich um selbstkritische Aufarbeitung deutscher Kriegsschuld bemühten, eher randständig blieben (vgl. Faulstich 2005: 174).3

Dass die Handlung vorgeblich – in Form eingeblendeter Rückprojektionen (vgl. Kramp 1998: 33) – in Großbritannien spielt, ist vor allem auf die Londoner Kulisse in der Romanvorlage zurückzuführen, stärkt aber beide Lesarten des Films. Durch das britische Flair wird die rein unterhaltende Lesart unterstützt, indem der Bezug zur eigenen Kultur komplett ignoriert werden kann. In sozialkritischer Perspektive erfolgt im Sinne moralischer Affirmation die Darstellung einer derart gestörten Staatsordnung am Beispiel einer anderen Gesellschaft – die allerdings der eigenen nicht zu fremd ist, um einen problemlosen Transfer zu ermöglichen –, anstatt den gerade wiedererrichteten bundesrepublikanischen Rechtsstaat so früh explizit infrage zu stellen. Die stellvertretende soziale Selbstreinigung wird in der abschließenden Anweisung des Butlers James ersichtlich: „Du, Frosch, sei friedlich. Deine Zeit ist um“. Nicht nur ist sie als Re-Semantisierung des anthropologisierten Froschbegriffs zu verstehen, sondern zugleich im Sinne eines Zukunftsappells an die eigene Gesellschaft, die für eine integre Ordnung zur langfristigen Tilgung der Teilmenge des ,Bösen‘ aufgerufen wird.

Verortung von DER FROSCH MIT DER MASKE im filmkulturellen Kontext
Der Blick auf andere zeitgleich populäre Genres der westdeutschen Filmkultur bestätigt die These, dass soziale Identitäten zeitgenössisch ein grundlegendes Problem darstellten: Hans Krah konstatiert etwa auch für den Schlagerfilm ein vielfältiges Spiel mit Vortäuschungen falscher Identitäten.4 Faulstich stellt wiederum auch für den Heimatfilm als charakteristisches und handlungsinitiierendes Moment die „komische oder tragische Verwechslung“ (Faulstich 2005: 142) heraus ‒ also ebenfalls die Problematisierung der Identität von mindestens einer Figur. Ähnlich wie im Kriminalfilm wird hier in der Regel die Identitätsproblematik implizit vor dem Hintergrund eines vordergründig unterhaltsamen Plots verhandelt und dies ohne explizite sozialgeschichtliche Bezüge.

Mit Blick auf den internationalen Kriminalfilm erscheint die Unterkomplexität des hier präsentierten Weltmodells mit den anthropologisch gesehen simplen Polen ,Gut‘ und ,Böse‘ und der Affirmation traditioneller Lebensweisen wenn nicht als typisch westdeutsches Phänomen, so doch zumindest nicht als kulturell übergreifendes Weltmodell (vgl. Seeßlen 1981: 101–103): Beispielsweise tendiert der Film Noir in Hollywood zu einer pessimistischen, sozialkritisch-komplexen Weltsicht, indem die Ermittelnden sich in einer korrupten Welt ohne klare Grenze zwischen ,Gut‘ und ,Böse‘ durch eine teils außerhalb der Legalität agierende individuelle Moral zu behaupten haben (vgl. Faulstich 2005: 121 f.). Faulstich führt diese seiner Ansicht nach naive Weltsicht des westdeutschen Kriminalfilms ebenso auf das jugendliche Publikum zurück, wie auf die vom Krieg traumatisierten erwachsenen ZuschauerInnen und ihr Bedürfnis nach Ordnung und Orientierung (vgl. Faulstich 2005: 174), was sicher nur für den Fall des oberflächlichen Rezeptionsmodus bestätigt werden kann.

DER FROSCH MIT DER MASKE als Nachkriegsfilm
Angesichts der zeitlichen Distanz zum Kriegsende mag es auf den ersten Blick fraglich erscheinen, DER FROSCH MIT DER MASKE als Nachkriegsfilm zu bezeichnen, zumal typische Motive des frühen Nachkriegskinos wie Trümmerlandschaften, Hunger oder Heimkehrfiguren 1959 überwunden sind (vgl. Greffrath 1995: 216). Für die Beurteilung dieser Klassifizierung als angemessen scheint die kultursemiotische Perspektive nach Nies gut geeignet, zumal die zentralen Probleme und Fragestellungen den Blick auf eine noch stark unter dem Eindruck der Spätfolgen des Kriegs und der nationalsozialistischen Vergangenheit stehenden Gesellschaft eröffnen, ob ihre Mitglieder nun die Auseinandersetzung mit ihr suchen oder sie eskapistisch verdrängen. Für beide Umgangsweisen mit der Vergangenheit bietet der Film eine Lesart – an der Oberfläche des Textes oder in der semantischen Tiefenstruktur – und überlässt die Entscheidung über den Rezeptionsmodus dem Publikum. Faulstichs Aussage über deutsche Nachkriegsfilme als „evasive[] Unterhaltungsfilme [und] Flucht in illusionäre Wirklichkeitsidyllen“ (Faulstich 2005: 143) lässt sich somit im Fall von DER FROSCH MIT DER MASKE nur auf die oberflächliche Rezeptionsart beziehen und kann in der Absolutheit nicht bestätigt werden. Im Gegenteil bietet die vergangenheitsreflexive Lesart auf der symbolischen Ebene eine deutliche Kritik an dem zeitgenössischen Verarbeitungskonzept der Stunde Null, indem zum einen der Vorstellung eines auch emotionalen Neuanfangs durch die abgebildete Grundstimmung der Bedrohung eine Absage erteilt wird und zum anderen vor allem die gesamtgesellschaftliche Integrität angesichts problematischer sozialer Identitäten angezweifelt wird. Verknüpft bleibt dies allerdings mit einem zukunftsoptimistischen Blick, diese Integrität durch die Überwindung unklarer Identitäten in allen gesellschaftlichen Bereichen herstellen und damit die Teilmenge des ,Bösen‘ zur Gänze aus der sozialen Ordnung tilgen zu können.

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1 Diesem Aufsatz liegt folgende Filmfassung zugrunde: DER FROSCH MIT DER MASKE (D 1959, Harald Reinl). München: Universum-Film (2009).

2 Auch auf der Metaebene der Mediengeschichte sollte angesichts der Tatsache, dass Regisseur Harald Reinl in den 1940er-Jahren eine Regieassistenz bei Leni Riefenstahls TIEFLAND [D 1953, L. Riefenstahl] innehatte (vgl. Kramp 1998: 30), die Frage nach personellen Kontinuitäten in der Filmindustrie gestellt werden.

3 Die explizite Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit etablierte sich im Rahmen der deutschen Filmgeschichte erst mit wachsender zeitlicher Distanz. Beispielhaft genannt sei hier Christoph Schlingensiefs 100 JAHRE ADOLF HITLER (D 1988/89, C. Schlingensief) (100 JAHRE ADOLF HITLER).

4 Hans Krah hat dies in einem Vortrag mit dem Titel „Der Schlager, der Film und die 1950er Jahre. Überlegungen zur ‚Schlagersphäre‘ als Semiophäre“ analytisch belegt und näher ausgeführt. Gehalten wurde der Vortrag im Rahmen der Tagung „Der deutsche Schlager. Ästhetik, Medialität, Semantiken“ (09.‒11.10.2017, Universität Münster).


Filme

100 JAHRE ADOLF HITLER. DIE LETZTE STUNDE IM FÜHRERBUNKER (D 1988/89, Christoph Schlingensief).

DER FROSCH MIT DER MASKE (DK 1959, Harald Reinl).

DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (D 1946, Wolfgang Staudte).

HULA-HOPP, CONNY  (D 1959, Heinz Paul).

TIEFLAND (D 1953, Leni Riefenstahl).


Forschungsliteratur

Blödorn, Andreas (2007): „Stilbildung und visuelle Kodierung im Film. Am Beispiel der deutschen Edgar Wallace-Filme der 1960er Jahre und ihrer Parodie in Der Wixxer“. In: Kodikas/Code. Ars Semeiotica 30, 1–2, S. 137–152.

Burghardt, Kirsten (1996): „Moralische Wiederaufrüstung im frühen deutschen Nachkriegsfilm“. In: Schaudig, Michael (Hg.): Positionen deutscher Filmgeschichte. 100 Jahre Kinematographie: Strukturen, Diskurse, Kontexte. München, S. 241–176 (= Münchner Beiträge zur Filmphilologie 8).

Faulstich, Werner (2005): Filmgeschichte. Paderborn.

Faulstich, Werner (2013): Grundkurs Filmanalyse. 3. Aufl. Paderborn.

Greffrath, Bettina (1995): Gesellschaftsbilder der Nachkriegszeit. Deutsche Spielfilme 1945–1949. Pfaffenweiler.

Kramp, Joachim (1998): Hallo! Hier spricht Edgar Wallace. Die Geschichte der deutschen Kriminalfilmserie von 1959–1972. Berlin.

Nies, Martin (2011): „Kultursemiotik“. In: Barmeyer, Christoph/Petia Genkova/Jörg Scheffer (Hgg.): Interkulturelle Kommunikation und Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Wissenschaftsdisziplinen, Kulturräume. 2. Aufl. Passau, S. 207–225.

Richter, Hans Werner (1946): „Parteipolitik und Weltanschauung“. In: Der Ruf. Un-abhängige Blätter der jungen Generation 7, S. 1 f.

Seeßlen, Georg (1981): Mord im Kino. Geschichten und Mythologie des Detektiv-Films. Reinbek (= Grundlagen des populären Films 8).