
Krieg als Mittel der Politik – Der Deutsch-Französische Krieg vor 150 Jahren:
Anonym (Prägeanstalt Drentwett & Peter, Augsburg?)
Populäre Zinnmedaille auf die Schlacht bei Wörth am 6. August 1870
Zinnprägung, Gew. 22,894 g, Dm. 39 mm, Stempelst. 0°
LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster, Inv.-Nr. 46304 Mz
Fotos: Stefan Kötz
Vor hundertfünfzig Jahren, am 19. Juli 1870, erklärte der französische Kaiser Napoleon III. (1808 – 1873, reg. seit 1852) dem Preußenkönig Wilhelm I. (1797–1888) den Krieg, der nach Mobilmachung und Aufmarsch am 2. August begann. Am 6. August fand die Schlacht bei Wörth im nördlichen Elsass statt, in dem die dritte Armee unter dem Oberbefehl des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm (1831–1888), der 1888 drei Monate lang als Kaiser Friedrich III. regieren sollte, die Armee des Marschalls Patrice de MacMahon (1808–1893) besiegte und zerstreute. Darauf bezieht sich die hier vorgestellte Zinnmedaille, die auf der Vorderseite den preußischen König Wilhelm zeigt, als Sieger lorbeerbekränzt in einem mit der preußischen Königskrone gezierten Oval. Gerahmt von einem Lorbeerkranz ist das Oval vor ein „Tropaion“, also arrangierte Beutewaffen, gestellt, über dem Schriftband „ZU DEUTSCHLANDS EHRE UND RUHM“, das unten mit Eichenblättern gesäumt ist. Die Rückseite nennt in einem Eichenlaubkranz den Anlass: „ZUR / ERINNERUNG / AN DEN SIEG / DER DEUTSCHEN WAFFEN / IN DER SCHLACHT / BEI / WÖRTH / DEN 6. AUGUST 1870 / VERLUST DER FRANZOSEN: / 4000 GEFANGENE / 30 GESCHÜTZE / 6 MITRAILLEUSEN / 2 ADLER“.
Einen Monat später war Napoleon III. gefangen und abgesetzt, genau ein halbes Jahr später, am 18. Januar 1871, wurde Wilhelm I. im Spiegelsaal des Schlosses Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert, nachdem schon zum 1. Januar 1870 das Deutsche Reich von den im Norddeutschen Bund unter Führung Preußens vereinigten Staaten und den süddeutschen Ländern Baden, Bayern, Hessen und Württemberg gegründet worden war. Heutzutage findet die Erinnerung an die Reichsgründung 65 Jahre nach dem Untergang des Alten Reiches (1806) nur geringe Resonanz. Immerhin widmet das Militärhistorische Museum in Dresden den deutschen „Einigungskriegen“ von 1864 bis 1871 eine große, bis in den Januar 2021 laufende Sonderausstellung.
Die Erinnerung an 1870 lohnt gleichwohl, weil sie Strukturen und Probleme damaliger europäischer Politik offenlegt, die wir heute zwar überwunden glauben, die zu betrachten aber immer noch nützlich ist. Obwohl eigentlich nur punktuell auf ein einzelnes militärisches Ereignis fokussiert, kann die Wörth-Medaille doch zum Verständnis des Geschehens beitragen.
Die Vorderseite beantwortet die „Warum-Frage“ des Krieges: man kämpfte „zu Deutschlands Ehre und Ruhm“. Der Krieg war von heute nichtig scheinenden Prestigefragen ausgelöst worden: bei einer innenpolitischen Krise in Spanien war die Königin ins Exil gegangen. Auf der Suche nach einem neuen spanischen König war Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen (1835–1905) aus der katholischen schwäbischen Nebenlinie des preußischen Königshauses Favorit, was die französische Öffentlichkeit empörte, an deren Spitze sich der Kaiser stellte. Seine innenpolitische Stellung war geschwächt; er erhoffte sich neues Ansehen durch außenpolitische Erfolge – auch so etwas gibt es bis heute. Bis heute handeln Politiker als Vollstrecker einer – zuweilen von ihnen mitgeformten – öffentlichen Meinung.
Als nach dem Verzicht des Prinzen Kaiser Napoleon III. am 13. Juli 1870 von der preußischen Regierung verlangte, nie einen Hohenzollernprinzen auf den spanischen Thron gelangen zu lassen, erhielt er eine glatte Abfuhr. Die Ehre Frankreichs war in den Augen der französischen Öffentlichkeit gekränkt, und das französische Parlament bewilligte am 15. Juli die Gelder für die Mobilmachung der Armee, vier Tage später erklärte Napoleon III. an Preußen den Krieg. Man erwartete einen leichten Sieg wie unter Napoleon I. Die übrigen europäischen Mächte aber erklärten sich für neutral.
Otto von Bismarck (1815–1898), ein konservativer Junker, seit 1862 preußischer Ministerpräsident und seit 1867 Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes, war nicht unvorbereitet, hatte er doch die preußische Armee im Konflikt mit dem Abgeordnetenhaus verstärkt. Er wollte Preußen zur deutschen Führungsmacht machen und nutzte die in der deutschen Öffentlichkeit ausgeprägte Sehnsucht nach einem Nationalstaat. 1866 hatte Preußen im Deutschen Krieg Österreich besiegt, den 1815 gestifteten Deutschen Bund aufgelöst, das Königreich Hannover sowie Hessen-Kassel, Nassau und Frankfurt annektiert und den Norddeutschen Bund aus allen Staaten nördlich der Mainlinie gegründet, mit einem in geheimer und gleicher Wahl gewählten Parlament. Die süddeutschen Staaten hatten ein Defensivbündnis mit Preußen geschlossen; Oberbefehlshaber sollte im Kriegsfall der preußische König sein.
Wilhelms Kopf auf der Wörth-Medaille ist kopiert von dem preußischen Siegestaler von 1866, der das normale Talerbild, aber den Kopf eben mit dem Lorbeerkranz zeigte! Die Pickelhaube unter dem Bildnisoval trägt den preußischen Adler.
Im Juli 1870 trat nun der Bündnisfall ein: auch die süddeutschen Staaten antworteten mit der Mobilmachung und beriefen die Reservisten ein. Zwei Wochen später hatten sie in der Pfalz an der Grenze ihre Armeekorps versammelt und dem preußischen Kronprinzen unterstellt. Zwei weitere preußische Armeen standen bei Saarbrücken und bei Kaiserslautern. Am 4. August überschritt die dritte, die „deutsche“, überwiegend aus süddeutschen Soldaten gebildete Armee bei Weißenburg/Wissembourg die Grenze, um die „Elsassarmee“ des Marschalls MacMahon anzugreifen und an weiteren Bewegungen zu hindern. Nach verlustreichen Kämpfen zogen sich die Franzosen zurück. Zwei Tage später stieß die 88.000 starke Armee auf die bei Wörth verschanzte rund 45.000 Mann starke Armee MacMahons, die in blutigen Kämpfen zum ungeordneten Rückzug gezwungen wurde. Nach der offiziellen Statistik hatten die Franzosen rund 8.000 Tote und Verwundete – die aber auf der Medaille nicht genannt sind, zumal die deutschen auch 10.642 Tote und Verwundete (von denen viele später auch verstarben) zu beklagen hatten. Die Erinnerung an die Opfer war indes unerwünscht. Stattdessen wird auf der Medaille die Zahl der Gefangenen und der erbeuteten Geschütze und Mitrailleusen (eine Art Maschinengewehre) und zwei „Adler“ als Feldzeichen angegeben. 1854 hatte Napoleon III. diese wieder eingeführt – wie sein Onkel Napoleon I., der nach dem Vorbild der altrömischen Armee, wo jede Legion einen Legionsadler als unbedingt zu verteidigendes Abzeichen geführt hatte, jedem Regiment einen Adler („aigle de drapeau“) verliehen hatte; daneben hatte jede Kompanie eine Fahne. Bei Wörth waren also die Adler von zwei Regimentern erbeutet worden.
Die Beteiligung der süddeutschen Soldaten, eben der „deutschen Waffen“, wie die Medaille es nennt, gibt auch einen Hinweis darauf, dass diese Medaille in Süddeutschland, vermutlich in der Medaillenfabrik Drentwett & Peter in Augsburg entstand. Sie steht am Beginn einer Serie, die auch weitere Siege wie die bei Sedan am 2. September und die Kapitulation der starken Festung Metz am 27. Oktober behandelte; die Vorderseite konnte jeweils unverändert beibehalten werden.
Als die erste preußische Armee am 1. September 1870 die französische Nordarmee eingekesselt hatte, musste diese sich mit ihrem Kaiser an der Spitze kriegsgefangen ergaben. Am 4. September wurde die Republik proklamiert. Die Preußen marschierten weiter auf Paris, dessen Belagerung am 19. September begann und mit der Kapitulation am 28. Januar endete. Am 26. Februar wurde in Versailles ein Vorfrieden geschlossen, am 10. Mai in Frankfurt der endgültige Friedensvertrag unterzeichnet. Mit der Abtretung von Elsass-Lothringen war der nächste Krieg vorprogrammiert – er begann am 3. August 1914.
Dass politische Konflikte militärisch gelöst werden, ist bis heute in aller Welt leider normal, nur nicht mehr in Mitteleuropa, gottlob. Die deutsch-französische Aussöhnung unter Konrad Adenauer (1876 – 1967) und Charles de Gaulle (1890–1970) und die neuen Formen politischer Verflechtung in der NATO und in der EU sichern hier den Frieden. Nur an der Peripherie Europas wird seit dem Zerfall Jugoslawiens und der Sowjetunion immer wieder mit Gewalt Politik gemacht.
Auch die Symbolik der Medaille von 1870 ist veraltet, wird noch verstanden, aber nicht mehr verwendet. Die Bildersprache ist der Antike entlehnt: der „Adler“ als Feldzeichen, der Lorbeerkranz als Zeichen des Siegers und des siegreichen Imperators, das Tropaion aus den eroberten Waffen, der Eichenkranz als Relikt der „corona civica“ der römischen Republik, mit der Verdienste „ob cives servatos“, wegen der Rettung von Bürgern insbesondere in Kriegszeiten belohnt wurden. Als Bürgerkrone meint sie hier die bürgerlichen Wehrpflichtigen, die mit den „deutschen Waffen“ siegreich waren. Diese ganze Bildersprache ist heute weitgehend obsolet – indem nämlich Gewalt als Mittel der Politik völkerrechtlich geächtet und nur zur Verteidigung und Durchsetzung des Rechtes legitim ist. Die öffentliche Ehrung und Anerkennung militärischer Sieger kennt unsere Gesellschaft nicht.
Diese Medaille ist ein kommerzielles, preiswert produziertes Produkt, wurde billig und an möglichst viele Menschen verkauft. Aluminium war damals noch ein ganz modernes Metall, dessen Herstellung in größerem Umfang erst um 1860 begonnen hatte. Für eine Medaille, die eigentlich eine Person oder ein Ereignis verewigen und unvergesslich machen und zugleich weitestmöglich verbreitet sein soll, war das Metall insofern geeignet, als es relativ weich und gut verformbar war und die Prägestempel lange hielten, was die Kosten senkte; aber auch ungeeignet, weil die Oberfläche schnell verkratzte. Für populäre Propagandastücke war das beim Kauf erst einmal egal – und der mäßige Erhaltungszustand bezeugt, dass dies Exemplar wohl von Nicht-Numismatikern besessen und nicht sorgfältig in einem Münzschrank verwahrt wurde (für echte Sammler gibt es die Medaille aber auch in Bronze!), sondern in Schubladen oder sonstwo lose abgelegt, berieben und bestoßen. Die nachhaltige Erinnerung ist mit dem billigen und weichen Aluminium nur um den Preis ästhetischer Einbußen zu leisten. Als Propaganda-Medaille zeigt sie, dass die politischen Ideale, die es transportiert, eben auch vergänglich sind.
Gerd Dethlefs
Literatur:
- Brockhaus‘ Conversations-Lexikon. Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie, 13. Aufl., Bd. 5, Leipzig 1888, S. 187-201, 267.
- Eberhard Kolb: Der Kriegsausbruch 1870, Göttingen 1970.
- Paul Arnold / Harald Küthmann / Dirk Steinhilber, Grosser deutscher Münzkatalog von 1800 bis heute, München 1969, hier benutzt 30. Aufl., bearb. von Dieter Faßbender, Regenstauf 2015, S. 316 Nr. 117
- Krieg Macht Nation. Wie das deutsche Kaiserreich entstand, Ausst.Kat. Militärhistorisches Museum Dresden 2020.
- Andreas Kilb: Der vergessene Krieg. Pomp und Peinlichkeit: Das Militärhistorische Museum in Dresden zeigt den deutsch-französischen Waffengang von 1870/71 als Weichenstellung der europäischen Geschichte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 18. Juli 2020, S. 9
- https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_bei_W%C3%B6rth mit der älteren Literatur.
- https://de.wikipedia.org/wiki/Aigle_de_drapeau