EXC 2060 B3-1 - Sprache und Zensur. Die Erfindung von toleranten Denk- und Handlungsräumen in der Literatur des 16. Jahrhunderts

Projektzeitraum
Projektstatus
Laufend
Mittelgeber
DFG - Exzellenzcluster
Förderkennzeichen
EXC 2060/1
  • Beschreibung

    Die Ausbildung moderner Konzepte von Pluralität und Toleranz im religiösen und politischen Raum förderten Schriftsteller wie François Rabelais, Pierre de Ronsard und Michel de Montaigne in einzigartiger Weise. Im Horizont der Konfessionskriege und in literaturgeschichtlicher Dynamik von Humanismus und Renaissance – der Rezeption der anciens – erfindet Michel de Montaigne die neue Gattung des Essays. Zu seinem Werk gehören neben den Essais (1580, 1588, 1592) auch die ins Französische übertragene Theologia naturalis (1569) des spätscholastischen Theologen Raimundus Sabundus, ferner Briefe, darunter eine remonstrance (Beschwerdebrief) an den König von Navarra, verfasst von Montaigne als Bürgermeister der Stadt Bordeaux; ferner gab der Essayist in Teilen den Nachlass des früh verstorbenen Freundes und Juristen Étienne de la Boétie heraus; dieser hatte sich abschlägig gegenüber der „diversité des religions“ und gegenüber dem religionspolitischen Erlass von 1562 (einem „pari risqué de la tolérance“) positioniert. Durch die Erfindung der Gattung des Essays leistet Montaigne einen wesentlichen Beitrag für einen sich konstituierenden gesellschaftlichen Raum toleranter, pluraler und freier Rede. Die drei Bücher der Essais eröffnen eine kritische, skeptizistische Perspektive, unter der Montaigne u.a. Phänomene wie Gewalt, Gewissensfreiheit oder auch Hexerei erörtert. Dabei besteht die denkerische Innovation keinesfalls nur in der inhaltlichen oder thematisch-philosophischen Abhandlung. Ganz wesentlich präsentiert sich auf der sprachlichen Ebene durch Stil und Rhetorik sowie den Modus des Dialogs und der narratio eine besondere Sicht auf Ich und Welt, die Normen, Zwänge, Verbote, Zensur und Macht mittels subjektiver Urteilsfähigkeit in Frage stellt. Darüber hinaus begrenzt Montaigne seine essayistische Rede auf den scheinbar unmaßgeblichen Raum von Privatheit und der Innerlichkeit von Träumerei und Phantasie. Die Sprengkraft der Essais erkannten die Zeitgenossen teilweise, in der Rezeption trat sie in der Zensur des Werkes (1676), dann aber in weltweiter Rezeption zutage.
  • Personen