EXC 2060 B3-26 - Die Theologie des Politischen im Orthodoxen Christentum Südost-Europas

Projektzeitraum
Projektstatus
Laufend
Mittelgeber
DFG - Exzellenzcluster
Förderkennzeichen
EXC 2060/1
  • Beschreibung

    Der Forschungsgegenstand des Projekts sind das Verständnis des Politischen und die Modelle der Beziehung zwischen Kirche und Staat in der griechisch-sprachigen orthodoxen Theologie und in den entsprechenden Kirchen (Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel mit Sitz in Istanbul, Orthodoxe Kirche von Griechenland - die ebenfalls griechisch-sprachige Orthodoxe Kirche von Zypern wird nicht einbezogen). Der ideengeschichtliche Einfluss der Theologie des orthodoxen Christentums wie überhaupt der orthodoxen Kirchen auf das Staats- und Gesellschaftsverständnis, auf Politik und Kultur der vom orthodoxen Christentum geprägten Länder generell in Ost- und Südosteuropa wird gerne als Hypothese behauptet, ist jedoch bisher im deutschsprachigen und überhaupt im westlichen Kontext nur unzureichend untersucht und verstanden worden. Angesichts diverser politischer Spannungen in Europa besteht erheblicher Bedarf, die religiöse Prägung verschiedener Länder Ost- und Südosteuropas und ihrer Politik besser zu verstehen. Dies gilt auch für die durch das orthodoxe Christentum geprägten Länder Südost-Europas, die Mitgliedsstaaten der EU sind. In dem Forschungsprojekt soll exemplarisch die Theologie des Politischen an der griechisch-sprachigen orthodoxen Theologie untersucht werden. Kirchlicherseits sind dabei das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel (Sitz in Istanbul) und die Orthodoxe Kirche von Griechenland mit im Blick. Die ebenfalls griechisch-sprachige Orthodoxe Kirche von Zypern wird nicht in die Untersuchung einbezogen. Neben den theologischen und ideengeschichtlichen Aspekten und Dimensionen der orthodoxen Theologie des Politischen soll an historischen Konstellationen aus den letzten beiden Jahrhunderten und der Gegenwart das Verwobensein bzw. die Spannung von religiöser Identität und politischem und sozialem Kontext herausgearbeitet werden und die orthodoxe Theologie des Politischen auf das Verhältnis von Tradition und Innovation, also auf ihre innovative Beweglichkeit bzw. auf ihr Beharren in den Traditionen in Zeiten historischer Umbrüche und Herausforderungen untersucht werden. Eine ideengeschichtliche Untersuchung der orthodoxen Theologie des Politischen hat methodisch zuerst einmal den Vorteil, der aus dem Verständnis des Orthodoxen in den entsprechenden Theologien und Kirchen resultiert, dass die orthodoxe Lehre weitestgehend im 1. Jahrtausend festgelegt wurde und diese dann in den folgenden Jahrhunderten als relativ stabiler Bezugspunkt in dem immer wieder neuen Justieren der orthodoxen Lehre zwischen Tradition und Innovation fungierte. Dieser Prozess erhielt seine Dynamik durch geschichtliche - auch geistesgeschichtliche - Veränderungen, vollzog sich dann jedoch überwiegend in Form von Interpretationen der theologischen Positionen aus dem ersten Jahrtausend. Deshalb kann auch eine ideengeschichtliche Rekonstruktion der normativen Konzeptionen des Politischen und des Verhältnisses von Staat und Kirche in der griechisch-sprachigen orthodoxen Theologie vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart nicht von deren traditionellen Konzeptionen absehen. Bei einer solchen Rekonstruktion stellt sich freilich auch die begriffliche Schwierigkeit, dass es zwar ein traditionelles Konzept vom Verhältnis von Staat und Kirche in der orthodoxen Theologie gibt, dass die traditionelle Orthodoxie jedoch keine Theologie des Politischen bzw. politische Theologie konzipierte und kennt. Erst jüngst hat Pantelis Kalaitzidis die Aufgabe formuliert, dass untersucht werden sollte, warum die Orthodoxie keine explizite „politische Theologie" bzw. Theologie des Politischen entwickelt hat. Insofern muss mit einem heutigen Verständnis des Politischen bzw. einer politischen Theologie die traditionelle orthodoxe Lehre auf äquivalente Dimensionen des Politischen untersucht werden.

    Ausgangspunkt des Projekts ist die traditionelle byzantinische Konzeption des Verhältnisses von Staat und Kirche als „Synallelie" oder „Symphonie" der beiden Gewalten, das 535 unter Kaiser Justinian I. etabliert wurde und seitdem als quasi normatives (freilich immer wieder praktisch problematisiertes) Leitbild fungierte. Diese Konzeption ist wissenschaftlich gut aufgearbeitet und braucht nur in Erinnerung gerufen werden. Da die traditionelle orthodoxe Theologie nicht eigens einen Begriff des Politischen entwickelte, sollen - und das ist bisher noch nicht gemacht worden - im ersten Teil des Projekts theologische Texte untersucht werden, die analogische Bedeutung für die Theologie des Politischen haben. Damit wird u.a. eine Anregung Giorgio Agambens aufgenommen, wonach in der Angelologie (ausgehend von Dionysios Areopagita) in der alten Welt die Diskurse über Regierung und Herrschaft geführt wurden. Untersucht werden soll aber auch die Bedeutung der Mönchsgemeinschaft als Ideal auch staatlicher Gemeinschaft. In einem zweiten Teil des Projekts soll die orthodoxe Theologie des Politischen und ihr Verhältnis von Staat und Kirche an mindestens drei historischen Konstellationen unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von Tradition und Innovation angesichts von gesellschaftlichen Umbrüchen und Herausforderungen mit den dadurch sich einstellenden Normenkollisionen vertieft und konkretisiert werden. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob und wie die orthodoxe Theologie des Politischen innovativ auf historische Entwicklungen reagierte. Dieser Teil des Projekts wird sich auf die griechisch-sprachige orthodoxe Theologie und Kirche beziehen. Dabei steht wiederum die ideengeschichtliche und begriffliche Analyse und insofern die Analyse der Dynamik normativer Veränderungen im Vordergrund. Die erste geschichtliche Konstellation, die untersucht werden soll, ist die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Griechenland im Zusammenhang mit der erfolgreich zwischen 1821 und 1830 erkämpften Unabhängigkeit Griechenlands vom Osmanischen Reich. Damit verbunden sind auch die Ablösung der griechischen Diözesen vom Patriarchat Konstantinopel und die Entstehung der Griechisch-Orthodoxen Kirche. Beendet war damit nach Jahrhunderten das osmanische Millet-System mit dem Patriarchen von Konstantinopel als Ethnarch. In dem Projekt sollen die jahrzehntelangen theologischen Diskurse, welche die Verfassungs- und Kirchengesetzdiskussionen begleiteten, unter dem Gesichtspunkt untersucht werden, inwiefern darin die traditionelle Konzeption des Verhältnisses von Staat und Kirche und das theologische Verständnis des Politischen innovativ weiterentwickelt wurden - in dieser Phase dramatischer politischer und gesellschaftlicher Veränderungen in Griechenland. Mit in den Blick sollen bei dieser ersten geschichtlichen Konstellation auch die Auswirkungen des endgültigen Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches auf das Patriarchat von Konstantinopel (mit Sitz in Istanbul), durch den der Patriarch jegliche politische Kompetenz und Rolle (als „Ethnarch") verlor und nun in einem - nach dem Vertrag von Lausanne 1923 mit dem Zwangsaustausch türkischer Staatsangehöriger griechisch-orthodoxen Glaubens auf türkischem Gebiet und griechischer Staatsbürger islamischer Religion auf griechischem Gebiet - nach Homogenität strebenden türkischen Nationalstaat existierte, der seine Hostilität dem Patriarchat und seinen griechisch-orthodoxen Mitgliedern gegenüber nicht zu verbergen suchte. Hier soll untersucht werden, wie theologisch auf dogmatischer Ebene auf diesen Verlust jeglicher konstruktiver Beziehung der Kirche zum Staat innovativ reagiert wurde. Als Hypothese ist hier im Blick, dass darin das heutige Selbstverständnis des Patriarchen von Konstantinopel als eines weltpolitischen Akteurs (freilich sehr viel weniger auffällig als der Papst von Rom) begründet ist, der sich vor allem in Fragen der Ökologie und der Bewahrung der Schöpfung global engagiert. Die zweite geschichtliche Konstellation des Projekts hat ihren Zielpunkt in der Kirchenverfassung der Griechisch Orthodoxen Kirche von 1977, der von 1923 angefangen eine Reihe von Kirchenverfassungen voraus gingen. Das Projekt rekonstruiert die wichtigsten theologischen Diskurse und Konzeptionen zum Verhältnis von Staat und Kirche und dem Verständnis des Politischen aus dieser Phase der Griechisch Orthodoxen Kirche. Es gelang der Kirche, sich von einer langen Phase staatlicher Bevormundung zu lösen. Dieses Verhältnis von Staat und Kirche wird gerne mit dem Begriff „Synallilie" („Miteinander") umschrieben. Gleichwohl finden sich eben auch innerhalb dieser Konzeption eine Reihe von Normenkollisionen zwischen Kirche und Staat, die auch zu dogmatischen Diskursen führten. Diese sollen insbesondere im Projekt untersucht werden. In einer dritten geschichtlichen Konstellation sollen die theologische Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche und das Verständnis des Politischen in den letzten zwei Jahrzehnten (ab ca. 1997) untersucht werden. In dieser Zeit werden diverse Konsequenzen der seit 1981 bestehenden Mitgliedschaft Griechenlands in der EU für die orthodoxe Kirche bewusst (für das Patriarchat von Konstantinopel verschärft sich die Isolation innerhalb der Türkei und die Beziehungslosigkeit zum Staat und überhaupt zum Politischen). Kritisch wird von Theologie und orthodoxer Kirche wahrgenommen, dass in Griechenland wie auch in anderen orthodoxen Gesellschaften von der EU die säkulare Staatsideologie der Aufklärung und der Französischen Revolution aufgedrängt zu werden scheint. Damit ist das Konzept der „Synallilie" nicht vereinbar. Kritisch wird festgestellt, dass nun ein Staatsverständnis dominiert, in dem nicht nur das Miteinander der beiden Gewalten obsolet ist, sondern auch jede institutionelle Rolle der Kirche im modernen Staat. Es lässt sich nun feststellen, dass in den dogmatischen Diskursen der griechisch-orthodoxen Theologie nach konstruktiven Alternativen zur „Synallilie" gesucht wird - anders als beispielsweise in der russisch-orthodoxen Theologie und Kirche, in der eine Stärkung der „Symphonie" von Staat und Kirche betrieben wird. In dem Projekt soll an zentralen Diskursen und Konzeptionen der letzten zwanzig Jahre untersucht werden, wie die griechisch-orthodoxe Theologie und Kirche in ihrem Staatsverständnis und ihrem Verständnis des Politischen auf diese sehr fundamentale Krise in den Beziehungen von Staat und Kirche reagiert. In diesen Kontext gehört eben dann auch die Forderung nach Ausarbeitung einer expliziten Theologie des Politischen in der orthodoxen Theologie, die freilich nicht mehr nur national, sondern universal ausgerichtet ist. Gerade in den theologischen Diskursen und Konzeptionen der letzten zwanzig Jahre lässt sich besonders gut das Verhältnis von Tradition und Innovation in der orthodoxen Theologie des Politischen bzw. des Verhältnisses von Staat und Kirche untersuchen, weil die orthodoxe Theologie natürlich dieses Verhältnis selbst mit reflektiert. Aus deutscher Sicht ist dabei von besonderem Interesse, dass sich die griechisch-orthodoxe Theologie zum einen zunehmend an dem kooperativen deutschen Modell der Beziehung von Staat und Kirche bzw. Religion orientiert und zum andern den Anschluss an den neuen globalen (protestantischen) Diskurs über eine politische „public theology" sucht.

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