März 2020
März 2020

Münze des Monats

© Robert Dylka

Von Mäusen und Münzen

Münzstätte Alexandria Troas, AE – 2,09 g – 11 h – 14,4 mm
Vs. Kopf des Apollon nach rechts, lorbeerbekränzt. Rs. ΑΛΕΞ. Apollon Smintheus geht nach rechts, in der vorgestreckten linken Hand hält er einen Bogen mit Pfeil, in der rechten Hand eine Schale, auf dem Rücken hängt ein Köcher. Vor seinen Füßen befindet sich eine Maus; mit dem linken Fuß tritt der Gott der Maus auf den Schwanz.


Münzsammlung des Archäologischen Museums der Universität Münster, Inv. M 5347 (ex Slg. Pickhardt)

Lit. A. R. Bellinger, Troy Supplementary Monograph II. The Coins (1961) S. 81 Nr. A22.



Der Kampf um Troia gehört zu den bekanntesten Heldenepen der klassischen Antike. Homers Schilderung des Krieges, die Ilias, beginnt mitten im Krieg: Die Stadt wurde schon einige Zeit belagert, doch dann herrschte Kampfpause, bedingt durch eine Seuche im Lager der Griechen. Verursacher dieser Krankheit war Apollon, der den Griechen und speziell Agamemnon wegen der Beleidigung seines Priesters Chryses grollte. Dieser hatte erfolglos versucht, seine Tochter zurückzuerbitten, die Agamemnon als Kriegsbeute für sich reklamierte. Zur Strafe schickte Apollon daher eine „verderbliche Seuche“ (Hom. Ilias 1,11) und schoss todbringende Pfeile wahllos ins Heer der Griechen, Tiere und Menschen erkrankten und starben (Hom. Ilias 1,48-52).
Bei diesem rächenden Gott handelt es sich um Smintheus, Apollon in seiner regionalen Erscheinungsform als „Mäusegott“ (so von Hom. Ilias 1,39 benannt, nach „sminthos“, einem im nordmysischen Dialekt gängigen Begriff für „Maus“, wie Strabon 13,1,64 erläutert: „da sminthoi die Mäuse sind“). Verschiedene Erklärungsversuche, wie Apollon zu diesem in der Troas charakteristischen Beinamen gekommen war, kursieren in der antiken Literatur. Am überzeugendsten scheint die Version in einem Scholion zur Ilias, die auf den ortskundigen Autor Polemon aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert zurückgeht. Demnach war Apollon verärgert über Krinis, einen seiner Priester, und zur Strafe hatte er eine Mäuseplage auf die Äcker geschickt. Erst die uneigennützige Gastfreundschaft des Hirten Ordes konnte den Gott wieder versöhnen „und er vernichtete auf der Stelle die Mäuse mit seinem Bogen“ (Polemon frg. 31). Als diesen Retter von der Mäuseplage kennt ihn somit auch die Ilias.
Sein Heiligtum liegt etwa 50 km von Troja entfernt in Chryse, im heutigen Ort Gülpınar, wo sich Reste seines Tempels aus hellenistischer Zeit bis heute erhalten haben. Zunächst im Umland von Hamaxitos gelegen gehörte das Heiligtum seit der Zusammenlegung mehrerer Städte in der Troas durch den König Antigonos Monophthalmos zur neu gegründeten Stadt Alexandreia Troas. Bis ins 3. nachchristliche Jahrhundert war Apollon Smintheus dann deren wichtigster Stadtgott, sein extraurbanes Heiligtum ein überregionales Kultzentrum, sein Bild und der lokale Mythos um ihn zierten in verschiedenen Motiven das lokale Münzgeld.
Das spätklassische Kultbild des Smintheus hatte der berühmte Skopas geschaffen (einer der Bildhauer des Mausoleion von Halikarnassos, das zu den sieben Weltwundern der Antike gehörte). Der die Troas durchreisende Strabon beschreibt die Statue und erwähnt ein ungewöhnliches Detail: „Und das Wahrzeichen, das an den Ursprung des Namens erinnert, die Maus, sitzt unter dem Fuß des Kultbildes“ (Strab. 13,1,48). Genau dieses Detail lässt sich auch auf der vorliegenden Bronzemünze ausmachen: Der Gott im langen Gewand hält in der linken Hand Pfeil und Bogen, in der rechten eine Opferschale. Er steht in Schrittstellung, ist also in Bewegung und agierend wieder-gegeben. Mit seinem linken Fuß steht er auf dem Schwarz einer dicken Maus. Größenverhältnis und Proportionen sind nicht realistisch, doch das ist nicht wichtig; entscheidend ist es vielmehr, Gott und Attribut-Tier zu kombinieren, und das in einem eindeutig hierarchischen Verhältnis. Die Unterordnung der Maus zeigt deutlich die Macht des Gottes als „Herr über die Mäuse“ und kennzeichnet ihn auch als Retter aus (Ungeziefer- und Krankheits-)Plagen.
Unsere Münze gehört zu einer Serie verschiedener Bronzenominale; Alfred R. Bellinger, der die Münzprägung von Alexandria erstmals systematisch katalogisiert hat, unterscheidet Ganz-, Halb- und weitere Teilstücke, wobei lediglich die Halbstücke, zu denen auch das Münsteraner Stück zählt, leidlich oft vorkommen. In umfangreichen und regelmäßigen Serien wurden dagegen silberne Tetradrachmen ausgegeben, die ebenfalls das Bild des Gottes zeigen, mit Pfeil und Bogen, Köcher und Opferschale. Zusätzlich weisen sie die Beischrift ΑΠΟΛΛΩΝΟΣ ΣΜΙΝΘΕΩΣ („im Namen des Apollon Smintheus“) auf – dafür fehlt ihnen aber die Maus.
Wie sich die Smintheus-Bronzen mit den viel häufigeren Smintheus-Tetradrachmen zeitlich verhalten, ist umstritten. Alfred Bellinger zählte die Bronzen zu den frühesten Prägungen der Stadt überhaupt und datierte sie in das frühe 3. Jahrhundert (301-281 v. Chr.); er argumentierte mit der Übernahme des Gottes aus dem Typenrepertoire der Stadt Hamaxitos (dort allerdings OHNE Maus!). Andrew Meadows hingegen hält sie wegen der geringeren Dicke der Schrötlinge, der Verwendung eines abgekürzten Ethnikons und der motivischen Nähe zu den Tetradrachmen deutlich für später, er datiert sie ins 2. Jahrhundert.
Zusammen mit anderen apollinischen oder alexandrinischen Motiven findet sich die Maus auch als Gegenstempelmotiv auf späthellenistischen Bronzen von Alexandria Troas, die einen frontalen Apollonkopf auf der Vorder- und eine Kithara auf der Rückseite zeigen; diese Serie wurde massiv mit mehreren Bildern (Lyra, Apollonprofil, Pferdekopf sowie eben auch einer wohlgenährten Maus) gegengestempelt.
In der Kaiserzeit wurden dann verschiedene Momente aus dem Mythos um Smintheus und seine Priester ausführlich auf den städtischen Münzen thematisiert. Nur noch einmal findet sich dabei eine (eindeutig tote) Maus zur Erklärung eines Kontextes: Eine Gastmalszene mit drei beteiligten Personen (RPC IX Nr. 413) zeigt das Moment, als Apollon durch die Gastfreundschaft des Hirten Ordes versöhnt wird und sich unmittelbar darauf der Mäuseplage annimmt, worauf oben im Feld eine mit einem Pfeil erschossene Maus hinweist.
Die Münze des Monats März sieht unspektakulär aus und ihr Erhaltungszustand ist mäßig. Dennoch gibt es kaum ein Exemplar aus dieser seltenen Münzserie, auf dem das Motiv so zentriert ist und das dadurch das Detail der Maus als Attributtier unter Apollons Fuß, das ihn als Smintheus identifiziert, auf die Besonderheit des Kultbildes verweist und seinen Charakter als Retter herausstellt, so klar sichtbar macht wie das Münsteraner Stück.

(Katharina Martin)


Literatur

  • Strabon 13,1,48 (p. 604C-605C) berichtet über das Heiligtum des Smintheus, sein Kultbild und versucht verschiedene Erklärungen zum Beinamen zu geben; in 13,1,61-64 (p. 612C-613C) bringt er das Heiligtum mit der Überlieferung in der Ilias in Verbindung. Die Passagen sind zitiert nach der Übersetzung von Stefan Radt, Strabons Geographika III. Buch IX-XIII (Göttingen 2004).
  • Homer, Ilias 1,39 nennt Apollon Smintheus als die Krise auslösende Gottheit; zitiert nach der Übertragung von Hans Rupé, Tusculum Bücherei 2(1961, ND 1969). In seinem Ilias-Kommentar dazu bietet Polemon (Polemonis Periegetae Fragmenta, ed. Preller, Fragment XXXI, S. 63) eine etymologische-mythologische Erklärung des Beinamens.
  • A. R. Bellinger, The Coins, Troy Supplementary Monograph 2 (1961) bes. S. 81-82 Nr. A21-24 (Smintheus mit Maus in verschiedenen Nominalen), zu den Münzen mit der massiven Gegenstempelung ebd. S. 96.
  • A. Meadows, The earliest coinage of Alexandria Troas, Numismatic Chronicle 164, 2004, bes. S. 57 zur Spätdatierung der hellenistischen Serie mit Gott und Maus.
  • SNG Özkan Arikantürk (Turkey 9,1) Nr. 79-88 zeigt besonders eindrucksvolle Exemplare der Apollon-Kithara-Serie mit vielen (u.a. Maus-)Gegenstempeln.
  • P. Weiß, Alexandria Troas: Griechische Traditionen und Mythen in einer römischen Colonia, in: E. Schwertheim – H. Wiegartz (Hrsg.), Die Troas. Neue Forschungen zu Neandria und Alexandria Troas II, AMS 22 (Bonn 1996) analysiert bes. S. 165-172 die kaiserzeitlichen Apollonmünzen mithilfe der schriftlichen Überlieferung.