Über Chanukka und Weihnachten

Liturgiewissenschaftler Clemens Leonhard im dpa-Gespräch über das jüdische und christliche Fest

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Prof. Dr. Clemens Leonhard

© Julia Holtkötter

Über die Geschichte des jüdischen Chanukka und der christlichen Weihnacht, die 2014 erstmals seit 1976 zeitlich zusammenfallen, hat Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Clemens Leonhard vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) gesprochen. Es folgt der Originalwortlaut:

Liturgieexperte: Chanukka und Weihnachten ähnlich und anders zugleich

Interview: Carsten Linnhoff, dpa

Juden und Christen könnten in diesem Jahr „Weihnukka“ feiern. Zumindest einen Tag lang. Haben das christliche Weihnachtsfest und das jüdische Chanukka einen gemeinsamen Ursprung?

In diesem Jahr fällt das Ende des achttägigen jüdischen Chanukka-Festes am 24. Dezember auf Heiligabend, den Auftakt der christlichen Weihnacht. Zuletzt war das 1976 der Fall. Können jetzt die beiden Religionsgemeinschaften gemeinsam „Weihnukka“ feiern? Clemens Leonhard, Liturgiewissenschaftler des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster, meint nicht, auch wenn es in der Geschichte Verbindungen gebe.  

Nach Weihnachten werden die Tage auf der Nordhalbkugel wieder länger. Ist das der Grund, warum in dieser Zeit, also rund um die Wintersonnenwende, mehr gefeiert wird?

In jedem Fall ist es ein guter Grund. Historisch betrachtet könnte ein Römer im vierten oder fünften Jahrhundert nach Christus so argumentieren. Zwar war den Römern der 25. Dezember als Geburtstag Christi zu dieser Zeit bereits bekannt und stand im offiziellen Kalender. Aber sie konnten sich noch daran erinnern, dass das christliche Fest zu diesem Termin im Jahr den Kult des „unbesiegten Sonnengottes“ - Sol Invictus - verdrängte. Dieser Kult war ein Jahrhundert zuvor in Rom in Mode gekommen.

Das Lichterfest Chanukka aber hat mit dem römischen Sonnengott nichts zu tun, oder? 

Nein, nachweislich nicht. Aber hier gibt es zwei alte Erklärungen.

Welche?  

Im zweiten Jahrhundert vor Christus entweihte Antiochus IV. den Tempel in Jerusalem. Jüdische Aufständische, die Makkabäer, brachten die Stadt Jerusalem und den Tempel wieder unter ihre Kontrolle. Die Griechen hatten nach ihren Vorstellungen die kultische Reinheit des Orts zerstört. Auch das Öl im Tempel war unrein geworden - bis auf ein kleines versiegeltes Gefäß. Das Öl hätte eigentlich nur für einen Tag reichen dürfen. Jetzt aber geschah das Wunder, und die Flammen des siebenarmigen Leuchters im Tempel brannten dank des Öls acht Tage lang. Die Juden machten diese Tage zum achttägigen Fest mit dem Namen Chanukka. Das steht für die Wiedereinweihung des Tempels.

Und die zweite?  

Im babylonischen Talmud wird auch eine Geschichte über ein achttägiges Fest erzählt. Dort hängt das Fest aber mit der Wintersonnenwende zusammen. Deshalb passt es terminlich nur ungenau zu Chanukka. In dieser Geschichte fürchtete Adam als erster Mensch im ersten Jahr seines Lebens, dass Gott ihn für seine Sünden in Finsternis untergehen lassen wolle. Er begann, acht Tage zu fasten - und plötzlich wurden die Tage wieder länger. Aus Freude beschloss er, jedes Jahr vor der Wintersonnenwende ein achttägiges Fest zu feiern.

Und wem gehört jetzt das Weihnachtsfest?  

Die historischen Ursprünge und Fortentwicklungen von Chanukka und Weihnachten zeigen, dass sie nicht als dasselbe Fest betrachtet werden dürfen, obwohl sie einander in mancher Hinsicht ähneln. Sie sind keine Feier der Wintersonnenwende, obwohl sie historisch damit zusammenhängen. Die zentralen religiösen Inhalte der beiden Feste, die Menschwerdung Christi und die Wiedereinweihung des Tempels von Jerusalem, sind voneinander unabhängig - auch wenn sich das Brauchtum der beiden Lichterfeste, die ungefähr zur selben Zeit im Jahr gefeiert werden, ähnlich ist. Umso wünschenswerter wäre es, dass Christen und Juden für das Fest der anderen Neugier und Sympathie aufbringen - gerade dann, wenn die Festperioden einander berühren wie in diesem Jahr.


Zur Person: Prof. Dr. Clemens Leonhard (47) lehrt seit 2006 an der Uni Münster Liturgiewissenschaft und ist Mitglied im Exzellenzcluster „Religion und Politik“. Der österreichische Theologe legte seine Forschungsschwerpunkte auf den Vergleich jüdischer und christlicher Liturgien und Festtage sowie christliche Liturgien in der Antike und Liturgien der syrischen Kirche. Er hat 1997/98 und 2001/02 jeweils ein Jahr in Jerusalem studiert beziehungsweise geforscht.

Mit freundlicher Genehmigung der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH, Hamburg, www.dpa.de