November 2020
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Münze des Monats

Abb. 1 © Leu Numismatik AG, Auktion 4, 25. Mai 2019, lot 342
© Leu Numismatik AG

Twin Peaks


Antike Münzen zeigen nur selten geographische Phänomene in naturgetreuer Form. Gewässer, Berge aber auch menschengeformte Räume wie Städte werden zumeist in anthropomorpher Gestalt als Personifikationen visualisiert. Erst seit dem Späthellenismus werden gelegentlich geographische Phänomene naturgetreu abgebildet. In der römischen Kaiserzeit ist etwa der Mons Argaios auf kappadokischen Münzen allgegenwärtig und in seiner charakteristischen Bergform gut erkennbar.
Eine der beeindruckendsten Darstellungen eines Gebirges auf Münzen findet sich auf Kleinbronzen, die um die Zeitenwende in Armenien geprägt wurden und den kleinen Ararat (3925 m) und den großen Ararat (5137 m) zeigen (Abb. 1).

Tigranes IV und Erato (ca. 2 v. Chr.–1 n. Chr.), Prägestätte Artaxata
AE, 18 mm, 5,81 g, 12 h
Av.: Staffelbüste von Tigranes IV. mit armenischer Tiara und Erato n.r.; [b]asileus m[egas Tigranes]
Rv.: Der kleine und der große Ararat; [philokaisar], im Abschnitt: [A]
Leu Numismatik AG, Auktion 4, 25. Mai 2019, lot 342.

Diese Münzen haben auf der Vorderseite die Staffelbüste von König Tigranes IV. mit armenischer Tiara und seiner Schwestergemahlin Erato und auf der Rückseite die Gebirgsformation. Viele der Exemplare sind stark abgegriffen, doch wird auf der Vorderseite Tigranes auf Griechisch als „Großkönig“ (basileus megas) und auf der Rückseite als „Freund des Kaisers“ (philokaisar) bezeichnet. Datiert sind die Münzen auf das Jahr 1 einer neuen Ära. Tigranes IV war zunächst von Parthien unterstützt auf den armenischen Thron gekommen (8–5 v. Chr.), dann aber von seinem von Augustus entsandten Onkel Artavasdes III. (5–ca. 2 v. Chr.) verdrängt worden. Letzterer wurde aber von Tigranes IV. wieder vertrieben und Tigranes IV. wieder König von Armenien und er akzeptierte die römische Oberhoheit. Der achämenidische Titel Großkönig und der Beiname Philokaisar reflektieren die komplexe politische Stellung, und vielleicht deutet auch das klassizistisch beruhigte Porträt des Königs auf seine gute Beziehung zu Augustus hin. Tigranes‘ Herrschaft war kurz, wohl bereits 1 n. Chr. fiel er und auch seine Schwestergemahlin dankte (erstmal – aber das ist eine andere Geschichte) ab.
Hinterlassen haben uns die beiden die Münzen mit der herrlichen Ansicht des großen und des kleinen Ararat. Der Prägeort war unzweifelhaft Artaxata, die Hauptstadt des Reiches in der Ararat-Ebene. Der Ararat ist weithin sichtbar in Armenien, doch gibt es eine solche Ansicht der beiden Berge in der nebeneinanderliegenden Relation nur in Artaxata, wo man von Osten auf die beiden blickt. Dieses Bild ist (sicher ohne Kenntnis der Kleinbronze) ikonisch im modernen Armenien geworden, wie nicht nur das Staatswappen, sondern auch ein Modell aus Schokolade in einer Münsteraner Privatsammlung unterstreicht (Abb. 2).

Abb. 2: Ararat aus Schokolade
© A. Lichtenberger

Seit 2018 gräbt die Universität Münster gemeinsam mit der Armenischen Akademie der Wissenschaften in Artaxata, und jeden morgen begrüßen die beiden ewigen Zwillingsgipfel das Grabungsteam zur Arbeit (Abb. 3). Der Berg, auf dem laut Gen 8,4 die Arche Noah gestrandet sein soll, zieht uns auch heute noch in seinen Bann, und das Münzbild, das die beiden charakteristischen Berge von einer spezifischen Stelle aus zeigt, ist eine wahre numismatische Innovation, die nur wenig Nachfolge gefunden hat.

Abb. 3: Das armenisch-deutsche Grabungsprojekt in Artaxata, im Hintergrund das Kloster Khor Virap und der kleine und der große Ararat (2020)
© A. Lichtenberger

(Achim Lichtenberger)

 

Literatur:

  • F. L. Kovacs, Armenian Coinage in the Classical Period (Lancaster – London 2016), 29 Nr. 180.