Dezember 2020
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Münze des Monats

Bleitetarteron aus der Regierungszeit Alexios I. (1092) (Sammlung M.G. 1.224.522; 3,70g; DOC 4, 32.1)
© © M. Grünbart

Byzantinische Emissionen in Blei und ein Fallbeispiel aus dem Jahr 1092

"Blei ist eigentlich kein Münzmetall". So urteilte Robert Göbl (1919–1997), der Doyen der numismatischen Forschung in Österreich, noch in seiner mehrbändigen Einführung zur antiken Geldgeschichte. Trotzdem kam Blei im Laufe der Geschichte öfters die Rolle eines Prägemetalls zu: Jetons, Marken, tesserae und geldähnliche Stücke bezeugen seinen festen Platz in alltäglichen pekuniären und paramonetären Transaktionen. Die wissenschaftliche Erschließung solcher Prägungen und ihre Interpretation machte in den letzten Jahrzehnten Fortschritte.
Blei (Pb) weist einen niedrigen Schmelzpunkt auf (327° C) und zeichnet sich durch leichte Verarbeitungsmöglichkeiten aus. Zudem ist der Stoff ein an vielen Orten verhüttetes Metall gewesen. Blei korrodiert zwar wie andere unedle Metalle, doch kann man nicht davon ausgehen, dass Objekte aus Blei einfach im Erdboden verschwinden (so Weiser 1985). Auch die vielen tausend erhalten gebliebenen Bleisiegel sprechen eine andere Sprache: Bleiobjekte können die Jahrhunderte ziemlich unbeschadet überdauern; man denke in diesem Zusammenhang an römische und frühbyzantinische Wasserleitungsrohre, deren Korrosionsschäden sich gering halten. Was sich jedoch als ein wesentlicher Nachteil gegenüber anderen Münzmetallen wie Gold, Silber oder Kupfer erweist, ist die Weichheit des Materials: Ein Stück Blei, das durch viele Hände geht, wird schneller abgegriffen und erleidet rascher Deformationen. Da die ikonographischen Darstellungen und Zeichen auf den kleinen Bleiobjekten oft nicht mehr zu dechiffrieren sind, werden sie im Münzhandel regelmäßig nicht erkannt und als Bleisiegel oder Schrötlinge kategorisiert. Gegen diese Interpretation spricht zudem, dass sie keine Fadenkanäle (für die Siegelschnur) aufweisen. Ein weiteres einfaches Unterscheidungsmerkmal ist, dass man die Bleisiegel um eine senkrechte Achse drehen muss, um die Avers- und Reversseite richtig zu sehen; bei den hier diskutierten Bleiprägungen hingegen verhält es sich wie bei byzantinischen Münzen (horizontale Drehachse).
Blei (und auch Zinn) hatten ihren festen Sitz in der Geldgeschichte spätestens seit der römischen Kaiserzeit. Dieser Umstand wurde gesetzlich indirekt fixiert. In den Digestae des Kaisers Iustinianos heißt es (aus dem Jahre 533): "Idem (Ulpianus) libro octavo de officio proconsulis. Lege Cornelia cavetur, ut, qui in aurum vitii quid addiderit, qui argenteos nummos adultennos flavent, falsi crimine teneri (sic). (1) Eadem poena adficitur etiam is, qui, cum prohihere tale quid posset, non prohibuit. (2) Eadem lege exprimitur, ne quis nummos stagneos plumbeos emere vendere dolo malo vellet "(Digestae LXVIII 19.9).
«Derselbe (Ulpianus) (schrieb) im achten Buch über das Amt des Proconsuls: In der lex Cornelia wird Vorsorge getroffen, dass wer in das Gold etwas Unedles hinzugibt und wer falsche silberne Münzen giesst, den Tatbestand der Fälschung erfüllt. (1) Den gleichen Tatbestand erfüllt auch derjenige, der in der Lage wäre, das zu verhindern, es aber nicht tut. (2) In demselben Gesetz steht, dass niemand Münzen aus Zinn oder Blei in betrügerischer Absicht kaufen oder verkaufen darf. (Übers. nach Weiser 1983)»
Explizit verboten war also der Einsatz der Metalle in böser Absicht: Blei erwies sich nämlich als ideal zur Münzfälschung (und -imitation). Es wird aber zugleich deutlich, dass Zahlungsmittel aus diesen Materialien hergestellt und akzeptiert waren.
Aus dem 6. und 7. Jahrhundert sind zahlreiche Bleimünzen bekannt, welche kleine Werte verkörpern und die alltägliche Notwendigkeit für Kleingeld ('small change') widerspiegeln. Cécile Morrisson publizierte bleierne Dekanummia (nummion ist die kleinste Einheit, sozusagen der Einser, dekanummion dementsprechend 10 Einser) aus ostmediterranen Münzstätten. Wie flexibel das Münzsystem auf regionale Bedürfnisse eingehen konnte, zeigen Exemplare aus Antiocheia am Orontes. Aus der Gegend stammen Bleimünzen (aus der frühbyzantinischen Zeit), welche Β und Γ aufgeprägt haben, also den Wert von 2 bzw. 3 nummia (in griechischen Zahlzeichen) darstellen (Weiser 1985).
Aus dem ausgehenden 11. Jahrhundert haben sich münzähnliche Exemplare erhalten, zu denen auch das Stück des Monats gehört. Im Jahre 1092/1093 tauchen in den Städten Konstantinopel und Thessalonike Prägungen auf, die im Kontext der Münzreform Kaiser Alexios I. (1081-1118) und der Krönung seines Sohnes Ioannes II. (zwischen 1. September und November 1092) zu verstehen sind (DOC IV, 197-199). Bereits mit 5 Jahren wurde Ioannes, der älteste Sohn von Alexios I., zum Kaiser bestimmt; des feierlichen Ereignisses wurde mit besonderen Prägungen gedacht und diente dazu, die öffentliche Wahrnehmung der Dynastie der Komnenen zu fördern. Das hier gezeigte Exemplar gehört zum ersten Typus (DOC IV 32.3) und wurde in Konstantinopel ausgegeben. Es zeigt auf der Vorderseite Christus und den Thronfolger Ioannes (Legende: ΙΣ ΧΣ ΙΩΔΕΣΠΟΤ Ἰησοῦς Χριστός / Ἰω[άννης] δεσπότ[ης] "Jesus Christos / Ioannes despotes [= Herrscher]"), beide das Labaron (Kaiserstandarte) haltend, auf der anderen Seite stehen Alexios und Eirene, die Eltern Ioannes' (Legende: ΑΛΕΞΙΩ ΕΙΡΗΝΗ (Alexios / Eirene). Diese imitieren das Vorbild Konstantinos (den Großen) und sein Mutter Helena, welche seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert verstärkt in der imperialen Ikonographie in Erscheinung treten. Als Münznominale entspricht diese Prägung dem in dieser Zeit gängigen tetarteron, dem Kleingeld aus Bronze. Auch in Thessalonike, der zweiten in dieser Zeit verbliebenen Münzstätte des Reichs, wurde solche Stücke ausgegeben: Dort firmiert der Stadtheilige Demetrios anstelle von Jesus Christos als Patron. Das vorgestellte Exemplar zeigt anschaulich, wie gut Blei die Zeiten überdauern kann und dass es im byzantinischen Reich auch Prägungen zu politischen Anlässen gab.

(Michael Grünbart)

 

Literatur:

  • Bucossi, Alessandra/Suarez, Alex R. (Hrsg.), John II Komnenos, Emperor of Byzantium: In the Shadow of Father and Son, London 2016.
  • DOC 4/1 = Catalogue of the Byzantine Coins in the Dumbarton Oaks Collection and in the Whittemore Collection. 4,1. Alexius I to Michael VIII: 1081-1261 ; Pt. 1, Alexius I to Alexius V: 1081-1204, hrsg. von Alfred R. Bellinger and Philip Grierson, Washington, D.C. 1999.
  • Sebastian Foppe, Zur Kulturgeschichte des Bleis, in: Michael Grünbart (Hrsg.), Gold und Blei. Byzantinische Kostbarkeiten aus dem Münsterland, Wien 2012, S. 43-51.
  • Robert Göbl, Antike Numismatik, München 1978, I S. 37.
  • Gheorghe Mănucu-Adameşteanu/Ingrid Poll, Monede de plumb din epoca bizantină (secolele V.VI şi XI-XII) aflate în colecţiile din România. In: I. Cândea/V. Sîrbu/M. Neagu (Hrsg.), Prinos lui Petre Diaconu la 80 de ani, Braila 2004, S. 249-275.
  • Cécile Morrisson, Monnaies en plomb byzantines de la fin du VIe et du debut du VIIIe siècle, in: Rivista italiana di numismatica e scienze affini 83 (1981), S. 119-132.
  • Cécile Morrisson, Les usages monétaires du plus vil des métaux : le plomb, in: Rivista italiana di numismatica e scienze affini vol. 95 (1993), S. 79-101.
  • Pagona Papadopoulou, Monnaies en plomb d'Alexis Ier Comnène dans la collection de la Bibliothèque nationale de France, in: Bulletin de la Société Française de Numismatique 60 (2005), S. 20-25.
  • Wolfram Weiser, Neue byzantinische Kleinmünzen aus Blei, in: Schweizer Münzblätter 35, Heft 137 (1985), S. 13-16.